Die Bekennende Kirche und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Was war eigentlich die Bekennende Kirche, was wollte sie, welche Rolle spielte Dietrich Bonhoeffer und in was für einer Beziehung stand Albrecht Schönherr zu beiden? Ein Vortrag von Dr. Anke Silomon zur Geschichte der "Bekennenden Kirche" in Brüssow.

Aufschrift in der Kirche von Brüssow "Und führe uns nicht in Versuchung ..."
© MW

In der Kirche von Brüssow

Albrecht Schönherr, der [...] in Brüssow seine erste Pfarrstelle innehatte, war Mitglied der Bekennenden Kirche. Das war auch ein Grund dafür, dass es schwierig war für den jungen Pfarrer, überhaupt eine Stelle zu bekommen. Denn die Deutschen Christen, die von den Nationalsozialisten gefördert wurden und die meisten Kirchenleitungen im Deutschen Reich übernommen hatten, verhinderten nach Kräften, dass der Bekennenden Kirche nahestehende Pfarrer reguläre Pfarrstellen erhielten. Schönherr aber hatte Glück!

Mit dem nebenstehenden Vortrag von Dr. Anke Silomon zur Geschichte der "Bekennenden Kirche" in Brüssow, wurde ein Projekt der politisch-historischen Bildung abgeschlossen. Jugendliche erforschten diese Zeit, interviewten ihre Großeltern und andere Zeitzeugen und schauten in Archive.

Unter Leitung von Pfarrer Matthias Gienke flossen diese Erkenntnisse in die Neugestaltung des Vorraums der Brüssower Kirche ein. Hier begann in den 1940iger Jahren Albrecht Schönherr, als Pfarrer der Bekennenden Kirche, der Toten des 2. Weltkrieges zu gedenken.

Dieses von ihm begonnene Werk wurde 70 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus von der Brüssower Gemeinde nach einem längeren Aufarbeitungsprozess vollendet. Die Landeszentrale war als Unterstützerin dabei.

Generalfeldmarschall August von Mackensen war Gutsherr und Patron von Brüssow. Mackensen war zwar kein Gegner der Nationalsozialisten, aber ein ziemlich frommer Mann, dem die Kirchenpolitik der Nationalsozialisten nicht gefiel, weil sie seiner Meinung nach zu einer Entfremdung der Menschen von der Kirche führte. Und im damaligen Pommern gab es noch das Kirchenpatronat, eine Regelung, die aus dem Mittelalter stammte und bedeutete, dass ein Gutsherr sozusagen die Schirmherrschaft über eine Kirche übernehmen konnte, die auf seinem Land lag. Und er durfte selber den Pfarrer auswählen und erhielt einen besonderen Sitzplatz in der Kirche.

Nachdem der Pfarrer von Brüssow 1937 gestorben war, schlug Stephanie von Mackensen-Astfeld, die mit der Bekennenden Kirche sympathisierte, ihrem Onkel August von Mackensen vor, den „Illegalen“, Albrecht Schönherr, für eine Probepredigt einzuladen. Illegal deswegen, weil Schönherr, der bis zu diesem Zeitpunkt die Studenten in Greifswald seelsorgerlich betreut hatte, aus dem Predigerseminar Dietrich Bonhoeffers stammte, das durch einen Erlass Heinrich Himmlers am 30. September 1937 geschlossen worden war. Obwohl Schönherr selbst meinte, dass das Predigen nicht seine größte Stärke war, muss er Mackensen gefallen haben. Der Co-Patron aus dem benachbarten Menkin, Gutsbesitzer Joachim von Winterfeld, wurde eher überrumpelt denn überzeugt, Schönherr als Pfarrer nach Brüssow zu holen. Trotz der Patronatsregelung musste das kirchliche Konsistorium ebenfalls der Berufung zustimmen. Das war allerdings das geringste Problem, denn Mackensen war eine Respektsperson. Nach einem Jahr als Hilfspfarrer wurde Albrecht Schönherr dann im Oktober 1938 offiziell als Pfarrer eingeführt.

Er hat Inhalte oder besser Überzeugungen der Mitglieder der Bekennenden Kirche [...] in (der) St. Sophien (Kirche in Brüssow) auf die Orgelemporenbrüstung malen und schreiben lassen, als er kurz vor dem Zweiten Weltkrieg damit begann, die Kirche renovieren zu lassen. Sie sind versteckt in den Gleichnissen und Bibelsprüchen, und es ist selbst für Theologen nicht ganz einfach, die Botschaft zu entschlüsseln, zumindest nicht auf den ersten Blick und zweifelsfrei. [...]

Dr. Anke Silomon bei ihrem Vortrag in der Kirche in Brüssow am 19.07.15. Foto: MW
© MW

Dr. Anke Silomon bei ihrem Vortrag in der Kirche in Brüssow am 19.07.15.

Was war die Bekennende Kirche?

Was war eigentlich die Bekennende Kirche, was wollte sie, welche Rolle spielte Dietrich Bonhoeffer und in was für einer Beziehung stand Albrecht Schönherr zu der Bekennenden Kirche und Dietrich Bonhoeffer?

Das möchte ich in meinem Vortrag heute skizzieren.

Die deutschen Protestanten, die vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus die Grundlage für verhaltenen oder offenen Widerstand von Christen bildeten, waren zum Beispiel die Anhänger der dialektischen Theologie des Schweizer Theologen Karl Barth. Sie betonten die Gültigkeit der Königsherrschaft Christi in allen Lebensbereichen. Folgerichtig wandten sie sich gegen eine Eigengesetzlichkeit der Politik und forderten die Orientierung des menschlichen Rechts am göttlichen Recht ein. Sie waren zumeist Reformierte und schlossen sich während der nationalsozialistischen Herrschaft in der Bekennenden Kirche zusammen. Sie taten dies in Abgrenzung von den Deutschen Christen, die gefördert von den Nationalsozialisten die Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche übernahmen. Der Widerstand der Bekennenden Kirche war aber zunächst kaum oder gar nicht politisch begründet, sondern diente der Wahrung der theologischen Grundlagen der Deutschen Evangelischen Kirche, also des christlichen Bekenntnisses und richtete sich gegen die von den Deutschen Christen beherrschten Kirchenleitungen.

1993 in Wilhelmsruh
Horizont und Mitte
Albrecht Schönherr – Pfarrer und Bischof in zwei Diktaturen

Schönherr wird als eine herausragende Persönlichkeit des deutschen Protestantismus gewürdigt. Die Ausstellung informiert auch über die Geschichte der protestantischen Kirche in zwei Jahrhunderten.

Gegen den Versuch der Nationalsozialisten, die evangelische Kirche ideologisch und organisatorisch gleichzuschalten, gab es keine gesamtkirchliche Gegenwehr. Es handelte sich um eine protestantische Minderheit, die die Bekennende Kirche bildete. Mitte des Jahres 1934 verabschiedete sie auf ihrer ersten Synode in Barmen die Barmer Theologische Erklärung. Die dort anwesenden 139 Vertreter aus 18 deutschen evangelischen Landeskirchen brachten in 6 Thesen in erster Linie ihre Ablehnung der staatlichen Vereinnahmungsversuche und der Verfremdung des christlichen Bekenntnisse durch die Deutschen Christen zum Ausdruck*.

Die aus heutiger Sicht ebenso dringliche Ablehnung der Verletzung von Menschenrechten durch das NS-Regime lässt sich höchstens zwischen den Zeilen herauslesen oder als selbstverständlich zum christlichen Zeugnis gehörend mitdenken. Viele Mitglieder der Bekennenden Kirche begrüßten zunächst den nationalen Aufbruch und die Wiederherstellung staatlicher Autorität nach dem Scheitern des parlamentarischen Systems am Ende der Weimarer Republik. Der meistzitierte Satz aus der 1. Barmer These, der die Basis der ganzen Erklärung bildet, lautet:

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse, Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung
erkennen.“

Welche Rolle spielte Dietrich Bonhoeffer?

Der viel gelesene Theologe Dietrich Bonhoeffer, dessen Schriften maßgeblich von Karl Barths dialektischer Theologie beeinflusst waren, verstand die Barmer Theologische Erklärung als Impuls und Grundlage seiner aktiven Beteiligung am (auch politischen) Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. Er war beteiligt an der Planung des missglückten Attentats auf Hitler, das Fabian von Schlabrendorff am 13. März 1943 zu verüben versuchte und Mitwisser des ebenfalls gescheiterten Attentats und Staatsstreichs vom 20. Juli 1944*, also fast auf den Tag vor 71 Jahren.

Albrecht Schönherr begegnete Dietrich Bonhoeffer zum allerersten Mal im Wintersemester 1931/1932 in Berlin, wo dieser, nur wenige Jahre älter als Schönherr, als Privatdozent lehrte und sich offenbar durch seine dichten Vorträge, immer auf das Zentrum des Glaubens bezogen, von den anderen Lehrkräften abhob. Man habe den Eindruck gehabt, so schreibt es Schönherr in seinen Erinnerungen, was Bonhoeffer sage, vertrete er mit seiner ganzen Person. Das gelte auch für die Gottesdienste, die Bonhoeffer als Studentenpfarrer an der Technischen Hochschule in der kriegszerstörten Berliner Dreifaltigkeitskirche hielt. Bonhoeffer lud seine Studenten auch in eine Jugendherberge ein, um christliches Leben „unter dem Wort“ zu praktizieren. Man könnte dieses Treffen als Vorstufe zu dem 1935 in Finkenwalde gegründeten Predigerseminar bezeichnen.

Albrecht Schönherr nahm auch an dem sogenannten Bonhoefferkreis teil, der sich donnerstagnachmittags in Dietrich Bonhoeffers Elternhaus traf, um vor allem die Frage zu diskutieren, was christliches Leben sei und wie man sich unter nationalsozialistischer Herrschaft ethisch verantwortlich verhalten könne. Es wurden Informationen ausgetauscht und die Aktionen der Bekennenden Kirche geplant. Als Martin Niemöller, Mitglied der Bekennenden Kirche plante, den Deutschen Christen beizutreten, um den „Laden von innen aufzurollen“, brachte ihn Dietrich Bonhoeffer mit folgendem Gleichnis davon ab:

Wenn ich in den falschen Zug steige, nützt es nichts, im Gang gegen die Fahrtrichtung zu laufen. Ich werde immer am falschen Ort ankommen“.*

Albrecht Schönherr wuchs also durch den Einfluss Bonhoeffers in die Bekennende Kirche hinein, meldete sich vom Berliner Konsistorium ab und stellte sich – nach dem Ende seines Vikariates in Potsdam – vollends in den Dienst der Bekennenden Kirche. Er unterschrieb Anfang Oktober 1934, ein knappes halbes Jahr nach der ersten Bekenntnissynode von Barmen, auf der die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet wurde, die sogenannte Rote Karte, die ihn offiziell als Mitglied der Bekennenden Kirche auswies. Auf der zweiten Reichsbekenntnissynode, am 19. und 20. Oktober 1934 in Berlin-Dahlem, verabschiedete die Bekenntnissynode das „Dahlemer Notrecht“ und proklamierte den Reichsbruderrat als legitime Leitung der Kirche, während den offiziellen, von den Nationalsozialisten durchsetzten Kirchenbehörden keine Autorität mehr zuzuerkennen sei. Denn die Theologie der Deutschen Christen von den „Schöpfungsordnungen“, zu denen diese Volkstum, Rasse und Staat zählten, sei weit entfernt vom Augsburger Bekenntnis.

Das, was in der Barmer Theologischen Erklärung bekannt und gefordert worden war, wurde in Berlin-Dahlem tatsächlich in kirchliche Entscheidung und gemeindliches Handeln umgesetzt. Im April 1935 wurde Schönherr ins neugegründete Predigerseminar in Zingst berufen, das später nach Finkenwalde verlegt wurde. Hier lebten die jungen Kandidaten der Theologie wie im Kloster und wurden zu selbstständigen, kritisch denkenden und verantwortungsvollen Pfarrern.

Christliche Möglichkeiten des Widerstands

Nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht im März 1935 kamen die jungen Männer bei einer Debatte über das richtige Verhalten im Kriegsfall überein, „dass sowohl Wehrdienst wie Wehrdienstverweigerung christliche Möglichkeiten sein müssten“*. Was die Frage des zu leistenden Eides anbelangte, unterschied Schönherr zwischen dem Soldateneid, der dem Vaterland gelte und dem Beamteneid, mit dem er sich dem Regime verpflichte. Dennoch könne ein jeglicher Eid nur unter dem „deutlichen Vorbehalt“ geschworen werden, nicht gegen Gottes Gebote handeln zu dürfen.*

Am 5. April 1936 wurde Schönherr von Generalsuperintendent Otto Dibelius ordiniert, und zehn Tage später heiratete er in Falkensee Hildegard Enterlein. Es erstaunt nicht, dass Dietrich Bonhoeffer die Trauung vornahm. Vom Bruderrat der Altpreußischen Union wurde Schönherr nach Greifswald geschickt, um dort das Theologiestudentenamt wahrzunehmen. Dort schlug ihm ein ordentlicher Gegenwind von den Professoren der Theologischen Fakultät entgegen, weil er, ein Mitglied der Bekennenden Kirche, sich mit seiner seelsorgerlichen Tätigkeit zwischen Studenten und Lehrer dränge. Schönherr folgte denn auch im Sommer 1937 gerne dem Rat von Präses Kurt Scharf, sich auf Pfarrstellen in Gegenden zu bewerben, wo das Patronatsrecht noch galt. In Brüssow wurden Schönherr und seine Frau von der Gemeinde freundlich empfangen und konnten sich schnell einrichten. Am 1. Advent 1937 hielt Schönherr seine Antrittspredigt.

Schon früh, nämlich bereits bei der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, hatte Dietrich Bonhoeffer erkannt, dass Adolf Hitler Deutschland in einen Krieg führen würde. Vom Inhalt der klugen und mutigen Predigt, die Schönherr zwei Tage nach Kriegsbeginn [...] in der Kirche (in Brüssow) hielt, hat Matthias Gienke schon berichtet in seiner Predigt vorhin. Im November 1939 begann dann Schönherr mit einer gründlichen Restaurierung der Kirche. Die überbreiten Emporen wurden gestutzt, „der bereits an das Uckermärkische Museum in Prenzlau abgegebene barocke Kanzelaltar kehrte zurück. Ein nach Erkenntnissen der Orgelbewegung konzipiertes Instrument wurde von [der bekannten Firma] Schuke (Potsdam) gebaut. Die ganze Kirche bekam durch [den Maler] Professor Thol ein heiteres, helles Gesicht. Die Emporenfelder zeigen Abbilder der wichtigsten Gleichnisse Jesu. Auf dem tragenden Balken entlang der Empore ist mit goldenen Buchstaben Paul Gerhardts Bekenntnislied ‚Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich‘ aufgezeichnet“.*

So hat es Schönherr selbst in seinen Erinnerungen beschrieben, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er bei der Umgestaltung des Kirchenschiffs die Überzeugungen der Bekennenden Kirche hat abbilden lassen. Doch was Schönherr betont ist, dass sich in den Gottesdiensten zeigte, dass Brüssow eine Bekennende Gemeinde war: „Wie überall in den Bekennenden Gemeinden haben wir auch in Brüssow im Gottesdienst das gemeinsame Sprechen des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers eingeführt. Das Abendmahl wurde im Gottesdienst, nicht mehr im Anschluss an ihn gehalten“.*

Christliches Leben sollte gelebt werden, wie Bonhoeffer es im Predigerseminar praktiziert hatte. Die Verkündigung sollte auf dem Fundament von Glauben und Kirche, Jesus Christus in der Bibel, fußen.

Am 1. Dezember 1939 schrieb Schönherr an seine Mutter Ida:
„Ich habe jetzt den Kopf sehr voll mit meinem Kirchenbau. Der soll ja nun mit Gewalt fertig werden Aber 14000 RM sind noch 'ranzuschaffen. Das bringt viel Schreibe- und Rechnerei. Dann wird alles aber auch sehr schön. Die Maler werken jetzt tüchtig und kommen gut vorwärts. Ja, an so was denkt man jetzt noch. Aber das gehört auch dazu. Wenn man vielleicht auch alle Augenblicke eingezogen werden kann und der Krieg immer mehr zum Weltkrieg wird. Es ist toll! [Damit meint Schönherr natürlich in dem früheren Wortsinn von „toll“ irre oder verrückt] [...] Im Predigen bin ich diesen Sommer ja doch weitergekommen. Vor allem habe ich dazugelernt, den Dingen bis in den praktischen Alltag hinein nachzugehen. Wenn ich so weit war, habe ich das immer an Mackensens energischem Kopfnicken gelernt. Denn für ihn muss jede Predigt etwas Handfestes für den Alltag bringen.“

Schönherr hatte anfangs versucht, der Gemeinde seine neuesten Erkenntnisse über die Deutung von Bibeltexten nahezubringen und sich ein wenig gewundert, dass die Reaktionen eher verhalten waren, kein allzu großes Interesse in der Gemeinde zu spüren war. Dazu schreibt er in seinen Erinnerungen: „Mit der Zeit lernte ich, dass eine Predigt erst dann Verkündigung ist, wenn sie durch den Prediger hindurch bis in das Alltagsleben der Menschen vordringt. Wenn ich das einmal geschafft hatte, nickte Mackensen deutlich mit dem Kopf. [...] Noch heute, nach fast sechzig Jahren ‚Übung‘ [Schönherr schreibt dies 1993, da war er Anfang 80], macht mir eine Predigt Mühe. Eine gute Schule war mir später der Militärdienst; im täglichen Miteinander mit einfachen Menschen lernte ich deren Freuden und Nöte erst richtig kennen, achten und ansprechen“.*

Für ebenso wichtig erachtete Schönherr den Besuchsdienst, in dem er mit Kranken, Alten, Jubilaren und anderen Christenmenschen Kontakt aufnahm. Weil er damit die Menschen mehr erreichte als mit theologischen Spitzfindigkeiten. Die gehörten für ihn natürlich auch mit zum Pfarrerberuf, aber er musste sie übersetzen, dolmetschen, um sie für die Gemeinde verständlich zu machen. Schönherr nahm an den Pfarrkonventen der Bekennenden Kirche teil. Dort erhielt er wichtige Informationen über Verhaftungen, Ausweisungen und Behinderungen von Mitgliedern der Bekennenden Kirche. Die Fürbittenliste, die Schönherr in jedem dritten oder vierten Gottesdienst verlas, umfasste zweitweise über einhundert Namen.

Im Januar 1940 wurde Schönherr zum Kriegsdienst eingezogen und blieb bis zum Dezember im Feld. Nach seiner Rückkehr kamen die ersten Todesmeldungen, und weil es ihm keine ausreichende Trauerarbeit zu sein schien, die Gefallenen im Gottesdienst nur abzukündigen, begann er, Kreuze für die gefallenen Brüssower im Kirchenvorraum aufzuhängen. Diese Zeichen wurden von den Angehörigen gern angenommen und noch lange nach Kriegsende hingen Kränze an den Tafeln.

Am 9. Oktober 1941 schrieb er aus Brüssow an seine Mutter Ida:
„Auch sonst haben wir jetzt Großkampfzeit, am 28. 9. Tag der Inneren Mission, wenig (63) Leute, 63 M. Kollekte. Erntedankfest war die Kirche wirklich stoppenvoll, so, dass kaum noch ein Platz war, 250 Leute. Es ist doch schön, das mal zu erleben. Anschließend hatte ich die erste Gedächtnisfeier hier. Dazu blieben fast alle da. Ich hatte für jeden Gefallenen ein Kreuz machen lassen, aus Eiche mit eingeschnitztem Namen. Die hänge ich im Turmvorraum der Kirche auf und habe somit zugleich etwas Endgültiges. Die Kreuze kann man ja immer wieder umgruppieren. Die Feier mache ich zweiteilig, ähnlich wie auf dem Friedhof, zuerst in der Kirche, dann am Gedächtniskreuz. Inzwischen habe ich schon wieder einen Gefallenen. Dafür ist die Feier aber erst in 2 Wochen. Ich denke, die Art der Feier war recht eindrucksvoll. Ich hab auch sehr schlicht gepredigt zum Erntedankfest, so dass auch die, die sonst gar nicht kommen, etwas gehabt haben dürften.“


Auch zwischen Januar 1942 und Mai 1945 war Schönherr – von einigen Urlaubsaufenthalten abgesehen – als Soldat der Wehrmacht im Krieg. Während eines dieser Sonderurlaube in den ersten Februartagen des Jahres 1943, fand die Einweihung des restaurierten Kirchenschiffs statt. Von Mai 1945 bis Mai 1946 war Schönherr in Kriegsgefangenschaft. In den letztlich doch ziemlich langen Zeiten seiner Abwesenheit kümmerte sich Schönherrs Frau Hilde um die Gemeinde und all ihre Belange. Davon hat uns Valentin Schönherr, der Enkel der Beiden, im vergangenen Jahr ausführlicher berichtet. Sie verbrachte nicht nur alle neun Jahre in Brüssow, sondern hat als Pfarrfrau, Kirchenmusikerin und Katechetin das Gemeindeleben wesentlich mitgeprägt. Vor allem aber hat sie in den letzten Kriegsmonaten und im ersten Jahr nach Kriegsende die pfarrdienstlichen Aufgaben weitgehend allein übernommen. Zwar war diese Rolle aus der Not geboren, aber Hilde Schönherr hat weit mehr als nur das Nötigste getan. Ende 1945 wurde sie vom Berlin-Brandenburgischen Konsistorium auch formell als „kommissarische Verwalterin der Pfarrstelle Brüssow“ anerkannt – zu einer Zeit, als sich für Frauen die Möglichkeit, regulär in den Pfarrberuf einzutreten, noch nicht einmal am Horizont abzeichnete.

Das Attentat

Wie ging es weiter mit Dietrich Bonhoeffer? Am 5. April 1943, kurz nach den ersten beiden missglückten Attentaten von Angehörigen der Abwehr auf Hitler, wurde Dietrich Bonhoeffer mit dem Vorwurf der „Wehrkraftzersetzung“ verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis der Wehrmacht in Tegel gebracht. Im September 1943 wurde Anklage gegen Bonhoeffer erhoben, das Strafverfahren jedoch von einem dem Widerstand nahestehenden Heeresrichter verzögert. Die Gestapo konnte Bonhoeffer auch nach dem fehlgeschlagenen „Tyrannenmord“ Claus von Stauffenbergs vom 20. Juni 1944 lediglich seine Beteiligung am Widerstand, jedoch keine direkte Mittäterschaft am Attentat nachweisen. Er verzichtete am 5. Oktober auf seine bereits geplante Flucht, um seine Angehörigen vor der drohenden „Sippenhaft“ zu schützen.

Bonhoeffer wurde am 8. Oktober 1944 in die Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin, wo sich heute das eindrucksvolle Museum „Topographie des Terrors“ befindet, gebracht. Am 19. Dezember 1944 schrieb er einen Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer, in dem er unter anderem betonte, dass ihm seine Angehörigen immer nahe seien und er sich nicht verlassen fühle [...]

Bonhoeffer legte diesem Brief ein Gedicht “als Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister” bei, in dem er seine Gefühle im Gefängnis der Gestapo, fern von den geliebten Menschen beschrieb. Dieses Gedicht wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs berühmt und an die 50 Mal vertont. Ins Evangelische Gesangbuch wurde es als Nummer 65 zur „Jahreswende“ aufgenommen. [...]

Den letzten Brief an seine Eltern verfasste Bonhoeffer am 17. Januar 1945. Drei Wochen später wurde er in das  Konzentrationslager Buchenwald gebracht, und auf Befehl Hitlers vom 5. April 1945 zusammen mit den noch lebenden inhaftierten „Verschwörern“ des 20. Juli, unter ihnen Wilhelm Canaris und Hans Oster, von einem NS-Standgericht zum Tode verurteilt. Die Verhandlung, bei der weder Zeugen vernommen noch Verteidiger anwesend waren und über die kein Protokoll geführt wurde, fand am 8. April 1945 statt. Als Ankläger fungierte Walter Huppenkothen, der verantwortlich war auch für die Hinrichtung von Bonhoeffers Schwager Hans von Dohnanyi. Huppenkothen wurde nach dem Krieg wegen „besonderer Grausamkeit“ zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Am frühen Morgen des folgenden Tages, dem 9. April 1945, wurde Bonhoeffer mit seinen zur Hinrichtung bestimmten Mithäftlingen nackt zum Galgen geführt. Er starb nach Aussage des Lagerarztes in wenigen Sekunden.

Albrecht Schönherr hat 1990 im gerade wiedervereinigten Deutschland an Worte erinnert, die Dietrich Bonhoeffer nach zehn Jahren brutaler Naziherrschaft notierte:

Da die Zeit das kostbarste, weil unwiederbringlichste Gut ist, über das wir verfügen, beunruhigt uns bei jedem Rückblick der Gedanke etwa verlorener Zeit. Verloren wäre die Zeit, in der wir nicht als Menschen gelebt, Erfahrungen gemacht, gelernt, geschaffen, genossen und gelitten hätten. Verlorene Zeit ist unausgefüllte, leere Zeit. Das sind die vergangenen Jahre gewiss nicht gewesen, Vieles, Unermessliches haben wir verloren, aber die Zeit war nicht verloren.

Zwar sind gewonnene Erkenntnisse und Erfahrungen, deren man sich nachträglich bewusst wird, nur Abstraktionen vom  Eigentlichen, vom gelebten Leben selbst. Aber wie Vergessenkönnen wohl eine Gnade ist, so gehört doch das Gedächtnis, das Wiederholen empfangener Lehren, zum verantwortlichen Leben. Aber die Zeit war nicht verloren!"


Dr. Anke Silomon zur Geschichte der "Bekennenden Kirche" in Brüssow am 19.07.2015. Der Vortrag wird hier in leicht gekürzter Form veröffentlicht. Auslassungen und Kürzungen werden durch [...] gekennzeichnet, Erläuterungen der Landeszentrale durch runde Klammern.

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Kommentare

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Mein Großvater Bernhard Trittelvitz hat während des Dritten Reichs ein Gedicht geschrieben, das dem Vernehmen nach in den Reihen der bekennenden Kirche verbreitet war. In einem Nachruf zum 50. Todestag wurde eine stark von der Druckfassung abweichende Version zitiert, was eine mündliche Verbreitung nahelegt. Ist darüber noch etwas bekannt?

Hier das Gedicht:

https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Bernhard_Trittelvitz#Bekennend…

nein

Kann nicht mal eine Seite ein ganzes Referat über die bekennende Kirche schreiben, damit wir innerhalb der vorgegebenen 90 Minuten eine ganze PPP fertigstellen können!? Am besten zu folgenden Fragen/Themen
-Was ist die bekennende Kirche?
Mitglieder
-Verhältnis zu Staat und Kirche
-Was hat sie bewirkt?
-Chronlogischer Ablauf und Geschichte
-Umgang des NS-Staates mit der bekennenden Kirche
-Zusatz: Barmer Theologische Erklärung
Dieser Zeitaufwand ist nicht machbar. Bitte helfen sie uns, ich komme nicht weiter.... .

Wikipedia wäre halt zu lang und zu auffällig, was den Textinhalt und den Umfang angeht, könnt ihr unsere Situation nachvollziehen?
Wir bitten um dringende Hilfe!!!

Dieser Beitrag ist aus Anlass eines ganz konkreten Projekts entstanden. Wir haben als Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung einen ganz klaren Auftrag. Einen PPP Vortrag zur Bekennenden Kirche für 90 Minuten zu servieren, gehört nicht dazu. Wir empfehlen Ihnen die wunderbaren Fachbibliotheken der Universitäten in Potsdam oder Berlin. Sicher stoßen Sie auf viel Lesenswertes. Das gedruckte Buch sollten Sie nicht verschmähen. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Landeszentrale

Anke Silomon hat den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Frömmigkeit und Beheimatung zusammengeführt, wie es dietrich Bonhoeffer und die Schönherrs gelebt haben. Danke!

Gerade so kurz nach dem 20. Juli, dem Gedenktag an die Hitlerattentäter, bei Ihnen den Vortrag zur Bekennenden Kirche zu finden, ist sehr beeindruckend. Gut zu wissen, dass sich in Brüssow heutige Generationen mit dem Erbe von Dietrich Bonhoeffer und Albrecht Schönherr auseinandersetzen. Danke auch Frau Dr. Anke Silomon für die beeindruckenden Ausführungen!

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