Marco

Täter: Marco, 22 Jahre
Tat: Diebstahl, Raub, schwere Körperverletzung
Alter zur Tatzeit: 15 bis 21 Jahre
Urteil: Drei Jahre und vier Monate
Haftanstalt: Strafvollzugsanstalt Spremberg

Der kleine Marco ist ein niedliches Kind mit blonden Locken, er wird leicht für ein Mädchen gehalten. Seine Mutter lässt ihn nicht aus den Augen. Die Fotos in ihrem dicken Marco-Album zeigen behütete, sorglose Kinderjahre. Marcos Vater – flachsblond, groß, sehnig – ist oft auf Reisen. Der Junge sieht ihn selten. Später, da ist er schon groß, lehnt er jeden Kontakt zu ihm ab.

Als der Sohn fünf ist, der große Schnitt: Die Eltern lassen sich scheiden. Ein Jahr noch bleibt der Vater bei der Familie, bevor er endlich eine eigene Wohnung erhält.

Ein schlimmes Jahr. Lautstarke Auseinandersetzungen. Der eifersüchtige Mann wird handgreiflich, schlägt zu. Es poltert und kracht. Die Mutter weint, ist verletzt. Marco schläft schlecht dabei, hat Angst.Er wacht schreiend auf und geistert umher.
Er kommt in die Psychiatrie. Die Therapien dort helfen ihm nicht. Marco bleibt ein unkonzentriertes, hyperaktives Kind.

In der ersten Klasse stellt der Sportlehrer das Schwimmtalent des Jungen fest. Seine Mutter bringt ihn regelmäßig zum Training. Er gewinnt Urkunden und Medaillen. Seine schulischen Leistungen dagegen sind jämmerlich. Mit dem Schwimmen ist schlagartig Schluss, als die Mutter ihrem neuen Mann in die Nähe Berlins folgt. Im Umkreis des kleinen Ortes gibt es zwei Flugplätze aber keine Schwimmhalle.

Marco, nicht ganz vierzehn, ist noch immer von einer quälenden inneren Unruhe und Rastlosigkeit getrieben. Er schwänzt die Schule, findet Gleichgesinnte und ist ständig auf Action und Randale aus. Kleine Anlässe reichen schon, um seine inneren Aggressionen in äußere Gewalt münden zu lassen.

Er stößt eine behinderte Frau vom Fahrrad aus mit dem Fuß vor die Brust, so dass sie verletzt zu Boden stürzt. Einem Mann schlägt er mit einer Eisenstange die Knöchel kaputt. Einen Jungen bedroht er mit dem Messer, um Geld von ihm zu erpressen. Manchmal schlägt er auch ohne Grund zu.

Er wird von den Opfern angezeigt. Es kommt zu Verhandlungen. Aber Marco hat Glück, er wird immer auf Bewährung verurteilt. In einem der Urteile heißt es: Dieses Urteil ist ein reines Gnadenurteil. Dem Beklagten wurden mehr Zugeständnisse gemacht als er verdient. In einem anderen wird die Bewährung so begründet: Die positiven Entwicklungsansätze sollten nicht im Keim erstickt werden, sondern einer weiteren Förderung zugänglich gemacht werden. Marco wundert sich darüber und sagt: „Wären die von Anfang an strenger mit mir gewesen, hätte ich vielleicht vieles nicht gemacht.“

Seine Mutter hat seinetwegen ständig mit der Polizei zu tun. Schließlich besteht sie darauf, dass der Junge in ein Heim kommt. Es fällt ihr schwer, aber ihr kleiner Sohn Felix soll nicht ständig das schlechte Beispiel des Großen vor Augen haben. Im Heim trifft Marco auf alte Kumpel, mit denen er wieder loszieht.

Ein schwerer Einbruch hat schließlich eine Haftstrafe zur Folge mit der Einweisung in die Justizvollzugsanstalt Spremberg. Schnell macht er sich hier die wichtigste Überlebensregel eines Häftlings zu eigen: Man muss zu den Chefs gehören, nicht zu der Sklavenkaste der Birnen oder Hoschis. Er lernt auch, wie man das anstellt: Mit Renitenz und Aufmüpfigkeit und mit dem Anschluss an die großmäuligen, mitleidslosen Schlägertypen. Auf einen solchen Schläger stößt Marco bei seinem neuen Zellengenossen Schnitter. Als der kräftige Zwei-Meter-Mann Ufo dazukommt, von außen ein Bär, von innen ein nachgiebiger, unterwürfiger Mensch, ist die Kräftekonstellation in der Zelle klar. Ufo wird sofort zum Diener, Sklaven und Prügelknaben der beiden anderen degradiert.

Jeden Abend haben sie ihren „Spaß“ mit ihm, wie Marco es nennt. Sie verprügeln ihn abwechselnd, so lange, bis ihnen die Kraft ausgeht. Sie binden ihn zwischen die Betten und schlagen ihn regelrecht kaputt. Knapp zwei Wochen dauert es, bis die Anstalt dahinter kommt. Sie zeigt die beiden Misshandler an. Marcos Strafe wird wegen gefährlicher, da gemeinschaftlich begangener, schwerer Körperverletzung um acht Monate erhöht und auf drei Jahre und vier Monate festgesetzt.

Inzwischen hat Marco in der Anstalt eine Lehre als Maler und Lackierer abgeschlossen und den Gesellenbrief erhalten. „Ne Chance, die ick wohl draußen nicht gehabt hätte“, wie er sagt. Aber noch immer hat er nicht gelernt, seine schnell aufschäumende, unbändige Wut zu beherrschen.

Im November 2001 schlägt er einen Mitgefangenen beim Kartenspiel zusammen. Er habe sich provoziert gefühlt, sagt Marco. Die Verhandlung steht noch aus. Es wird auf die Zeugenaussagen ankommen. Wenn er Pech hat, wird seine sehnlichst erwartete Freilassung noch einmal um ein paar Monate hinausgeschoben.

Für seine Mutter ist Marcos Haftzeit so etwas wie ein Atemholen, „eine kleine Erholungspause“, wie sie sagt. Vor seiner Entlassung hat sie ein bisschen Angst. „Seinetwegen mach ich mir Sorgen“, meint sie. Sie fürchtet, dass er rückfällig wird. In ihr Haus will sie ihn nicht auf Dauer aufnehmen. „Ein Bett ist immer für ihn da, wenn er zu Besuch kommt“, sagt sie und fügt schnell hinzu: „aber ansonsten muss er sich eine eigene Wohnung nehmen.“ Den Wohnberechtigungsschein hat sie ihm schon besorgt. Und ein wenig Geld für den Anfang hat sie auch für ihn zurückgelegt.

Marco möchte am liebsten nach Berlin wenn er draußen ist. Aber genau das will seine Mutter nicht. „Da dauert es höchstens ein viertel Jahr, dann ist er wieder drin“, sagt sie. Es klingt so, als rechne sie damit.

Bewertung
Noch keine Bewertungen vorhanden.