Matthias Platzeck

Endlich Ideen verwirklichen

Matthias Platzeck; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

... Am Tag des Mauerfalls saß ich abends in einer Runde mit anderen Vertretern der Umweltbewegung.

Wir hatten für eine Kundgebung zum Thema „Freiheit der Umweltdaten" ein Fußballstadion in Potsdam gemietet. Unsere Kundgebung sollte am 15. November stattfinden, und wir sprachen gerade über technische Probleme bei der Beleuchtung. Da kam jemand herein und erklärte, die Mauer gehe wohl auf.

Ein Teilnehmer der Runde meinte ganz trocken: So ein Mist. Müssen die das gerade jetzt machen? Da kommt doch keiner mehr zur Kundgebung. Dann brachen wir alle in Gelächter aus. Der Mann hatte natürlich recht. Statt der erwarteten 10.000 kamen nur 4.000 Menschen.

Ich versuchte noch in der Nacht, über die Glienicker Brücke, in deren Nähe ich wohnte, nach West-Berlin zu fahren. Die Wachtposten dort verkündeten, dieser Übergang bleibe geschlossen - für immer, wie sie uns erklärten. Es dauerte aber nur noch 22 Stunden, bis ich wie viele tausend andere DDR-Bürger über genau diese Brücke in den Westen fahren konnte. ...

Zur ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 kandidierte ich als Parteiloser für die Grüne Partei. Aber alle Gruppierungen aus der Bürgerbewegung, also Grüne, Bündnis 90, Unabhängiger Frauenverband und die Vereinigte Linke, kamen zusammen nur auf fünf Prozent. Das war damals natürlich eine große Enttäuschung für uns. Aber die Zeit war ein wenig über uns hinweg gegangen.

Wir hatten offenbar das Gefühl für die Wünsche der Bürger verloren, die mehrheitlich schon längst „Wir sind ein Volk“ riefen, als wir noch unverdrossen am „Wir sind das Volk“ aus dem vorigen Herbst festhielten. Wir waren nicht alle grundsätzlich Befürworter der Einheit. Auch ich gehörte zunächst zu denen, die die DDR reformieren und erhalten wollten. Erst als Minister im Kabinett Modrow erhielt ich Zugang zu handfesten Wirtschaftsdaten. Da wurde mir klar, dass dieser Staat überhaupt kein ökonomisches Fundament mehr für einen Alleingang besaß. ...

Nachdem wir mit dem Bündnis 90 in den Brandenburger Landtag eingezogen waren, wollten wir natürlich auch mitregieren. Es kam zur Bildung der so genannten „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und Bündnis 90. Mich fragte der neue Ministerpräsident Manfred Stolpe, ob ich Umweltminister werden wolle. Das erschien mir als folgerichtige Fortsetzung meines bisherigen Weges. Also sagte ich zu.

Die Anfangszeit war atemberaubend und zugleich schön. Wir waren von früh bis spät Feuer und Flamme für unsere neue Aufgabe. Als Minister konnte ich meine Ideen verwirklichen. Unserer Verwaltung unterstanden die alten Truppenübungsplätze, die Staatsjagden und die riesigen Naturlandschaften, die es dank der geringen Zersiedelung aus DDR-Zeiten noch gab. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer nannte dies das „Tafelsilber“ der Deutschen Einheit. Ich glaube rückblickend, wir haben dieses Tafelsilber gut poliert.

In einem sehr demokratischen Prozess ist meines Erachtens die Brandenburger Landesverfassung entstanden. Sie fußt in vieler Hinsicht auf den Ideen und Prinzipien der DDR-Bürgerbewegung. Das gefällt mir. Ebenso demokratisch war die Annahme der Verfassung durch die Brandenburger Bürgerinnen und Bürger in einer Volksabstimmung: 94 Prozent der Abstimmenden votierten dafür.

Natürlich gab es auch schwierige Momente. Wenn ich vor Menschen stand, die ihre Arbeit verloren hatten, musste ich nicht selten sagen, dass ich ihnen im Moment nicht helfen könne. Das waren mit Abstand die bittersten Stunden für mich. Bis in die Mitte der neunziger Jahre hinein machte fast täglich irgendein Betrieb dicht.

Ich bin heute froh, dass wir nicht von Anfang an wussten, was da auf uns zukommen würde. Wenn mir jemand ganz zu Beginn gesagt hätte, dass innerhalb von wenigen Jahren Großkombinate wie die in Guben oder in Premnitz in sich zusammenbrechen und zunächst nichts außer Hoffnungslosigkeit zurücklassen würden, hätte ich mir gesagt: Da will ich nicht dabei sein.

Selbstverständlich gab es auch Fehleinschätzungen. Eine der gravierendsten betraf die Brandenburger Haushaltsperspektive. Wir dachten damals: Wenn wir zuerst viel Geld investieren, dann sprudeln anschließend die Steuerquellen umso kräftiger. Jeder weiß: So ist es nicht gekommen. Auf den Krediten, die wir vor 20 Jahren aufgenommen haben, sitzen wir heute noch.

In der Brandenburger Landesverwaltung hatten wir viele Berater aus unserem Partnerland Nordrhein-Westfalen. Die einen kamen aus Überzeugung, aus alter Bindung oder aus neuer Lust hierher und arbeiteten intensiv mit. Andere kamen aus Karrieregründen, was ich ihnen nicht vorwerfen will. Um ein Zeichen zu setzen, haben wir im Umweltministerium ganz bewusst drei oder vier Abteilungsleiterposten mit Ostdeutschen besetzt. Nur die juristische und die Zentrale Abteilung wurden von Westdeutschen geführt, da wir im Osten auf diesen Gebieten zu wenig Sach- und Fachverstand hatten. ...

Markus Meckel und Matthias Platzeck 1992; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

Markus Meckel und Matthias Platzeck 1992

Aus all den Jahren habe ich die Erfahrung mitgenommen, dass man immer wieder einen Neuanfang versuchen kann. „Geht nicht, gibt’s nicht“, pflegte Regine Hildebrandt zu sagen.

Das zeigt sich schon an der Gründung des Landes Brandenburg. Wir konnten uns bei der Neugründung 1990 nicht auf eine Brandenburg-Identität stützen, anders als beispielsweise die Sachsen, die schon zu DDR-Zeiten beim Fußball „Sachsen“ skandierten.

Vor allem dank Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt hat sich hier eine Identität gebildet. Heute sehen die Brandenburgerinnen und Brandenburger ihr Land als ihre Heimat an. Ich glaube, dass Brandenburg mittlerweile auch nach außen ein gutes Markenzeichen ist - an dessen Strahlkraft wir allerdings weiter arbeiten müssen.

Ich wünsche mir, dass die Westdeutschen ihr Wissen über die DDR erweitern. Dass sie nicht immer nur an DDR und Staatssicherheit denken, wenn heute die Rede auf Ostdeutschland kommt. Sie sollten wissen, dass wir in Ostdeutschland seit 1990 früher aufstehen, weiter fahren und länger arbeiten mussten. Dass viele Menschen hier neue Berufe erlernen mussten, weil das Land eine nahezu komplette Deindustrialisierung durchlebte.

Ich wünsche mir auch, dass mehr Westdeutsche den Osten besuchen. Wir leben hier nicht in einem Heimatmuseum, sondern wir haben hier Probleme zu bewältigen, die auch noch eintreten können oder eintreten werden – man denke beispielsweise an die Folgen des demografischen Umbruchs. Es gibt zwar noch immer gravierende Unterschiede zwischen Ost und West, aber vieles hat sich angeglichen. Ich bin froh darüber, dass wir heute in Potsdam ähnliche Themen wie in Kiel oder Stuttgart diskutieren. 

Matthias Platzeck,

geboren am 29. Dezember 1953 in Potsdam, zog 1990 als Abgeordneter für die Fraktion Bündnis 90 in den Landtag Brandenburg ein und wurde zum Minister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung berufen.

Gleichzeitig war er Parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90, bis er 1992 sein Abgeordnetenmandat mit Verweis auf eine nötige Gewaltenteilung niederlegte.

1993 trat Platzeck nicht der vereinigten Partei Bündnis 90/Grüne bei. Obwohl dem von ihm mitbegründeten Bürgerbündnis 1994 nicht der Einzug in den Landtag gelang, wurde er als Parteiloser wieder Minister im selben Ressort. 1995 trat Platzeck in die SPD ein. 1998 wurde er zum Oberbürgermeister von Potsdam gewählt.

Matthias Platzeck war 11 Jahre Ministerpräsident Brandenburgs. Am 28. August 2013 trat er aus gesundheitlichen Gründen zurück.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

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Kommentare

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Sehr geehrter Herr Platzek,
Neue Russlandpolitik wenn sie meinem mit dem russischen Volk, dann ja aber nicht mit Putin, der sich nicht kontrollieren lässt, sondern regiert wie ein Pate, wenn Ihnen das entgangen sein sollte. Dann besteht hier ein Schräglage. Mit einem ehemaligen KGB-Offiziert der mit sanften Pfoden daherkommt können sie keine Partnerschaft erreichen, sondern nur in Abhängigkeit geraten. Wenn Sie sich unterordnen wollen dann ist das ihre Sache. Aber nicht für eine Wertegemeinschaft wie wir sie im Westen verstehen. Das ist Ihre alte DDR-Prägung was zu verstehen ist. Ich kann Ihnen nur eine Stellungnahme der früheren Literaturnobelpreisträgering Gerda Müller zu Gemüte führen. Sie sagt die Wahrheit. Treten Sie in Verbindung mit den jugendlichen Oppositionellen wie die freiheitlichen Musikgruppen aus Petersburg und stärken Sie jene Gruppen denn sie wollen frei sein, sie leben im Internet solange es diese in Russland noch gibt. Hier die Stellungnahme von Gerda Müller "Putins Dreistigkeit beleidigt meinen Verstand:
https://www.welt.de/kultur/article138087231/Putins-Dreistigkeit-beleidi…

mfG

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