Naturschutzgebiete und ihre militärische Vorgeschichte

Mit der Gründung des preußischen Militärstaates bürgerte es sich in Brandenburg ein, die schönsten Wälder und grünsten Wiesen zu nutzen, um das Handwerk des Kämpfens und Tötens zu trainieren. Heute werden diese Orte in alternativen Reiseführern als Geheimtipps gehandelt.

Kernzone in der Döberitzer Heide
© H.A.

Brandenburgs Natur ist nicht spektakulär. Keine Zweitausender ragen in den Himmel, kein Meer schlägt an Brandenburgs Ufer. Die Landschaft ist weder besonders lieblich oder rau, noch hält sie dem Vergleich mit der Natur jener Regionen stand, in denen die Menschen gern über ihre Erhabenheit staunen. Die Brandenburger lieben ihre froschreichen Teiche und staubtrockenen Waldwege umso mehr. Sie begeistern sich am Kargen. Sand und Sumpf bestimmten jahrhundertelang das Bild der Landschaft. Überschwemmungen und Dürreperioden erschwerten die Landwirtschaft, so dass die Natur der „Streusandbüchse“ noch nicht einmal besonders nützlich war.

Abgesehen von der Holzgewinnung. Ursprünglich bestimmten im Nordosten der Buchenmischwald, Eichen und Birken die Landschaft, im Süden und Osten der Traubeneichenwald, im Spreewald der Erlenbruchwald. Aber seit dem Mittelalter waren die Mischwälder dezimiert worden. Köhlereien, Pechsiedereien, Ziegeleien und Glashütten brauchten Holz. Berlins Entwicklung zur Industriestadt zur vorletzten Jahrhundertwende musste befeuert werden. „Der gesamte Menzner Forst“, schrieb Fontane, „flog durch Berliner Schornsteine.“ Nach dem Kahlschlag heizte Berlin notgedrungen mit Linumer Torf. Die Kiefer wurde als nachwachsender Holzlieferant entdeckt. War die Kiefer ursprünglich ein Baum unter vielen, machte sie um das Jahr 1900 94 Prozent des gesamten brandenburgischen Waldbestandes aus.

Eine Idee für das Sumpf- und Sandland

Die ersten märkischen Kurfürsten vernachlässigten den kargen Landstrich. Georg Wilhelm sah während des 30jährigen Krieges vom fernen Königsberg aus zu, wie sein Kurfürstentum um die Hälfte seiner Bevölkerung und die Hälfte des bebauten Landes dezimiert wurde. Erst Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte eine Idee für dieses Sumpf- und Sandland. Er stampfte ein Heer aus dem ausgebluteten Boden und begründete eine lange Tradition der militärischen Nutzbarmachung. Die Natur brachte zwar nichts Nützliches hervor, konnte aber umso rücksichtsloser militärisch ausgebeutet werden. Der preußische Adler faltete seine Schwingen auf. Preußen mauserte sich im 18. Jahrhundert zur militärischen Großmacht. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm vergrößerte die Armee auf 80.000 Mann. Das preußische Blau überzog die Landschaft. Preußen sei nicht ein Staat mit einer Armee, befanden damalige Zeitgenossen, sondern eine Armee mit einem Staat. Garnisonsstädte wie Neuruppin oder Rheinsberg entstanden. In Perleberg, Schwedt, Jüterbog, Brandenburg und Nauen standen Regimenter. Potsdam wurde noch 1854 von Alexander von Humboldt als „öde Kasernenstadt“ bezeichnet.

Mit der Gründung des preußischen Militärstaates bürgerte es sich in Brandenburg ein, die schönsten Wälder und grünsten Wiesen zu nutzen, um das Handwerk des Kämpfens und Tötens zu trainieren. Friedrich II. machte aus dem Bornstedter Feld einen Exerzierplatz. Um 1900 fanden hier erste Versuche mit Flugapparaten statt. Im Ersten Weltkrieg war eine Jagdstaffel am Hang des Ruinenbergs stationiert, später nutzte die Sowjetarmee das Areal, dann die Nationale Volksarmee der DDR.

Die Nazis machten Wiesen und Äcker zu Flugplätzen der Luftwaffe. Landebahnen und Hangars wurden ins Wiesenschaumkraut geknallt. Die Wälder der Uckermark oder das Neuruppiner Land erdröhnten unter den Starts und Landungen von Kampfflugzeugen. Die DDR machte unter veränderten Vorzeichen damit weiter. Selbst am Rand des Spreewalds wurde ein Militärflugplatz eingerichtet.

Ganze Dörfer litten unter dem anhaltenden Fluglärm der Militärmaschinen. An diese lärmverstrahlten Orte wurden von der SED-Führung „renitente“ Staatsbürger strafversetzt. Querdenker aus der ganzen Republik saßen in uckermärkischen Häusern und spürten den Kratzputz zittern. Erst nach Abwicklung der Nationalen Volksarmee legte sich über einige dieser Anlagen Stille. Mittlerweile werden sie in alternativen Reiseführern als Geheimtipps gehandelt, als versteckte Attraktionen, verborgene Zeugnisse der Geschichte des 20. Jahrhunderts, zu denen man per GPS geführt wird. Beim „Bombodrom“, einem Luft-Boden-Schießplatz in der Nähe von Wittstock, kämpften Anwohner und Bürgerinitiativen siebzehn Jahre darum, dass die 144 Quadratkilometer, auf denen Wehrmacht und Sowjets das Tieffliegen und Bombenabwerfen geübt hatten, stillgelegt wurden.

Im heutigen Kurort Bad Saarow war der „Fuchsbau“ versteckt, die unterirdische Führungsstelle der Luftverteidigung der DDR. Die Nazis hatten den Bunker mithilfe von KZ-Häftlingen aus Sachsenhausen gebaut, er sollte die Nachrichtenzentrale der SS beherbergen. Im Wald bei Wiepersdorf rottet ein NVA-Militärstützpunkt vor sich hin. Von Plattenbauten und Fahrzeughallen stehen noch die Skelette.

Als Kind erschien es mir normal, dass in einem Großteil des Waldes das Betreten verboten war und Spaziergänge oft an Stacheldrahtzäunen endeten. Ich fuhr auf holprigen Plattenwegen Fahrrad, über die gelegentlich Panzerfahrzeuge rollten, badete in Kiesgruben, in die sowjetische Armisten diese Panzer hinein lenkten, um sie zu waschen. Von klein auf wurden wir darauf trainiert, den Wald nicht als Biotop, sondern als Gelände zu betrachten. Bei der Schnitzeljagd mit bunten Bändern kam es nicht auf die Betrachtung seltener Vögel und Pflanzen an, sondern darauf, schneller als die anderen den Schatz zu plündern. Als Ältere lernten wir, uns mit Karte und Kompass durch dieses mit natürlichen Hindernissen versehene Gelände namens Wald zu bewegen, was dazu führte, dass ich heute einen unbeirrbaren Orientierungssinn habe, aber keine Ahnung von Pilzen.

Truppenübungsplätze zu Naturschutzgebieten

Nach jahrhundertelanger militärischer Nutzung nahm die Landschaft am Ende selbst militärischen Charakter an. Der Wald stand da wie zum Appell angetreten: aufgeforstete Kiefernghettos, die Stämme spargeldünn, am oberen Ende ein Toupet von dünnen Nadeln. Heute wird die Landschaft renaturiert. In Brandenburg heißt das: Truppenübungsplätze zu Naturschutzgebieten! Nachdem die giftigen Schichten im Bornstedter Feld nach der Wende abgetragen waren, konnte der ehemalige Exerzierplatz zur Bundesgartenschau 2001 in einen Landschaftspark umgestaltet werden, an dessen Rand heute ganz alte und ganz junge Menschen wegen der Nähe zur Natur gern wohnen.

In der Döberitzer Heide zwischen Potsdam und Elstal wird man bald auf Wildnissafari gehen können. Die ausgedehnte Kiefern- und Heidelandschaft diente der preußischen Armee Kaiser Wilhelms II., Hitlers Armee und schließlich der Roten Armee als Truppenübungsplatz. Jetzt entwickelt die Heinz Sielmann Stiftung hier ein Naturschutz- und Naherholungsgebiet, in dem die Natur noch immer unter militärischem Schutz steht. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, die Wanderwege zu verlassen; nicht aus Sorge um Heidekraut und Fischotter, sondern weil die Wanderer nicht gern in die Luft fliegen. Noch immer befinden sich Sprengkörper und Munition im Boden.

Am Rande der Märkischen Schweiz liegt siebzehn Meter unter der Erde die Atombunkeranlage Garzau, das ehemalige Rechenzentrum der NVA, die nach der Wende als Versteck „heißer“ Stasi-Akten berühmt wurde. In Kummersdorf bei Luckenwalde versehren Betonbauten den Wald. Feuerfeste Abgasrohre ragen zwischen Löwenzahn in den Himmel. Waffen wie die Kanone „dicke Berta“ für den Ersten Weltkrieg wurden in diesen Betonhallen getestet, im Zweiten Weltkrieg ließ das Heereswaffenamt der Nazis Triebwerke für die „Wunderwaffe“ V2 testen und richtete Labore ein, in denen die Atombombe entwickelt werden sollte. Dieser Ort soll in ein „Museum in der Natur“ umgestaltet werden, noch ist das Betreten dieses Geländes, auf dem die Geheiminstrumente der Machterhaltung zweier Diktaturen verrotten, lebensgefährlich.

Die Auer-Werke in Oranienburg produzierten das benötigte Uran. Noch heute zeugt ein mit Uran verseuchtes, eingezäuntes Gelände bei Kummersdorf von den Experimenten. Im Wünsdorfer Kiefernwald befand sich das Oberkommando des Heeres im Dritten Reich. Luftschutztürme, Zigarren genannt, ragen noch immer in den Wohnvierteln auf. Zu Zeiten des Kalten Krieges richteten die Sowjets hier den strategisch wichtigsten Standort des Ostblocks in Mitteleuropa ein. Von hier aus planten sie den Einmarsch in die ČSSR, um den Prager Frühling 1968 niederzuschlagen. Heute hat Wünsdorf unterirdische Museen aus seinen militärischen Hinterlassenschaften gemacht und nennt sich „Stadt der Bunker“. Als kulturelles Gegengewicht hat man sich zugleich zur „Bücherstadt“ gekürt mit Antiquariaten, Buchläden und Bibliotheken.


Auch die Landeshauptstadt Potsdam hat sich den Dorn des Militärs ausgerissen. Aus den Kasernen sind teure Lofts geworden. Der rote Stern ist abgekratzt, der Stacheldraht wurde entsorgt, nichts erinnert daran, dass die Truppen der Roten Armee ein Drittel Potsdams besetzt hielten. Die ehemals verbotene Stadt, mit einem berüchtigten KGB-Gefängnis, in dem auch Hinrichtungen stattfanden, ist ein begehrtes Villenviertel. Aus dem Untersuchungsgefängnis der Stasi mitten in der Fußgängerzone wurde eine Gedenkstätte. Rund um Potsdam liegen Parks und Naturschutzgebiete. Nur in Geltow bei Potsdam, aufdringlichen Blicken entzogen, ist das Einsatzführungskommando der Bundeswehr stationiert. Von hier aus werden Auslandseinsätze koordiniert wie ISAF, KFOR und Beteiligungen an Missionen der Vereinten Nationen.

Mittlerweile kann Brandenburg zwölf Naturparks vorweisen (der älteste Ostdeutschlands ist die Märkische Schweiz). Zu den großflächigsten Schutzgebieten zählen der Stechlin, die Schorfheide, die Lieberose Endmoräne, das Havelländische Luch oder der Innere Oberspreewald. Mit dem Unteren Odertal hat Brandenburg einen Nationalpark. 27 Europäische Vogelschutzgebiete sind hier ausgewiesen, darunter das Luckauer Becken, das Rhin-Havelluch, das Randow-Welse-Bruch oder die Niederlausitzer Heide. So mancher Bauer beschwert sich angesichts der strengen Schutzauflagen, dass ihm durch die Revitalisierung der Moore das Wasser bis zum Hals stünde. So mancher Angler schimpft, dass ihm die Reiher, die sich in den Schilfgürteln angesiedelt haben, die Fische wegfressen.

Streusandbüchse mit größter Seenlandschaft Europas

Um das Image von der Streusandbüchse endgültig loszuwerden, wird die Lausitz in die größte Seenlandschaft Europas verwandelt, mit 14.000 Hektar Wasser. Brandenburg hat dann sogar eine eigene „Ostsee“: der Cottbusser Ostsee mit Stränden aus „Lausitzer Karnickelsand“. Das geschieht in den sogenannten Bergbaufolgelandschaften, den Gebieten im südöstlichen Brandenburg, die durch die Braunkohletagebaue zur Ödnis geworden sind. Ganze Dörfer wurden abgebaggert, die Menschen umgesiedelt. Der Abbau des Lausitzer Flözes ließ klaffende Krater zurück. Schüttungsgebiete. Weißgrauen Abraum.

Heute ist dieses Unland ständig in Bewegung. Aus Schutthalden werden Weinberge. Straßen werden verlegt, aus Hochkippen wird Terrain für den Motorsport. Wälder wandern an Orte, die vorher Ackerflächen waren. Wölfe streifen durch die Rekultivierungslandschaft. Wo die Container der Bergbaugesellschaften standen, schwanken Segelmasten im Wind. Am Ufer einiger Seen gibt es kleine Jachthäfen. Das Holz der Stege riecht frisch. Badegäste liegen im Sand. Es stört sie nicht, beim Schwimmen rote Augen zu bekommen, weil das Wasser noch übersäuert ist. Sackt der Boden unterm Handtuch ab, zieht man weiter zum nächsten Strand. Die aufgeschütteten Ufer haben sich noch nicht ausreichend verdichtet. Rutschungen entstehen, die die Strände vorübergehend zu Sperrgebieten machen. Aber seit der Internationalen Bauausstellung zwischen 2000-2010 liegt der Tagebausee im Trend.

Leere mit viel Spielraum

Landschaftsgestalter können sich an einer Leere beweisen, die viel Spielraum lässt. Auf den weiten Flächen eines Niemandslands, in dem nichts mehr zerstört, alles nur besser werden kann, sind der Gestaltung kaum Grenzen gesetzt. Vor der Hässlichkeit zerfurchter Erde wirkt jede Kunstanstrengung schön. Am noch wasserlosen Kanal, der einmal zwei Seen verbinden wird, ragt ein brauner Aussichtsturm auf. Seine Form spielt auf einen rostigen Nagel an. Eine Seebrücke, die aus einem ausrangierten und aufgemöbelten Tagebau-Absetzer entstand, führt am Rand der ehemaligen Tagebaugrube Meuro hinein in einen künftigen See.

Noch endet die Brücke über einer Wüste aus Unkraut, Gras und Sand. Aber es gibt schon die Seeterrassen am Kippenrand mit Café und Bühne, Klappstühle, um einen Caipirinha in der Sonne zu trinken und sich die Zukunft auszumalen: Wasserbegeisterte werden in schwimmenden Häusern wohnen, Segler gleiten durch einen Kanaltunnel von sieben Metern Höhe unter der Schwarzen Elster hindurch, vom Senftenberger in den Geierswalder See, und soweit das Auge reicht: Süßwassermeer.


Antje Rávic Strubel
Aus: Das Brandenbuch. Ein Land in Stichworten. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, 3. Auflage, Potsdam 2020

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