Aus Bezirken werden Länder

Ein eigenes Land? Das war ein ganz neuer Gedanke in der Fülle all der Ideen, mit denen sich die neuen Machtinhaber 1990 beschäftigen mussten. In Erinnerung an die Anfangsphase der DDR wurde eine Neugründung des Landes Brandenburg aus den Bezirken Frankfurt (Oder), Potsdam und Cottbus vorgesehen.

Die drei DDR-Bezirke, aus denen das Land Brandenburg 1990 gebildet wurde

Die drei DDR-Bezirke, aus denen das Land Brandenburg 1990 gebildet wurde.

Ein eigenes Land? Das war ein ganz neuer Gedanke in der Fülle all der Ideen, mit denen sich die neuen Machtinhaber 1990 beschäftigen mussten. Auch wenn es, vor allem in Sachsen, bereits im Herbst 1989 Forderungen nach einer Wiederbelebung alter Regionalstrukturen gegeben hatte, so gingen die Demonstranten doch vor allem für Demokratie und Freiheit auf die Straße, nicht für eine Ländergründung in Ostdeutschland. Erst als die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten sich als Zukunftsoption abzeichnete, gelangte die Länderneugründung auf die Tagesordnung.

Die DDR war ein zentralistischer Staat, wie die meisten Staaten in Europa. Es gab Bezirke als reine Verwaltungseinheiten. In der Bundesrepublik verfügen die Länder hingegen über eigene politische Entscheidungskompetenzen. Um den Beitritt zu diesem System zu ermöglichen, musste das Gebiet der DDR föderalisiert werden. Auch die noch von den alten Kräften dominierten Räte der Bezirke propagierten die Ländergründung, weil sie die nicht abwendbaren neuen Strukturen frühzeitig mitgestalten und so ihren Machtverlust eindämmen wollten. Die Ländergründung war daher überall politisch unumstritten, wurde bereits von der Regierung Modrow angekündigt und nach den Volkskammerwahlen weitgehend technokratisch von oben gesteuert.

In Erinnerung an die Anfangsphase der DDR wurde eine Neugründung des Landes Brandenburg aus den Bezirken Frankfurt (Oder), Potsdam und Cottbus vorgesehen. Stärker als in den anderen künftigen neuen Ländern dominierten im späteren Brandenburg die Räte der Bezirke den von ihnen initiierten Koordinierungsausschuss zur Landesbildung. Ihm gehörten neben den Vertretern der Räte Abgesandte der Runden Tische der Bezirke und Wissenschaftler an.

Dieser Ausschuss, der sich zum Vorläufer der Landesregierung entwickelte, beauftragte eine Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung eines Verfassungsentwurfes. Juristen erstellten ihn und überarbeiteten ihn zusammen mit Beratern aus dem späteren Partnerland Nordrhein-Westfalen. Im Einvernehmen mit den Runden Tischen der Bezirke wurde er Ende April 1990 veröffentlicht. Dies war der zweite Verfassungsentwurf nach Sachsen.
 

Direkt nach den Kommunalwahlen im Mai ernannte die DDR-Regierung für jeden Bezirk einen Bevollmächtigten, der die alten DDR-Bezirkstage abwickeln und die Umwandlung in neue Verwaltungsstrukturen des künftigen Landes vorbereiten sollte. Dies waren die Regionalvorsitzenden der Parteien, die jeweils in den Wahlen vorn gelegen hatten: im Bezirk Frankfurt (Oder) die damals erst 27-jährige Britta Schellin (heute Stark) von der SPD, im Bezirk Cottbus der langjährige CDU-Funktionär Karl-Heinz Kretschmer (CDU) und im Bezirk Potsdam der dortige SPD-Mitbegründer Jochen Wolf. Bis zur Bildung der ersten Landesregierung waren sie den Kommunen übergeordnet und erhielten bei ihrer Arbeit Unterstützung von der Bundesregierung in Bonn und aus Nordrhein-Westfalen.

In Umsetzung der deutsch-deutschen Vereinbarungen vom Mai 1990 verabschiedete die Volkskammer am 22. Juli 1990 ein Ländereinführungsgesetz und ein Länderwahlgesetz. Darin legte sie unter anderem die Größe der Landesparlamente fest. In Brandenburg sollte es (wie in Thüringen) 88 Sitze umfassen. Der im August ratifizierte Einigungsvertrag zog die ursprünglich für den 14. Oktober 1990 geplante Neugründung der Länder auf den Tag der inzwischen fest vereinbarten Wiedervereinigung vor, den 3. Oktober, hob die meisten Regelungen des Ländereinführungsgesetzes zugunsten der Geltung von Bundesrecht faktisch auf und regelte die Finanzierung der neuen Bundesländer.

Am 5. September benannte der Ministerrat der DDR Jochen Wolf zum „Landessprecher“ Brandenburgs. Er war für alle mit der Länderbildung zusammenhängenden Aufgaben verantwortlich, diente bis zur Bildung der ersten Landesregierung als Verbindungsstelle zu den Gebietskörperschaften, sollte die Tätigkeit der Regierungsbevollmächtigten und Bezirksverwaltungen organisieren und die Bildung einer funktionsfähigen Landesregierung einschließlich der gesamten Verwaltungsorganisation sowie die Erarbeitung von Gesetzesentwürfen vorbereiten. Ihm wurden Beauftragte für die Bildung der künftigen Landesministerien zugeordnet.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

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