Können Karikaturen die Welt verändern?

Wohl kaum. Kein Millionär wird nach vergnüglicher Betrachtung des satirischen Aufeinandertreffens von Arm und Reich den nächsten Obdachlosen in die Vorstandsetage seines Unternehmens holen. Aber keine gute Karikatur ohne nachhaltige Wirkung. Neben dem Schmunzeln und der Freude über die gelungene Pointe bleibt ein boshafter Widerhaken im Gedächtnis.

Reiner Schwalme

Reiner Schwalme

Reiner Schwalmes Welt-Anschauung ist ganz wörtlich zu nehmen: Er schaut sich die Welt an und gibt ihr (s)einen Rahmen, damit der Blick nicht abschweifen kann und zwingt damit den Betrachter, diesen speziellen "Schwalme-Ausschnitt" wahrzunehmen.

Ein Blick genügt und man sieht, wie die journalistische Nachricht mit zeichnerischen Mitteln verdichtet wird. Ist das nicht genau der Inhalt des lang und mit wohl überlegten Worten analysierenden Kommentars über "die Vor- und Nachteile der Änderung des Gesetzentwurfes über die Auswirkungen der notwendigen Kürzung zur Aufrechterhaltung des Finanzplans zur Deckung der globalen Mindereinnahmen..."?

Die politische Tagesmeldung ist oft gedanklicher Ausgangspunkt und zeichnerischer Mittelpunkt in Schwalmes Karikaturen. Dabei agieren seine Personen im bekannten Milieu: Der Strich sitzt, hat schwungvolle Kurven, macht Figuren einprägsam, Gesichter vertraut - ja, man kennt und erkennt sie, den Meier von nebenan und die Schulzen von gegenüber. Man findet sie am Stehtisch vor der Currywurst-Bude, vor dem Schreibtisch von Chefs oder hinter dem Couchtisch auf dem heimischen Sofa.

Dabei versteckt Schwalme listig die brisante Meldung in einer alltäglichen Geschichte. Keiner kann staunende Arglosigkeit besser zeichnen als er, ebenso - und Klischees sind erlaubt - wie die dumm-gefährliche Dünkelhaftigkeit, die unabhängig von Hierarchien daherkommt. Seine Figuren sind in ihrer Normalität für jeden wiedererkennbar. Er arrangiert sie meist paarweise, um sie dann dramarturgisch geschickt ins Gespräch kommen zu lassen.

Bei Rainer Schwalme sind die sogenannten "Bildunterschriften" immer integriertes kalligraphisches Gestaltungselement. Zu oft mußte er Textänderungen hinnehmen, seitdem "zeichnet" er seine Kommentare selbst und bewahrt sie damit vor redigierenden Eingriffen. Und er hat guten Grund, seine kleine Geschichte vor Veränderungen zu schützen, denn erst durch den Dialog gelangt die bereits hinreißend komische Zeichnung zum satirischen Kulminationspunkt.

Schwalme läßt uns nie im Unklaren, wem seine Sympathie gilt. Es sind die Verlierer, die Schwachen, die Nichtcleveren, eben die, die oft "gar nichts" mehr haben. Ihre Schicksale bewegen ihn. Wie groß ist der Schritt vom Haben zum Nichthaben? Dass es manchmal nur ein Schrittchen ist, das zeigt uns Reiner Schwalme in seinen Karikaturen, die er ganz treffend "gezeichneten Journalismus" nennt.

Martina Schellhorn
Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung

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