Alter Hass mit neuer Schlagkraft

Die große Öffentlichkeit hat den Hass als Thema entdeckt. Viele sind überrascht von der Aggressivität und Vehemenz. Doch der Hass ist alles andere als neu – und die Mitte ist keineswegs über Nacht verroht.

Die große Öffentlichkeit hat den Hass als Thema entdeckt. Viele sind überrascht von der Aggressivität und Vehemenz. Doch der Hass ist alles andere als neu – und die Mitte ist keineswegs über Nacht verroht, sondern vertritt schon seit Jahren teilweise offen menschenfeindliche Einstellungen. 

Ist der Hass im Netz ein neues Phänomen? Das werde ich immer wieder gefragt. Die Antwort lautet wenig originell: Jein. Die Sozialen Netzwerke als Durchlauferhitzer sind durchaus noch neu – und es ist noch nicht abzuschätzen, wie sich die Verlagerung der öffentlichen Debatte in die Dickichte der Netzwerke langfristig auswirkt. Zudem finden sich dort Gleichgesinnte leichter zusammen, sie organisieren sich in Gruppen und führen ihr virtuelles Leben in einer Parallelwelt.

Die Inhalte der Hass-Kommentare, die Textbausteine, sie sind hingegen alles andere als neu. Als Fachjournalist zum Thema Rechtsextremismus gehören Beleidigungen und Gewaltfantasien gegen meine Person seit vielen Jahren zum Wegbegleiter meiner Arbeit. „Aber nehme bitte zur Kenntnis, dass ich im Gegensatz zu dem Möchtegern-Journalisten, der diesen Schweineblog betreibt, sogar einen akademischen Titel habe und in einer Woche mehr Geld verdiene, als Gensing sich in 6 Monaten zusammenklieren und -lügen kann.“ Das schrieb ein Leser meines Blogs Anfang 2008.

Auch das Thema „Lügenpresse“ trieb die Kommentatoren damals bereits um: „Nun mal nicht so mimosenhaft sein, liebe linke Presseschmierer! Wer austeilt muss auch einstecken können! Ihr glaubt doch tatsächlich, dass wir Rechten Freiwild sind, auf das man beliebig eindreschen kann. Dem ist nicht so und das werdet ihr noch häufiger zu spüren bekommen. In Anlehnung an die gute alte 68er Maxime werden wir nämlich kaputt machen, was uns kaputt macht. Und da sind die verlogenen Wordverdreher der Schweinepresse in vorderster Frontlinie.“

Zu dieser Zeit wurde auf der rechtsextremen Seite Altermedia offen diskutiert, wie man mir am besten den Kopf einschlagen sollte – oder ob nicht gleich eine Schrotflinte das passende Instrument wäre, um den Meinungskampf effektiv zu beenden. Altermedia ist mittlerweile Geschichte, wurde verboten, als es längst bedeutungslos geworden ist – nachdem staatliche Stellen und Öffentlichkeit die Hetze dort jahrelang weitestgehend mit einem Schulterzucken quittiert hatten.

Der Hass, mit dem ich konfrontiert bin, dürfte allerdings nur ein schlechter Witz sein gegen das, was Menschen erleben, die nicht dem Ideal der selbst ernannten Retter des Abendlandes entsprechen. Die großartige Publizistin Mely Kiyak beschrieb ihre Erfahrungen mit dem Hass in einer Festrede bei  der Verleihung des Otto-Brenner-Preises so: 

Ich verdiene mein Geld damit, Bücher und Theaterstücke zu schreiben. Seit zehn Jahren schreibe ich ohne Unterbrechung jede Woche eine politische Kolumne. Für diese Kolumnen werde ich mit einer geradezu barocken Opulenz mit Ablehnung beschenkt. Es gibt Leser, die mich für diese Texte am liebsten umnieten würden. […] Seit meinem ersten Artikel, dem 19. Januar 2006, ein Feuilleton-Aufmacher für „Die Zeit“, bis heute gab es nicht einen einzigen Text, nicht eine Kolumne, nicht ein Interview, bei der die eben beschriebene Reaktion ausblieb. Bei keinem einzigen Text! Ich kenne Kollegen, die haben in ihrem ganzen Berufsleben vielleicht drei Briefe bekommen!
http://uebermedien.de/10293/der-hass-ist-nicht-neu-fuer-uns-nicht/

Dass der Hass nicht so furchtbar neu ist, wie viele nun meinen, zeigt auch ein Blick auf die Debatten der vergangenen Jahre – quasi immer angestoßen und ausgetragen von Protagonisten der selbst ernannten Mitte, die sich angeblich erst jetzt radikalisiert hat. Da wäre die große „Asyldebatte“ Anfang der 1990er Jahre – begleitet von pogromartigen Krawallen, Brandanschlägen und rassistischem Terror mit Todesopfern. Eine Debatte, die über Jahre systematisch angeheizt worden war.   

Bereits 1985 verstieg sich CSU-Chef Franz-Josef Strauß zu der Aussage, ohne eine Änderung des Grundrechtes auf Asyl habe Deutschland „bald die Kanaken im Land“. 1986 forcierten CDU und CSU gezielt die Debatten über die Asylpolitik und kürten diese zum wichtigsten Wahlkampfthema bei den anstehenden Abstimmungen in Bayern sowie im Bund. „Um die Stimmung im Volk rechtzeitig zu den Wahlen anzuheizen, helfen Unionspolitiker mit schreckenerregenden Zahlen nach“, schrieb „Der Spiegel“ damals. Argumentationshilfe lieferte ein „Horror-Papier“ aus der CDU/CSU-Fraktion: "Als - nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte - mögliche Asylberechtigte", heißt es darin, kämen Afrikaner und Asiaten "in der Größenordnung von 50 Mio" in Betracht.

„Ab ins Lager!“

"Selten", kommentierte damals die "Stuttgarter Zeitung", habe „ein Thema die Bürger offenbar so aufgewühlt wie die Diskussion um das Asyl." Aus vielen Leserbriefen breche, resümierte das Blatt, nun blanker Hass hervor: Man solle die "Schweine, Herumtreiber, Faulenzer“ in ''Arbeitslager sperren oder vergasen''. Der Hass tobte sich damals in den Leserbriefspalten aus – Facebook gab es noch nicht.

1991 forderte der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe in einem Rundbrief alle CDU-Fraktionsvorsitzenden in Landtagen, Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten und Bürgerschaften dazu auf, „die Asylpolitik zum Thema zu machen und die SPD dort herauszufordern, gegenüber den Bürgern zu begründen, warum sie sich gegen eine Änderung des Grundgesetzes sperrt“. Auch Handreichungen, wie man dabei den Volkszorn schürt, lieferte Rühe: Musterentwürfe für Ratsbeschlüsse und Presseerklärungen. So sollten die CDU-Mandatsträger fragen, wie viele Kindergärten sich mit dem Geld für die Flüchtlingsversorgung finanzieren ließen oder wie viel Unterricht ausfiele, weil Notunterkünfte Schulen und Turnhallen blockierten. Das liest sich wie eine Blaupause für das aktuelle Vorgehen von AfD und „Bürgerinitiativen“ und erinnert an einen Leitfaden der Neonazi-Partei „III. Weg“ gegen Flüchtlingsheime.

Die Parallelen zwischen aktuellen und vorherigen „Asyldebatten“ sind unübersehbar: In den 1990er Jahren hatte der damalige Kanzler Kohl von einem angeblich drohenden Staatsnotstand geraunt; vor einigen Monaten warnte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, die Gesellschaft könne „implodieren“. In den 1980er Jahren hatte die Union ein Szenario entworfen, wonach 50 Millionen „Asylanten“ nach Deutschland kommen könnten; 2015 sprach die CSU davon, dass an den Grenzen 60 Millionen Flüchtlinge stünden.

Bürgerliche Stichwortgeber

Die Ressentiments in der Bevölkerung brachen immer wieder aus – in der Asyldebatte Anfang der 1990er Jahre – oder beispielsweise in den Möllemann- und Hohmann-Affären Anfang des Jahrtausends – oder als Thilo Sarrazin protestantischen Arbeits- und puritanischem Moralethos mit genetischen Thesen – gemeinhin als Rassismus bekannt – kombinierte und massenhaft nicht nur unter das Volk brachte, sondern auch in die Salons und Zeitungen sowie Talkshows der Republik - und in die Bestsellerlisten. Schaut man auf die Verkaufslisten von Politikbüchern, finden sich Dutzende Titel wie „Deutschland im Jahr 2030 – ein Land konvertiert zum Islam“ oder „Merkels Flüchtlinge“ oder auch „Flüchtlinge – wie viele noch?“

Die angeblich schweigende Mehrheit scheint vor allem eine lautstarke Minderheit zu sein – zu diesem Schluss kam kürzlich die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese lautstarke Minderheit hat sich reichlich Gehör verschafft – und mittlerweile vertreten viele die Meinung, man müsse um jeden Preis mit dieser aggressiven Minderheit ins Gespräch kommen, koste es, was es wolle.

Dieses Schauspiel geht so weit, dass sich der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Stahlknecht, mit dem neurechten Aktivisten und Strippenzieher (von Vordenker kann angesichts des intellektuellen Niveaus eigentlich keine Rede sein) Götz Kubitschek auf eine Bühne setzen wollte, um über die Neue Rechte zu diskutieren. Stahlknecht wies Kritik daran zurück, eine solche Diskussion sei ein Beitrag zur „Meinungsvielfalt“, dafür seien die Menschen 1989 auf die Straße gegangen. Und: „Wenn man aus politischer Korrektheit meint, nur noch unfrei reagieren zu können, dann nimmt das politische System Schaden.“ Anders ausgedrückt: Nicht die aggressive nationalistische Bewegung sei die eigentliche Gefahr, sondern die angebliche Bevormundung durch die „politische Korrektheit“. Da hätte der Kubitschek sicherlich nicht widersprochen, im Gegenteil: Die Legende von einer durch linke „Gutmenschen“ zensierten Meinungsfreiheit in Deutschland ist ein Kernelement der rechtsradikalen Ideologie.

Dass AfD-, Pegida-Vertreter regelmäßig zu besten Sendezeiten im Fernsehen auftreten, dass die Beststellerlisten voll sind mit rechten Publikationen, dass die sozialen Netzwerke von entsprechenden Kommentaren überflutet werden – all das spricht zwar gegen die These einer „Zensur“, spielt aber scheinbar keine Rolle bei der Selbstinszenierung als Opfer.
 
Viele wollen diesen Hass eindämmen, indem sie ihn als Sorgen verharmlosen oder zu demokratischen Meinungen veredeln. Eine Strategie, die nicht funktionieren wird. Der rechtsradikalen Bewegung geht es nicht um Dialog und Meinungsvielfalt, sondern um eine autoritäre Gesellschaftsordnung. Der Hass an sich ist nicht neu – doch er hat sich strukturiert, ist salonfähig geworden und sich in den sozialen Netzwerken Parallelwelten geschaffen – und ist so zu einer ernsthaften Bedrohung mutiert.

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Patrick Gensing ist Blogger, Journalist und Nachrichtenredakteur. Für die Netzinitiative publikative.org – eine Seite, die zunächst als NPD-Watchblog bekannt wurde, wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er schreibt zu Fachthemen wie Antisemitismus, Medien, Rechtspopulismus und -extremismus.

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Wenn es einen Satz gibt, den man in diesem Beitrag unterschrieben kann, dann jenen, dass "Hass ... alles andere als neu" sei. Dann folgt jedoch in sattsam bekannter Manier das ewig Gleiche des Autoren Patrick Gensing: Politiker aus den Reihen der CDU / CSU haben schon vor Jahrzehnten Schreckliches gesagt und nun haben sie mit den Früchten zu kämpfen. Außerdem wurden von ihnen die Entwicklungen auf der politischen Rechten verharmlost - früher, heute und noch immer. Und AfD, Pegida bis zum mehr oder weniger bekannten Facebook-Hater sind die letztlichen Produkte davon.

Dagegen haben linke und sogenannte fortschrittliche Kräfte selbstverständlich nie gehasst (zumindest scheint es so, denn sie werden nicht erwähnt) und es gab auch keine linken Gesellschaften, in denen Generationen systematisch zum Hass erzogen wurden. Vergessen scheint dagegen nicht nur der sogenannte "Klassenhass": (lt. Duden "die Sichtweise des Marxismus, dass (in den nichtkommunistischen Gesellschaften) die verschiedenen Klassen einander hassen müssen, weil ihre Interessen nicht miteinander vereinbart werden können".) Und noch die Generation, die in den 1980er Jahren in Ostdeutschland zur Schule ging, wurde darin erzogen, wie ich dies auch aus meinem ganz persönlichen Erleben bestätigen kann.

Nun ist bekannt, dass das, was damals war, heute oft als wenig aussagefähig gilt, obwohl andererseits wiederum bekannt ist, wie lange bei vielen Menschen Erlebnisse und Erziehungsmethoden aus der Zeit der Kindheit und des Heranwachsens weiterwirken. Aber was ist dann, wenn die von Patrick Gensing allein zum Opfer stilisierte "großartige Publizistin" Mely Kiyak in einem Artikel für die "Berliner Zeitung" im Mai 2012 den früheren Berliner Innensenator Sarrazin - zu dem man selbstverständlich in krititischer Weise Stellung bezehen kann - trotz Kenntnis von dessen Behinderung als "lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur" bezeichnet (https://de.wikipedia.org/wiki/Mely_Kiyak), Erinnert dies nicht ebenso an unzählige unflätige Facebook-Kommentare - nur mit dem Unterschied, dass das hier Zitierte von einer professionell ausgebildeten und von zahlreichen Medien hochgelobten Journalistin zu Papier gebracht wurde und wiederum gerade sich selbst als linksliberal und fortschrittlich gebende Zeitungen ("Berliner Zeitung" und "Frankfurter Rundschau") einen solchen Text nicht zurückwiesen, sondern ihn veröffentlichten - während auf der anderen Seite von den gleichen Blättern die Prüfung von Kommentaren und im Zweifelsfall deren Nichtveröffentlichung im Falle von groben Beleidigungen und Verstößen gegen die Menschenwürde faktisch tagtäglich propagiert wird.

Das heißt wiederum nicht, dass selbstverständlich manches im Artikel P.G.s näher beleuchtet werden kann und auch sollte. Aber es ist ein Unding, wenn die Frage "Woher kommt der Hass?" politisch derart einseitig und selektiv behandelt wird, wie dies der Autor vornimmt. Selbst ein "Rechtsextremismusexperte" (wieso ist es eigentlich nicht möglich, Extremismusexperte und - forscher zu sein, sondern auch wiederum nur selektiv) müsste schon etwas über den eigenen Tellerrand hinausblicken können.

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