Ausstellungseröffnung

"Humor ist eines der besten Mittel, um in Zeiten der gefährlichen Zuspitzung unsere geistige Gesundheit und politische Urteilsfähigkeit zu bewahren", meint Jérémie Gagné, Projektleiter bei policy matters.

Jérémie Gagné, Projektleiter bei policy matters, Gesellschaft für Politikforschung und Politikberatung mbH, bei seiner Rede zur Ausstellungseröffnung. Foto: Stefan Gloede

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute Abend kommen Sie alle in den Genuss treffender Pointen, kraftvoller Metaphern und feinsinniger Wendungen.

Zuvor halte ich Ihnen aber noch eine Rede.

Hierfür könnte ich Forschungsergebnisse zur anstehenden Bundestagswahl referieren. Idealerweise könnte ich diese Erkenntnisse dann sogleich mit den Aussagen der hier zu bestaunenden Karikaturen zusammenführen.

Das ist aber gar nicht so leicht. In der Politikforschung versucht man nämlich über aufwändige Erhebungen, Fragezeichen durch Ausrufezeichen zu ersetzen: Wer wählt Partei XY? Vor allem Männer über 50! Was erwarten Besserverdiener vom Staat? Mehr Netto vom Brutto!

Karikaturen scheinen da anders, womöglich sogar genau andersherum zu funktionieren. Sie ersetzen gerne Ausrufezeichen durch Fragezeichen, spielen mit uns. Sie sind schwer zu fassen, diese kleinen Dinger.

Wenn Sie erlauben, würde ich deshalb statt eines Fachvortrags lieber behutsam versuchen, uns ein wenig auf unsere heutige Rolle als Betrachterinnen und Betrachter von Karikaturen einzustimmen.

Um sich Karikaturen wertschätzend zu nähern, muss man vielleicht erst einmal den Kopf freimachen, die eigenen Vorurteile hinterfragen.

Auch Karikaturen leiden unter Vorurteilen…

Karikatur, das klingt nach Tageszeitung und Tagesgeschäft, nach flüchtiger Albernheit, die schon morgen veraltet ist. Dabei prägen Karikaturen seit jeher entscheidend mit, wie wir die politischen Dinge sehen. Manche Motive werden zum festen Inventar der politischen Kultur: Die amerikanischen Parteien etwa verdanken ihre Wappentiere einem einzigen Karikaturisten.

Dann die Berührungsängste, kurz bevor man sich eine Karikatur ansieht: Wird man sie verstehen? Was, wenn nicht? Persönliches Waterloo?

Vielleicht ist man sich auch sicher, diese simplen Bildchen sofort zu durchschauen. Man guckt kurz hin, man lächelt müde, man blättert in der Zeitung weiter.

Dann ein leichtes Unbehagen. Man blättert zurück. Doch, doch. Man blättert wieder weiter. Und wieder zurück. Das darf doch nicht wahr sein.

Vor einiger Zeit las ich ein Interview mit einem Kurator, der meinte, im Museum solle man jedes Werk mindestens so lange betrachten, wie es dauere, eine Orange zu schälen. Ich bin überzeugt, manchen Karikaturen sind schon ganze Obstkörbe zum Opfer gefallen.

Manchmal muss man überzeichen, um die Nuance zur Geltung zu bringen…

Natürlich werden Sie heute Abend manches Motiv als klarer, ein anderes als kryptischer empfinden. Doch ich möchte behaupten: Sie werden kaum eines finden, in dem Sie nicht zumindest hintergründig Ansätze von Widersprüchlichkeit, von Zweifel entdecken. 

Ironischerweise sind es die Karikaturisten, die Über-Zeichner also, die damit das Menschliche betonen an einer oftmals als steril abgeurteilten Politik.

So werden Sie hier vergeblich nach dem gängigen Klischee suchen, wonach bei einer Bundestagswahl ruchlose Profipolitiker auf wehrlose Wähler treffen.  Barbara Henniger, Martin Erl, Horst Haitzinger, Kriki, Gerhard Mester, Heiko Sakurai und Klaus Stuttmann machen es sich beileibe nicht so einfach.

Fangen wir einmal auf der Seite der Politiker an, die eben auch zuvorderst Menschen sind: Barbara Henniger zeigt da in einem ihrer genauso genial-komischen wie bitterbösen Motive die ungeheure Verletzlichkeit von Menschen, die ihr ganzes Ich öffentlich zur Wahl stellen und daran brutal scheitern können.

Klaus Stuttmann lässt uns mit seinen äußerst mimikstarken  Darstellungen unter anderem ahnen, was es eigentlich bedeuten muss, als Einzelner Herkules-Aufgaben wie die Rettung einer Volkspartei übernehmen zu müssen.

Auch die permanente Notwendigkeit für Politiker, sich selbst und die eigenen Strategien kritisch zu hinterfragen, ist kein Pappenstiel. Wer bin ich gerade, und wenn ja, wie viele Prozent bin ich so wert? Welche Schwerpunktsetzungen erwarten meine Zielgruppen von mir? Wie schaffe ich es, die widersprüchlichen Erwartungen verschiedener Zielgruppen miteinander zu vereinbaren? Unter anderem Heiko Sakurai fängt diese permanente Ungewissheit wunderbar leichtfüßig ein.

Und überhaupt: Wo endet eigentlich die Strategie, wo beginnt die persönliche Überzeugung? Haben Politiker zuweilen die Kraft, ihren Kurs unbeirrt weiterzugehen? Und wo verrennen sie sich womöglich? So fragt beispielsweise Horst Haitzinger in seinen tiefgründigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen.

Ja, und auch Politiker haben ihre zwischenmenschlichen Schwächen, von denen sie nicht immer lassen können. In seinen wunderbar klaren und fröhlich-bissigen Werken zeigt unter anderem Martin Erl, wie nicht zuletzt gewisse bayerische Politiker herrlich austeilen können.

Aber auch die Wähler gehören unter die Lupe, wie uns Kriki mit manchen seiner Collagen zeigt, die in ihrer genialen Schlichtheit zum Nachsinnen zwingen. Können die Wähler wirklich ihrem Los nicht entrinnen, enttäuscht zu werden? Müssen Wechselwähler wirklich ewig wandern, und wenn ja: wohin? Wählen sich die Kälber am Schluss womöglich ihren Metzger selber?

Und schließlich: wie ticken die Wähler eigentlich? Sind sie sich ihrer Macht bewusst, oder fühlen sie sich ohnmächtig, wie es auch in unseren Studien ein großer Teil der Menschen angibt?  Wollen die Wähler wirklich demokratisch entscheiden, oder sehnen sie sich insgeheim nach starker Führung? Diese Fragen stellt uns unter anderem Gerhard Mester in gnadenlos pointierter Form.

Sie sehen, die Karikaturistin und die Karikaturisten lassen uns tatsächlich oft eher mit Fragezeichen als mit Antworten zurück. Sie sind damit Aufklärer, denn sie schulen uns im offenen Denken.

Karikaturen vereinfachen? Das tun schon andere…

Es ist wohl auch die Sorge um jenes offene Denken, die all die Zeichnungen zur sogenannten postfaktischen Ära hervorgebracht hat: US-Präsidenten, die sich ihre Wahrheit selber machen, Internet-Nachrichten, die das Urteilsvermögen vergiften, Populisten, die ihre Anhänger geistig fest im Griff haben.

Die Sorge der Künstler ist berechtigt, denn auch die Forschung belegt: ein wachsender Teil der Bevölkerung empfindet nur noch Misstrauen gegenüber den traditionellen Institutionen und Medien in unserer Demokratie, hält die Politik für ein abgekartetes Spiel und ist dadurch anfällig für Parolen.

In den USA läuft seit einiger Zeit eine Debatte darüber, ob es am Schluss nicht an der Satire sein wird, die demokratische Kultur zu retten. Ausgerechnet sie sei die letzte Hoffnung der politischen Vernunft, des erwachsenen Umgangs mit Widersprüchen und Zwischentönen.

Ich halte das für eine ungeheuer spannende Überlegung. Allerdings bin ich mir ehrlicherweise nicht sicher, ob man auch in Deutschland bereit wäre, der Satire einen zentralen Stellenwert einzuräumen. Über manche Dinge lacht man hier nicht.

Humor wird unterschätzt

Jérémie Gagné

Jérémie Gagné

Nicht zufällig meinte ein polnischer Freund einmal zu mir, der eigentümlichste Ausdruck im Deutschen sei “Spaß beiseite”.

Ist dieses deutsche Mantra eigentlich vernünftig?

Vor einigen Jahren las ich bei Sten Nadolny im Roman “Netzkarte” von einer Situation, die der Autor als genauso “unernst wie humorlos” beschrieb.  Unernst und humorlos - in einem Satz! Für deutsche Verhältnisse eine ungeheure Provokation.

Doch vielleicht ist es ja wirklich unernst zu glauben, alle Widersprüche dieser Welt immer verbissen auflösen zu müssen. Vielleicht muss man die Dinge manchmal ironisch betrachten, um nicht an ihnen verrückt zu werden. Vielleicht ist das die Reife, die wir alle brauchen.

Humor ist, davon bin ich überzeugt, eines der besten Mittel, um in Zeiten der gefährlichen Zuspitzung unsere geistige Gesundheit und politische Urteilsfähigkeit zu bewahren.

Eine reife und wehrhafte Demokratie ist stets auch eine, die lachen kann. Deswegen sind auch Karikaturen eine wahre Stütze der Demokratie: sie sagen uns vielleicht nicht klar und deutlich, was und wen wir wählen sollen – aber dass wir es tun sollen, daran lassen sie keinen Zweifel.

In diesem Sinne danke ich Ihnen und wünsche viel Vergnügen!
 

Jérémie Gagné, Projektleiter bei policy matters, Gesellschaft für Politikforschung und Politikberatung mbH, 16. Mai 2017

Ausstellungsfahne vor der Landeszentrale

Einladung zur Ausstellung. Foto: Stefan Gloede

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