Das ist die perfekte Welle

Ein Beispiel, wie Integration in meiner Generation (Y) gelebt wird

Es gibt viele Gründe, warum ich mich ausgerechnet an diesen Abend so gut erinnere. Der beste heißt Aghyad. Ich traf ihn auf einer Studentenparty, seine längeren Haare hatte er zu einem Zopf gebunden, lässig eine Zigarette im Mundwinkel. Er war der erste Geflüchtete in meinem Freundeskreis. Fast 30.000 Asylsuchende hat das Land Brandenburg 2015 aufgenommen. Rund 100 Initiativen kümmern sich in fast allen Ecken Brandenburgs darum, dass sich geflüchtete Menschen hier willkommen fühlen. Näher kennengelernt hatte ich noch niemanden.

Und nun kenne ich Aghyad

Und nun kenne ich Aghyad. Er ist mit seinen 22 Jahren kaum älter als ich, sein Leben verlief aber bislang so völlig anders als meins. Ich studiere Politikwissenschaften an der Uni in Potsdam. Gerade erst bin ich von einem Auslandssemester in Oslo zurückgekehrt und setze mein Studium nun fort. Aghyad studierte Zahnmedizin in Damaskus – bis er verhaftet wurde, weil er angeblich gegen das Regime in sozialen Netzwerken gehetzt habe. Er wurde mehrere Stunden im Gefängnis festgehalten und von Mitgliedern der syrischen Armee verprügelt. Danach stand sein Entschluss fest: er musste seine Heimat so schnell wie möglich verlassen.

Es sollte 50 Tage dauern, bis er, angefangen von Algerien über Tunesien, die Türkei, Griechenland, Italien und Österreich schließlich Deutschland im Dezember 2014 erreichte. In Berlin half ihm eine Freundin, sein Profil auf einer Webseite für studentische Wohngemeinschaften einzustellen. Er durchlief das übliche „WG-Casting“ und bekam ein Zimmer in einer WG, die ehemalige Mitschüler von mir bewohnen. Nicht weil er ein Flüchtling war, sondern weil sie den Menschen Agyhad kennenlernen wollten.

Zerredete Normalität

Genau diese Normalität, auf der zwischenmenschliche Beziehungen beruhen, wird in der aktuellen Debatte um Flüchtlinge und Willkommenskultur aber zerredet, und zwar so oft, dass ich manchmal gar nicht mehr hinhören mag. Ich denke, wir sollten damit aufhören, das Wort Integration als eine große, nahezu übermenschliche Aufgabe aufzupusten. Wir sollten sie einfach als etwas Normales leben, als etwas, das täglich geschieht – wir treffen fremde Menschen, manche mögen wir weniger, andere mehr, aber das ist kein großer Aufreger, es gehört zu unserem Leben.

So wie jetzt die Geschichte meiner Freundin Jana, die auf einer Party Aghyad traf. Ich lernte ihn kennen, da waren beide schon ein Paar. Integration kann sich so leicht anfühlen. Wir tanzten gemeinsam auf einer Party zu deutschen Liedern von Seeed, KIZ und alten Schlagern, aber auch zu arabischen Hits. Wir hatten unglaublich viel Spaß. Auch mit den Vorurteilen gegenüber Geflüchteten, mit denen wir spielten. Als Aghyad von uns ein Foto mit einem Smartphone machte, rief sein Mitbewohner: „Ey, wieso kannst du Dir ein Handy leisten. Das geht doch gar nicht, wenn du Flüchtling bist.“ Alle lachten darüber.

Ein Tag ohne Smartphone ist für uns nicht normal

Ganz ehrlich, wie kommt jemand überhaupt darauf, dass ein Mensch heutzutage ohne Handy sein könnte? Aghyad, Jana, meine Freunde und ich sind das, was Soziologen als Generation Y bezeichnen. Als erste Generation der Digital Natives. Wir sind mit dem Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen. Ein Tag ohne Smartphone ist für uns nicht normal, bei einem geflüchteten Menschen aber soll es das sein? Aghyad telefoniert regelmäßig mit seinen Eltern, seine Mutter lebt erst seit Kurzem in Deutschland, sein Vater ist noch in Syrien. Meine Freundin und ihre Mutter wohnen in derselben Stadt, und die beiden telefonieren oder schreiben täglich! Was ist da jetzt „normaler“? 

Lina Dingler studiert Politikwissenschaften und Wirtschaft an der Universität Potsdam. Im Februar und März 2015 hat sie über ihre Praktikumszeit in der Landeszentrale gebloggt. 

Ich finde überhaupt, dass die wirklich wichtigen Fragen zu den Menschen, die zu uns kommen, oft nicht gestellt werden. Das Thema Religion zum Beispiel. Als Aghyad sich in der WG beworben hat, ist niemand auf die Idee gekommen, ihn nach seiner Religionszugehörigkeit zu fragen. Viel interessanter war es zu hören, was er vorhat in der nächsten Zeit.

Pläne und Lebensträume

Da geht es um das, was uns selbst bewegt, um Pläne und Lebensträume. Aghyad hatte Ziele und Träume, bevor er Syrien verlassen musste. Und er hat sie auch in Deutschland. An erster Stelle steht der Abschluss seines Zahnmedizinstudiums. Dafür lernt er hart. Acht Stunden pro Tag besucht er eine Berliner Sprachschule und arbeitet nebenbei in einem Restaurant. Anfangs haben er und Jana noch Englisch miteinander gesprochen, inzwischen geht es ganz gut auf Deutsch und –Arabisch, das meine Freundin seit einiger Zeit lernt.

Von den ca. 1 Millionen Flüchtlingen, die 2015 nach Deutschland kamen, wollen Berechnungen der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge ca. 50.000 Menschen studieren. Aghyad ist einer von ihnen. Ich wünsche mir, dass er und all die anderen, die Möglichkeit dazu erhalten. Denn ich möchte gerne mehr von diesen „Aghyad-Erfahrungen“ machen. Es ist ein Riesengewinn, gerade für unsere Generation, die zur Ausbildung oder zum Studium gerne ins Ausland geht, sich global vernetzt und dabei Freunde mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen findet.

Integration ist immer so gut, wie wir darüber reden

Integration ist immer so gut, wie wir darüber reden. Ich glaube an die Wirkung von Sprache. Und solange wir von Flüchtlingskrise, Asylproblematik und Wellen reden, „ducken wir uns instinktiv …Wir bekommen Panik und sind bereit, alles zu tun, um diese bedrohliche (und wohl auch schmutzige) Flut draußen zu halten.“ *

Wenn wir uns also einen Perspektivwechsel in großem Stil erlauben würden, wenn wir eine Welle nicht per se bedrohlich finden, sondern als „die perfekte Welle“ betrachten, dann könnte es uns gehen wie William Anderson, dem Schiffsarzt des berühmten Entdeckers James Cook. Als erster beschrieb er 1778 einen Surfversuch seines Chefs. Damals notierte er in sein Tagebuch: "Ich konnte nicht umhin zu folgern, dass dieser Mann allergrößtes Vergnügen empfand, als ihn das Meer so rasch und leicht vorantrieb." *
 

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Der Verfasser des folgenden Kommentars hat die Landeszentrale gebeten, seine Wortmeldung online zu stellen, um zu einem Meinungsaustausch anzuregen. Wir kommen diesem Wunsch gern nach:

Sehr geehrte Redaktion,
es gibt ganz sicher Beispiele, wie Integration  eines kleinen Teils der hunderttausendfachen Zuwanderer/ -innen islamischen  Glaubens gelingen kann. Das Gegenteil aber belegen tägliche Pressemeldungen über Straftaten muslimischer Einwanderer und das Faktum, dass der Islam eine total intolerante Religion ist (lesen Sie bitte auch Hamed Abdel Samad: „Mohamed – eine Abrechnung“ u. die anderen Werke von Samad sowie z.B. auch alle Bücher von Frau Necla KeleK, Oriana Fallaci, Kirsten Heisig, Henryk M. Broder, Joachim Wagner, um nur einige wenige zu nennen).

Es droht uns das Schicksal des Libanon, der bis Mitte der 70-er Jahre des 20.Jhd. die „Schweiz des Nahen Ostens“ genannt wurde und in welchem damals die Christen noch in der Mehrheit waren. Nachdem sich der Bevölkerungsanteil zugunsten der Moslems gewandelt hatte, kam es zu grauenhaften  Missetaten und zur teilweisen Zerstörung dieses schönen Landes.

Für Moslems sind wir Ungläubige, auch wenn wir Christen sind! Ich möchte in Ergänzung zu Herrn Wulf´s und Frau Merkels Aussage ergänzen: auch der Islamismus gehört zum Islam. – Seid wann der Islam zu Deutschland gehören soll, ist mir nicht erkennbar. Dass Moslems hier leben, ist eine Tatsache und  muss auch akzeptiert werden, solange sie keine kriminellen Taten begehen.

Ansonsten ist darauf zu bestehen, dass Sunniten, Schiiten usw. ihre Probleme in ihren Heimatländern lösen. Sie haben riesige Gebiete und müssen lernen, Streitigkeiten nicht bei uns, sondern in ihrer Region auszutragen, möglichst mit friedlichen Mitteln. Und da haben wir nichts dreinzureden. Aber erst einmal müssen sich Moslems untereinander klarwerden, wie man friedvoll miteinander auskommen kann. 

Und da wären noch zwei der vielen anderen Themen: das der Gleichberechtigung von Frauen  und das patriarchatische Gesellschaftsmodell! Es herrschen im Islam (siehe Saudi Arabien, Iran etc. - vom „Islamischen Staat“ gar nicht zureden!) antiquiert mittelalterliche Zustände. Da ist eine Anpassung von uns
unzumutbar und von „ihnen“ nicht  zu erwarten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bernhard und Heidrun Stähr

Hallo Frau Stähr, Hallo Herr Dr. Stähr,

dieser Eintrag diente dazu, den Lesern einen Einblick zu geben, wie wir Integration in meiner Generation erleben, daher möchte ich Ihnen ebenso aus dieser Perspektive antworten. Wir können Ihre Ängste nicht teilen, weil die von Ihnen heraufbeschworenen Szenarien für uns völlig abstrakt sind. Abstrakt deswegen, weil eben Fakten vorliegen, die dies widerlegen.

Straftaten werden, und das ist nicht zu leugnen, auch von Muslimen begangen, aber ebenso von jeder anderen „Personengruppe“. Ebenso ist die Religionsfreiheit ein wichtiger Bestandteil unseres Grundgesetzes, den wir doch bitte, bei allen extremistischen Ausprägungen, die auch andere Religionen besitzen, beibehalten wollen. Die Auslegung des Koran mag streitbar sein und gewaltiges Potential für etwaigen Islamismus bieten. Ich denke aber, dass eine Diskussion in diese Richtung zu weit führen würde.

Mit Spannung verfolge ich Reformwünsche und Bemühungen junger Muslime, die übrigens überwiegend terroristische Vereinigungen ablehnen. Wir stigmatisieren nicht gerne, uns interessiert der Mensch und nicht vorrangig seine Religionszugehörigkeit. Ich denke nicht, dass sich die Konflikte im Nahen Osten in naher Zukunft „von alleine regeln“, dafür existieren die Kriege schon zu lange und die involvierten Parteiengflechte sind zu verworren. Die internationale militärische Beteiligung im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ mag in ihrer jetzigen Form nicht die richtige sein, wir möchten aber nicht in einer Welt leben, in der die reichen westlichen Länder weggucken, sobald etwas passiert, was ihre eigene wirtschaftliche oder auch gesellschaftliche Stabilität erschüttern könnte. Dafür hat der Westen in den vergangenen Jahrzehnten einfach zu oft gekniffen. Zumal auch mal darüber nachgedacht werden muss, weshalb die Lage im Nahen Osten überhaupt so instabil ist.

Wir sind es leid ständig gesagt zu bekommen, dass Fluchtursachen bekämpft werden müssen, die jetzige Regierung aber gerade wieder im März neue Waffenlieferungen in fragwürdige Gebiete genehmigt hat. Nein, ich denke nicht, dass Muslime ihre Probleme alleine regeln sollten. Ich sehe aber, dass Sie grundsätzlich offen gegenüber Menschen sind, die sich in Not befinden. Ihre Bedingung aber lautet: Anpassung. In gewisser Weise gehe ich da mit Ihnen konform, was die Einhaltung bestehender Gesetze betrifft. Vielfalt aber wird auch unserem Land, ganz Europa, nützen und beleben, auch in Bezug auf junge Menschen, die Perspektiven suchen und dafür ambitioniert ihr Ziel verfolgen werden. Viele Möglichkeiten zum Austausch biete das, zur Inspiration, zum Erweitern des Horizontes. So zumindest sehen wir das.

Wir freuen uns auf diese höchst spannende Zeit und blicken ihr völlig furchtlos entgegen. Doch damit das auch richtig gelingt, ist es wichtig, dass unsere Türen nicht verschlossen bleiben, weil wir Angst vor etwas „Großem“ besitzen, wovon wir gehört und gelesen haben. Tritt dieser Fall nämlich ein, kommt es zur Separation der Gesellschaft, wie es eben in Belgien und Frankreich geschehen ist. Mein Tipp, mit dem Menschen reden und schnell feststellen, dass man vieles gemeinsam hat und Religion eigentlich gar nicht so wichtig ist. So trug es sich auch mit Aghyad zu. Dieser fühlt sich übrigens gar keiner Religion zugehörig.

Mit besten Grüßen Lina Dingler

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