Um- und Ausstiege in den Parteien

Trotz des „Brandenburger Wegs“, der breiten Zustimmung zur Verfassung und der großen Sympathie der Bevölkerung für den Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und die „Mutter Courage“ Regine Hildebrandt blieben die Parteien schwach in der Bevölkerung verwurzelt. Während 1990 noch knapp drei Parteimitglieder auf 100 wahlberechtigte Brandenburger kamen, waren es 1994 nur noch zwei

Diestels letzte Rede als Fraktionsvorsitzender; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

Diestels letzte Rede als Fraktionsvorsitzender.

Der Neuanfang in Brandenburg ging mit einer großen inneren Unruhe bei der CDU und Bündnis 90 einher, die über ihr politisches Profil stritten, während SPD, PDS und Liberale eher geschlossen auftraten.

Bündnis 90, das sich 1992 als Partei gründete, war eine Mischung aus Konservativen, Linksalternativen und Personen der politischen Mitte, die in den Spitzenpersonen Nooke, Birthler und Platzeck repräsentiert waren. Es gab ideologische Konflikte, persönliche Animositäten und Machtkämpfe in der Fraktion wie in der Partei insgesamt. Die sechs Mandate, die sie im Landtag innehatte, nahmen in der ersten Legislaturperiode elf verschiedene Personen wahr.

1991 gab es die erwähnten zwei Rücktritte im Zusammenhang mit der Stasi-Überprüfung. Birthler und Platzeck schieden im September 1992 aus dem Landtag aus, weil sie die Auffassung entwickelt hatten, ein Minister dürfte nicht gleichzeitig Parlamentsmitglied sein. Kurz darauf trat Birthler vom Ministeramt zurück und wurde Sprecherin der Bundespartei. Ihr Nachfolger Roland Resch besaß kein Abgeordnetenmandat. Eine Abgeordnete wurde wegen eines Grundstücksskandals aus der Partei ausgeschlossen.

Nur Fraktionschef Günter Nooke und Wolfgang Pohl saßen während der gesamten Legislaturperiode im Landtag. Nooke wandte sich aber wiederum wie Minister Platzeck gegen den Parteizusammenschluss mit den Grünen. Beide traten der neuen Partei nicht bei. Bei dieser Konstellation und Unruhe in der Partei verwundert es nicht, dass die Bündnis (90)-Abgeordneten häufig nicht fraktionseinheitlich abstimmten.

Günter Nooke und Matthias Platzeck 1992
© Simone Römhold

Günter Nooke und Matthias Platzeck 1992

Ebenfalls kaum geschlossen trat die CDU-Fraktion auf. Der durchschnittliche CDU-Abgeordnete wich in neun von 100 namentlichen Abstimmungen von der Parteilinie ab. Dies lag an Konflikten zwischen den Mitgliedern der alten Blockparteien und Neumitgliedern, die für alle neuen Länder typisch waren (Der Spiegel 1991) und an Streit um Unregelmäßigkeiten in den Finanzgeschäften der Fraktion. 1991 kam noch ein West-Ost-Konflikt hinzu, nachdem Lothar de Maizière infolge von Stasi-Vorwürfen vom Vorsitz der CDU Brandenburg zurückgetreten war. Bei der Wahl seines Nachfolgers siegte Ulf Fink gegen die damalige Bundesfrauenministerin Angela Merkel.

Der westdeutsche stellvertretende Bundesvorsitzende des DGB wollte anders als Fraktionschef Peter-Michael Diestel die CDU als Oppositionskraft profilieren und ging dabei in der Partei nicht diplomatisch vor, wie sich Beate Blechinger erinnert. Es häuften sich Konflikte mit Diestel, der seinerseits Alleingänge nicht scheute. Diestel, der die brandenburgische Verfassung mit ausarbeitete, weigerte sich unter anderem, die von Fink vorgegebene Ablehnung durch die CDU mitzutragen und mobilisierte neun weitere Parteikollegen dazu, mit ihm für die Verfassung zu stimmen, darunter Blechinger.

Diestels nachfolgender Rücktritt vom Fraktionsvorsitz beendete die Zerwürfnisse in der CDU nicht. Sie führten zu einer schleichenden Auflösung des Fraktionszusammenhaltes. 1994 gelang es der Partei kaum, einen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl zu nominieren.

Die SPD-Spitzen schafften es aufgrund einer besseren Zusammenarbeit zwischen dem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Birthler, dem Parteivorsitzenden Steffen Reiche und Ministerpräsident Manfred Stolpe sowie mit Verweis auf die Regierungsverantwortung besser, die Abgeordneten auf die Parteilinie einzuschwören, auch wenn die Fraktion nur in knapp vier von zehn namentlichen Abstimmungen wirklich geschlossen auftrat. In der Fraktion sorgte die Mahnung zur Geschlossenheit auch für Frustration, denn viele Abgeordnete hatten das erwähnte Ideal ausführlicher Diskussionen und Teilhabe im Kopf, als sie in den Landtag einzogen, und mussten sich daran gewöhnen, dass es sich in der Amtspraxis oft nicht umsetzen ließ.

Für Unruhe und öffentliche Aufmerksamkeit sorgte bei der SPD die Personalie Jochen Wolf. 1992 beantragte die CDU den ersten Untersuchungsausschuss des Landtages, um Korruptionsvorwürfe gegen ihn zu prüfen. 1993 legte Wolf sein Ministeramt nieder. Ein Jahr später trat er aus der SPD aus und blieb als Fraktionsloser bis zum Ende der Legislaturperiode im Parlament.

Geschlossen trat die PDS-Fraktion auf, die überwiegend aus langjährigen SED-Mitgliedern bestand, so wie Hannelore Birkholz. Die Abgeordneten akzeptierten die inhaltlichen und organisatorischen Überlegungen der Führungstroika aus dem Parlamentarischen Geschäftsführer Heinz Vietze, Fraktionschef Lothar Bisky, der bis 1993 auch Landesvorsitzender und dann PDS-Vorsitzender war, und Michael Schumann, dem innenpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion und Mitglied des PDS-Parteivorstandes. Die Akzeptanz wurde offenbar nicht dadurch geschmälert, dass das Trio eher Vorreiter denn Spiegelbild der Parteibasis war. Anders als bei der CDU, für die das Gleiche galt, agierte die PDS-Spitze gemeinsam und die Abgeordneten waren homogener.

Lothar Bisky und Michael Schumann
© Simone Römhold

Lothar Bisky und Michael Schumann

Am geschlossensten zeigten sich jedoch die sechs FDP-Abgeordneten. Sie sahen dies als beste Möglichkeit, ihre Interessen in und gegenüber der Regierung zu vertreten. Als weiterer Grund für die Geschlossenheit wurde die Erfahrung aus politischen Ämtern genannt, die sie für die LDPD und NDPD ausgeübt hatten. Hinzu kam aber auch, dass die FDP von vornherein nicht anstrebte, Direktmandate in einzelnen Wahlkreisen zu erringen. Bei „heißen Eisen“ wie dem Bombodrom oder den Tagebauen fühlte sie sich nicht unter Druck, Rücksicht auf lokale Stimmungen zu nehmen und es gab keine Spannungen zwischen Partei- und Regionalinteressen.

Arbeitszeugnis durch das Volk

1994 oblag es den Brandenburgern, in den zweiten Landtagswahlen ihren Politikern ein Arbeitszeugnis für ihre Ausgestaltung des Neuanfangs auszustellen. Es fiel ganz unterschiedlich aus. Die SPD wurde für ihre Regierungspolitik belohnt. Sie erhielt fast 100.000 Stimmen mehr als 1990 und erzielte damit einen Zuwachs von 16 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Die neue Regierung 1994; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

Die neue Regierung 1994

Dies übertraf sogar noch den Aufwärtstrend in den Kommunalwahlen vom Dezember 1993. Die PDS gewann gegenüber 1990 ebenfalls dazu: fast 30.000 Wählerstimmen oder gut fünf Prozent. Zu diesem Ergebnis passte, dass 1994 PDS-Kandidat Rolf Kutzmutz beinahe ins Amt des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Potsdam gewählt wurde. Damit gab es in Brandenburg entgegen den bundespolitischen Mehrheiten weiter eine Mehrheit für eine linke Politik und sogar eine absolute für die SPD. SPD und PDS waren die Nutznießer des „Brandenburger Wegs“.

Dies lag auch an der Schwäche der CDU. Sie brach in der Wählergunst wie schon in den vorangegangenen Kommunalwahlen sehr deutlich ein und fuhr die bundesweit schlechtesten Wahlergebnisse ein. Knapp 19 Prozent der Wahlteilnehmer stimmten in den Landtagswahlen 1994 für sie. Bemerkenswert ist, dass die CDU-Anhänger mit dem SPD-Spitzenkandidaten Manfred Stolpe weit mehr sympathisierten als mit ihrem eigenen Herausforderer; er genoss unter ihnen eine so große Zuneigung wie kein Ministerpräsident in Westdeutschland. Viele einstige CDU-Wähler nahmen gar nicht an der Wahl teil.

Die bisherigen Regierungsparteien FDP und Bündnis 90/Grüne erreichten nur gut zwei bzw. drei Prozent der Stimmen und fielen ganz aus dem Landtag heraus. Der Partei BürgerBündnis von einstigen Bündnis-Politikern gelang ebenfalls nicht der Einzug in das Landesparlament.

Viele Bürger verzichteten freiwillig auf ihr demokratisches Recht, die Machtverteilung im Land zu bestimmen. Die Wahlbeteiligung fiel auf 56,3 Prozent der Wahlberechtigten. Das, was 1989/90 für viele so verheißungsvoll klang – freie Wahlen, Rede- und Versammlungsfreiheit –, war alltäglich und verwirrend geworden. Die geringe Bereitschaft zur politischen Beteiligung war zuvor bereits auf der kommunalen Ebene festgestellt worden. Wenige Brandenburger waren bereit, für ein Bürgermeisteramt oder andere kommunale Ämter zu kandidieren.

Wahlbeteiligung Landtagswahl Brandenburg
© BLPB


Trotz des „Brandenburger Wegs“, der breiten Zustimmung zur Verfassung und der großen Sympathie der Bevölkerung für den Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und die „Mutter Courage“ Regine Hildebrandt blieben die Parteien schwach in der Bevölkerung verwurzelt. Während 1990 noch knapp drei Parteimitglieder auf 100 wahlberechtigte Brandenburger kamen, waren es 1994 nur noch zwei.

Die PDS war am Ende des Neuanfangs weiter die mitgliederstärkste Partei. Auf gut 100 Wahlberechtigte kam ein PDS-Mitglied (das meist über 50 Jahre alt war), obwohl die Partei 6.700 Mitglieder von 1991 bis 1994 verloren hatte. Die Christdemokraten büßten 4.100 Mitglieder ein, doch kam wegen ihres hohen DDR-Altbestands 1994 noch auf 200 Wahlberechtigte ein Mitglied. Die SPD stagnierte bei einem Mitglied pro 300 Wahlberechtigte. Die FDP verlor bis 1994 fast zwei Drittel ihrer Mitglieder, die sie fast vollständig von der LDPD und der NDPD übernommen hatte. 1994 kam auf 500 Wahlberechtigte noch ein FDP-Mitglied. Am wenigsten Mitglieder hatte Bündnis 90. Trotz Vereinigung mit den Grünen fiel ihre Zahl bis 1994 auf 469 und damit auf weniger als vor dem Zusammenschluss.

Die starken Zugewinne für SPD und PDS und die Verluste für die anderen Parteien führten 1994 noch einmal zu einem bedeutenden Elitenwandel im Landtag und in der Regierung. Nur 45 der 88 Abgeordneten zogen wieder in das Landesparlament ein. Beinahe jeder Zweite kam also neu hinzu, zumeist als Abgeordneter von SPD und PDS. Das Profil ihrer Abgeordneten änderte sich dadurch.

Bei der CDU-Fraktion ging die Änderung der Mandatszahl ebenfalls mit einem inneren Wandel einher. Es gab nun weniger Abgeordnete, die schon vor 1990 Funktionen in der Partei inne hatten, wie Karl-Heinz Kretschmer, denn sie waren auf schlechteren Listenplätzen oft Opfer der Stimmeneinbußen geworden. Mit dem Ausscheiden der FDP saßen auch keine anderen Nachfolger von Blockparteien mehr in politischen Ämtern. Und Bürgerrechtler verfügten nur noch dann über politischen Einfluss, wenn sie sich in den größeren Parteien organisierten.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

 

Linktipps

Schlagworte

Bewertung
2 Stimmen, Bewertungen im Durchschnitt: 3 von 5

Neuen Kommentar hinzufügen

Eingeschränktes HTML

  • Erlaubte HTML-Tags: <a href hreflang> <em> <strong> <cite> <blockquote cite> <code> <ul type> <ol start type> <li> <dl> <dt> <dd> <h2 id> <h3 id> <h4 id> <h5 id> <h6 id>
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.