Unsere Steuern für ein Kirchending?

Rolf Schieder kritisiert die Selbstverständlichkeit, mit der staatliche Steuermittel für das Reformationsjahr ausgegeben werden. Der Berliner Religionsprofessor findet, alle Steuerzahler, auch die Nicht-Gläubigen, haben das Recht auf eine Erklärung.

Martin Luther als Lego-Figur, gemeinfrei von Pixabay

Professor Schieder, das Gedenken an die Reformation ist 2017 besonders lang und öffentlich. Es wird einen bundesweiten Feiertag geben und auch die Landeszentrale hat zum 500jährigen Jubiläum des Thesenanschlags von Martin Luther einen eigenen Kalender herausgebracht. Sind Sie als Religions-Experte froh über so viel Aufmerksamkeit?

Schieder: Ich habe grundsätzlich nichts dagegen. Aber ich sehe die Selbstverständlichkeit kritisch, mit der die evangelischen Landeskirchen staatliche Steuermittel für die Erinnerung an ein Ereignis ausgeben, das die einen als Reformation, die anderen als Kirchenspaltung und wieder andere als den Anfang vom Ende des Mittelalters deuten. Es ist an der Zeit, dass die staatlichen Geldgeber all den Steuerzahlern, die keiner Kirche angehören, erklären, welchen allgemeinen Nutzen die investierten Gelder haben. Kirchliche Selbstbeweihräucherung sollten weder Bund noch Land unterstützen.

Worin besteht dieser allgemeine Nutzen? Ungefähr 80 Prozent der Brandenburgerinnen und Brandenburger gehören keiner Religion an. Warum sollten ihre Steuern im Gedenken an die Reformation gut angelegt sein?

Die Antwort läuft auf eine weitere Frage hinaus, nämlich: Was können wir als Bürger des 21. Jahrhunderts von Luther, von der Reformation lernen? Aus meiner Sicht hervorragend ist das Bemühen um eine verständliche Sprache. Martin Luthers Forderung, „dem Volk aufs Maul zu schauen“, wird bis heute gern zitiert, aber selten praktiziert. Luther hat mit seiner Sprache dem deutschen Volk Zugang zu Inhalten und Vorstellungen verschafft, die diesem vorher verschlossen waren. Auch der Gedanke von Bildung und Selbstbildung im Sinne des Nachdenkens über uns selbst findet sich bei Luther.

Die Idee, täglich an sich zu arbeiten, wurde in der Reformationszeit durch den konsequenten Ausbau eines Bildungswesens gefördert, dass Bildung für alle vorsah. Das war und ist eine große Errungenschaft, denn Lesen und Schreiben zu können, eröffnet erst den Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Luther richtet sich aber in seinen Schriften immer nur an die „Christenmenschen“.

Prof. Schieder
Professor Dr. Rolf Schieder  lehrt Theologie und Religionspädagogik an der Berliner Humboldt-Universität. Mehr von ihm zum Thema "Reformation für Ungläubige" lesen Sie hier

… und damit hat er unsere politische Geschichte mitgeschrieben. Seine Aussage von 1521 „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan“ war revolutionär. Weil im 16. Jahrhundert fast jeder Untertan ein getaufter Christ war, so kann man diesen Satz durchaus an den Beginn der politischen Freiheitsgeschichte Deutschlands setzen.

Jeder Mensch besitzt eine Freiheit, die ihm niemand rauben kann. Auf dem Glauben an die Freiheit aller Menschen gründet heute noch unsere Demokratie. Die Freiheitsrechte, wie sie im Grundgesetz niedergeschrieben sind, besitzen Ewigkeitsgarantie (GG Art.79, Abs.3).

Auch seine Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ war fundamental und prägt unsere Gegenwart. Er hat darin der Geringschätzung der Arbeit ein Ende bereitet und den Unterschied zwischen einem angeblich höheren geistlichen und einem niedrigeren säkularen, weltlichen, Stand/ Beruf aufgelöst. Unsere heutige Auffassung von Arbeit und Berufen kann man durchaus als Erbe der Reformation sehen, denn in unserer Gesellschaft sind der Müllmann, der Papst, die Politikerin, Lehrerin und der Bundespräsident gleich: beurteilt werden sie danach, ob sie ihren Beruf oder ihre Berufung zum Wohl anderer ausüben.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat Luther als den „ersten deutschen Wutbürger“ bezeichnet und damit eine direkte Linie zu den heutigen Protestbewegungen gezogen.

Als Religionswissenschaftler geht es mir um eine Sensibilisierung für die historisch-kulturellen Prägungen, die wir erhalten haben. Und da erscheint mir eine Eigenschaft Luthers als Reformator bemerkenswert. Bei allem Protest und aller Unbeugsamkeit, die er zeigte und die ihm zugeschrieben wurde, folgte er einem Grundsatz, dem ich bis in die Gegenwart Bedeutung beimesse. Luther war bereit, einen Irrtum einzugestehen, wenn dieser im gemeinsamen Gespräch deutlich wurde.

Übertragen auf heutige Verhältnisse könnte man vielleicht formulieren: Guter Protest unterscheidet sich vom öffentlich geäußerten Hass dadurch, dass man die gemeinsame Grundlage des Dissenses benennt und sich selbst für ebenso irrtumsfähig hält wie jeden anderen Menschen auch. Protestare heißt für etwas einstehen. Gute Parteien erkennt man daran, dass sie für etwas eintreten und nicht gegen alles Mögliche hetzen.

Wenn Sie in einem Satz den allgemeinen Nutzen der Reformation für uns heute Lebende formulieren müssten…?

Themen aus der Zeit der Reformation können uns dabei helfen, uns selbst darüber zu verständigen, woher wir kommen, in welchem Zustand wir sind und was unsere Bestimmung ist.

Vielen Dank für das Gespräch. 

BLPB, Februar 2017 

 

Linktipps

  • Reformation für Ungläubige

    Warum soll die Erinnerung an die Reformation von allgemeinem Nutzen sein? Was kann man von den Reformatoren lernen – auch als Bürger ohne Konfession im 21. Jahrhundert?

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Kommentare

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Leider ist das Grundgesetzgebot zur Trennung von Staat und Kirche bis heute eine Floskel geblieben. Vom STAATLICHEN Einzug der Kirchensteuer als kostenfreie Dienstleistung mit Druck der (staatlichen!) Finanzämter bis hin zur hochgradig vom Staat finanzierten kirchlichen Einrichtungen geht es querbeet durch das tägliche bürgerliche Sein - bis hin zum Einfluß der Kirchenbei den öffentlich-rechtlichen Sendern für Radio und TV.

Das Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen hebelt die allgemin gültige Gesetzeslage aus - in dem Kirchenmoral von vorgestern zur Entscheidungsfindung dient - und so könnte man munter fortfahren.

Aber hier eine grundsätzliche Frage : Ist die Rechtsgrundlage für die staatliche Inkasso-Leistung (Einzug der Kirchensteuer durch die Finanämter) immer noch das Reichskonkordat von 1933 ?
Meines Wissens gibt es eine solche Konstruktion europa- (oder sogar weltweit ?) nur in der Bundesrepublik Deutschland. Warum wohl ....

Sehr geehrter Herr Neumann, in diesem juristischen OnlineMagazin werden die Rechtsgrundlagen, die Sie ansprechen, von einem Kirchenrechtsexperten dargestellt. Sein Fazit: die rechtlichen Grundlagen zur Erhebung der Kirchensteuer sind gegeben. Der entsprechende Artikel des Grundgesetzes ist hier nachzulesen.

Kritischer wird das Thema, darunter auch Ihre Frage nach dem Kirchensteuereinzug, in diesem Beitrag von Deutschlandradio Kultur  bewertet:

Der staatliche Steuereinzug wurde in einem Konkordat von 1933 zwischen der Hitlerregierung und dem Heiligen Stuhl geregelt. Es ist der einzige internationale Vertrag der Nazi-Regierung, der nicht aufgehoben wurde...
Eine derart enge Verbindung von Staat und Kirche ist in der deutschen Verfassung eigentlich nicht vorgesehen...
Erst Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit haben die wechselseitige Durchdringung von Staat und Amtskirchen vorangetrieben - auch zu Lasten Konfessionsfreier und Andersgläubiger.

Und hier noch ein Beitrag aus Kirchensicht, der die Praxis des Kirchensteuereinzugs verteidigt. Sie sehen, Sie haben da ein ganz kontrovers diskutiertes Thema angesprochen.

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