Beate Blechinger

Werte leben und konsequent sein

Beate Blechinger
© Simone Römhold

... Im Jahr 1990 hatte ich aufgrund meiner Haltung zur DDR eine ziemlich rigorose Einstellung nach dem Motto: Alle Stasileute raus. Und möglichst alle Sekretäre der Partei raus. Aber ich habe in der Wendezeit in meiner politischen Arbeit viele Gespräche geführt und auch mit Leuten geredet, die mich für meine Haltung beschimpft haben.

Da wurde mir klar, ich kann meine Biografie nicht verallgemeinern. Es haben nicht alle gelitten in der DDR. Wer eben nicht christlich war, wer keine West-Verwandtschaft hatte und auch nicht in den Westen wollte, wer in einem volkseigenen Betrieb gearbeitet hat, jedes Jahr seinen FDGB-Urlaub hatte, seine Datsche, seinen Trabi und der nicht, sag ich mal, jeden Tag das ND lesen musste, der fand das gar nicht so schlimm. Da habe ich dann halt wirklich gedacht: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

Trotzdem fühlte ich mich als Vertreterin des Volkes, denn ich war bei der friedlichen Revolution gewesen. Das Volk war ja später auch angemessen an den wichtigsten Entscheidungen beteiligt.

Die DDR-Oppositionsgruppen setzten im Herbst 1989 vielerorts durch, dass sich die Regierungsparteien nach dem Beispiel Polens zu einem geregelten Dialog mit ihnen bereit erklärten.

Um die Gleichberechtigung und das Miteinander der Verhandlungspartner zu unterstreichen, wurde er „Runder Tisch“ genannt. Ende November stimmte die SED auch der Einrichtung eines Zentralen Runden Tisches der DDR zu.

Durch die freien Wahlen hat sich außerdem gezeigt, dass die, die meinten, für das Volk zu sprechen, wie der Runde Tisch, an dem auch Genossen gesessen haben, eben nicht nur repräsentative Vertreter des Volkes waren.

Von denen waren sehr viele noch der Meinung, die DDR müsse erhalten bleiben. Aber das war nicht nur die Volksmeinung. Insofern bin ich ein leidenschaftlicher Verfechter der repräsentativen Demokratie, weil ich denke, auf diese Art und Weise haben natürlich Bürger die Möglichkeit, ihre Ideen auch in politisches Handeln umzusetzen.

Mir persönlich waren in der Anfangszeit die Entscheidungen in der Bildungspolitik am wichtigsten. Ich war enttäuscht, dass wir nichts Positives aus der DDR übernommen haben und die stärkere Leistungsförderung, wie in Sachsen, nicht von Anfang an betrieben haben. Wir haben Dinge wie die zentrale Abschlussprüfung abgeschafft und Gesamtschulen flächendeckend eingeführt, die sich damals schon in den alten Bundesländern überlebt hatten. ...

Im Vergleich zu heute war die Zeit dennoch unheimlich spannend. Wir hatten natürlich viel mehr Entscheidungen zu fällen, weil ja im Prinzip die Grundlagen für das Funktionieren des Landes Brandenburg gelegt werden mussten. Dann war die Stasiaufarbeitung ein leidenschaftliches Thema mit sehr emotionalen Diskussionen. Und bei der Ausarbeitung der Verfassung prallten plötzlich Welten aufeinander. ...

Für Brandenburg ist nach 1990 nicht alles gut gelaufen. Manfred Stolpe war derjenige, der den Brandenburgern die Identität gegeben hat, aber er hatte nicht unbedingt großen wirtschaftlichen oder bildungspolitischen Sachverstand. In der Bildung wurden die Weichen falsch gestellt, wirtschaftlich wurde zu viel auf das Prinzip Gießkanne gesetzt.

Man hat gedacht, man könnte in jeden Landstrich Investoren holen, wenn man nur genügend Fördermittel ausschüttet. Also wurden Gewerbegebiete im Oderbruch oder sonst wo gefördert, die heute eine beleuchtete Wiese sind. Da ist schon viel schief gelaufen, aber auf der anderen Seite muss ich natürlich sagen, wir alle haben Politik nicht gelernt.

Auch ich hatte viele Illusionen. Ich kannte nicht das Ausmaß der Umweltschäden. Ich wusste nicht, dass wir bei der Arbeitsproduktivität bei 40 Prozent waren. Mir war nicht klar, dass die DDR eigentlich schon vor der Wende pleite war. Ich darf da also auch nicht über andere richten.

Letztendlich bin ich mit meiner Entscheidung, in die Politik zu gehen, zufrieden. Wenn ich vielleicht auch nur an zwei, drei Stellen etwas bewirkt habe, war es das wert. ...

Beate Blechinger,
geboren am 22. Mai 1947 in Dresden, war ab 1990 Abgeordnete der CDU im Landtag Brandenburg.

Nach Auseinandersetzungen in der Partei zog sie 1994 nicht wieder in das Parlament ein und arbeitete in ihrem Beruf. 1999 kehrte sie in den Landtag zurück und wurde Fraktionsvorsitzende.

2004 bis 2009 war sie Ministerin der Justiz und Abgeordnete.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

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