Zehn Jahre politische Bildung unter der wissenschaftlichen Lupe

Tagungsbericht

Trägerkonferenz in der Landeszentrale
Trägertagung 2012 - Blick in den Seminarraum der Landeszentrale

Trotz Schnee und sibirischer Kälte waren am 09. Februar 2012 viele Interessierte in die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung gekommen, um an der Trägerkonferenz 2012 teilzunehmen. Die jährliche Tagung ist ein Gemeinschaftsprojekt der Landeszentrale und der Landesarbeitsgemeinschaft politisch-kulturelle Bildung im Land Brandenburg e. V., die dieses Mal unter dem Thema „Praxisforschung nutzen, politische Bildung weiterentwickeln“ stattfand. Zu Gast war Frau Dr. Helle Becker, die den Anwesenden die Ergebnisse ihrer Studie vorstellte.

Förderung hat Vorrang


Dr. Martina Weyrauch

Dr. Martina Weyrauch

Frau Dr. Martina Weyrauch begrüßte die teilnehmenden Vertreter der Träger politischer Bildung mit den Worten „Wir sind für Sie da!“. Gemeint war, dass die Mitarbeiter der Landeszentrale wie in den Jahren zuvor auch in 2012 für die Fragen, Probleme und Anregungen der politischen Bildner in Brandenburg offen sind.

Zu dieser Unterstützung gehöre auch der Veranstaltungskalender, der Teil der neuen, interaktiven Website der Landeszentrale sei. Hier biete sich für die Träger eine zusätzliche Werbemöglichkeit, bei der sie ihre Veranstaltungen mit ihren eigenen Werbetexten bestücken und durch die Kommentarfunktion auch im Nachhinein noch lebendig diskutieren könnten.

Die Leiterin der Landeszentrale lobte ausdrücklich die thematische Breite der durch die Träger in Brandenburg realisierten politischen Bildungsangebote. Auch die Landeszentrale werde sich im kommenden Jahr wieder vielen aktuellen Themen wie z.B. dem demografischen Wandel, der direkten Demokratie, Problemen der Landespolitik und dem Rechtsextremismus widmen.


Dr. Helle Becker

Dr. Helle Becker

Frau Dr. Helle Becker ist mit dem Büro Expertise & Kommunikation in der Bildung als freie wissenschaftliche Publizistin, Autorin und Journalistin, als Projektmanagerin und in der Jugend- und Erwachsenenbildung selbständig tätig. Sie leitete das Projekt Praxisforschung nutzen, politische Bildung weiterentwickeln – Studie zur Gewinnung und Nutzbarmachung von empirischen Erkenntnissen für die politische Bildung in Deutschland, das als Grundlage für ihren Vortrag auf der Trägerkonferenz diente.

Der Bundesausschuss politische Bildung (bap) und der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB) hatten das Projekt im Jahr 2009 auf die Beine gestellt. Ergebnisse und Schlussfolgerungen fasste Frau Becker für das Publikum in der Landeszentrale zusammen.


Orientierung auf die Praxis

Bei der Auswertung der empirischen Arbeiten zur außerschulischen politischen Erwachsenen- und Jugendbildung der letzten zehn Jahre stellte sich heraus, dass zwar für die Praxis relevante Ergebnisse in Ansätzen vorhanden seien, ihre Vertiefung und Nutzbarmachung allerdings auf Grund verschiedenster Hindernisse beschränkt sei. Die Beforschung des Feldes werde nur in seltenen Fällen interdisziplinär durchgeführt, sodass Erkenntnisse einzelner Wissenschaften wie der Erziehungs- oder der Politikwissenschaft nicht wechselseitig nutzbar gemacht werden könnten.

Zudem seien die Forschungsschwerpunkte abhängig von den Interessen der meist aus dem öffentlichen Bereich stammenden Zuwendungsgeber, die einen Großteil der Studien finanzierten. Dadurch würden einige Fragen, die besonders für die alltägliche Arbeit der Träger politischer Bildung relevant seien, selten Gegenstand der Untersuchung. Helle Becker zieht deshalb das Fazit, dass sowohl Ressourcen als auch Akteure stärker als bisher zusammengeführt werden sollten. Eine gleichzeitige Einbindung von Trägern, Forschern und Politik könne dazu führen, dass sich die Forschungsfragen stärker an den Belangen der Praxis orientierten und eine langfristig zusammenhängende Wirkungsforschung möglich werde.

 

Vernetzung könnte helfen

Während der anschließenden Diskussion stellten die Anwesenden fest, dass eine stärkere Beteiligung der einzelnen Träger aus Brandenburg zwar wünschenswert sei, die beschränkten personellen und finanziellen Ressourcen dies jedoch kaum zuließen. Allerdings könne eine stärkere Vernetzung für einen kontinuierlichen Austausch der Träger untereinander hilfreich sein. Vor allem seien die großen Trägerverbände stärker an Forschungsvorhaben zu beteiligen.

Nach einer stärkenden Mittagspause fuhr Frau Becker mit dem zweiten Teil ihrer Präsentation fort. Die ganz konkreten Ergebnisse der Studie standen nun im Fokus. Sie referierte über geeignete Zugangswege und Formate sowie die Effekte politischer Bildung. Außerdem ging sie auf Teilnahmedispositionen und –hindernisse ein.

 „Brückenpersonen“ als Mittler

Der erfolgreichste Zugangsweg bei erwachsenen Adressaten sowie bereits interessierten Teilnehmern aus früheren Veranstaltungen sei das Programmheft. Bei Jugendlichen gestalte sich dies jedoch anders, da diese „keine Sucher“ seien, die sich aktiv mit Angeboten beschäftigten. Für diese Gruppe eigne sich vor allem der Einsatz von Vertrauens- und Brückenpersonen, die auf Veranstaltungen hinwiesen. Diese könnten sowohl aus dem persönlichen Nahbereich, wie Familie oder Freundeskreis, als auch aus Schulen oder Vereinen stammen.

Wichtig sei die persönliche Ansprache. Dafür sei es für alle Träger ratsam, Kooperationen mit denjenigen Institutionen aufzubauen, die zum Umfeld der zu Umwerbenden gehörten. Die besondere Wirksamkeit der Mund-zu-Mund-Propaganda gelte auch für Migranten, Senioren und für die als bildungsfern bezeichneten Adressaten.


Passgenau auf die Adressaten zugehen

Hervorzuheben sei laut Helle Becker die Tatsache, dass – entgegen häufig geäußerter Vermutungen – keine gesellschaftliche Gruppe in besonders hohem Umfang an Maßnahmen politischer Bildung teilnehme. Zudem sei die Einteilung in Zielgruppen, wie sie bisher vorgenommen werde, weniger hilfreich als eine, die sich stärker an Milieus orientiere. Sozio-demografische Faktoren wie das Alter, das Geschlecht bzw. die soziale oder geografische Herkunft sagten wenig darüber aus, ob eine Maßnahme für Angehörige dieser Merkmalsgruppe auch tatsächlich passgenau sei. Man solle eher nach biografischen oder das aktuelle Lebensumfeld betreffenden Gemeinsamkeiten der Personengruppen suchen, die man ansprechen möchte.

Zudem führe die herkömmliche Einteilung in Zielgruppen auch zur – oft unbewussten – Selbst- und Fremdausschließung der Teilnehmer. Daher sei die Empfehlung an die Träger, die Einteilung ihrer Adressaten in Gruppen gemessen an deren Einstellungen, Interessen und Biografien vorzunehmen und ihre Formate und Werbeformen entsprechend anzupassen. Dazu gehörten auch ganz praktische Erleichterungen wie die Wahl der Tageszeit bei Berufstätigen, das Angebot zur Kinderbetreuung, der Hinweis auf das Recht auf Bildungsurlaub oder die gesellschaftliche oder biografische Aktualität der Angebote. Auch hier verwiesen die anwesenden Vertreter der Träger auf ihre begrenzten Ressourcen.



Zu den Hinderungsgründen für die Wahrnehmung der politischen Bildungsangebote gab Frau Becker ebenfalls Auskunft. Als einen dieser Gründe nannte sie die bereits erwähnte Ausschließung bestimmter Gruppen, die als politisch desinteressiert gelten und daher entweder von den Anbietern politischer Bildung durch deren Form der Ansprache oder Erwartungen ausgeschlossen werden oder die sich selbst ausschließen. Das könne passieren, weil sie sich nicht Ernst genommen fühlten oder der Meinung seien, dass sie keine politische (Weiter-)Bildung benötigen würden. Hier gelte es, den Menschen zu zeigen, dass die meisten Lebensbereiche „irgendwie mit Politik zu tun haben“ anstatt sie nach ihrem Interesse an Politik anhand unpräziser Indikatoren wie dem Lesen der Tageszeitung zu fragen und sie dann als (des-)interessiert zu kategorisieren.


Schulerfahrungen wirken nach

Jugendliche, die nicht als aktive Sucher nach politischer Bildung gelten und Personen, die noch nie an Maßnahmen teilgenommen haben, gaben in Studien an, dass sie Beratung benötigten, wo sie welche Angebote finden können. Zentrale Beratungs- oder Auskunftstellen könnten diesen Personengruppen das Auffinden von Angeboten erleichtern. Mehr als vielleicht vermutet schrecken negative Bildungserfahrungen aus der Schulzeit potenzielle Teilnehmer von einem Besuch politischer Bildungsmaßnahmen ab. Das treffe nicht nur auf Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen zu, denn es komme nicht auf das Niveau des erreichten Abschlusses an, sondern auf die mit dem Lernen verbundenen Emotionen.

Daher sei es besonders wichtig, Formate zu wählen, die mit dem Frontalunterricht der Schule wenig gemeinsam hätten. Zu betonen seien dabei die Prozess- und Ergebnisoffenheit der Veranstaltungen, da nur so gewährleistet werden kann, dass die Teilnehmer tatsächlich die Erfahrung der Selbstbildung, Anerkennung und Freiwilligkeit gewönnen. Was zähle, sei der Spaß und die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Bei Workshops und Gruppenarbeiten sei dies zum Beispiel der Fall. Hieran knüpfte Helle Becker den Appell an die Zuwendungsgeber, die nötige Offenheit bei der Formulierung ihrer Förderrichtlinien zu beachten.

Jugendliche sollten während der Maßnahmen auf Entscheidungsträger aus der Politik treffen. Sie bekämen dadurch das Gefühl, dass die Gesellschaft tatsächlich an ihnen interessiert sei und dass ihre Teilnahme an der Maßnahme eine Wirkung nach sich ziehe.

Nicht nur bei Jugendlichen, sondern generell sei zu beobachten, dass sich die potenziellen Teilnehmer immer stärker nach dem Nutzen fragten, den die Veranstaltung ihnen konkret bringe. Die alltagspraktische Anwendbarkeit des gewonnenen Wissens und der gemachten Erfahrungen müsse stets deutlich werden.


Sind Wirkungen messbar?

Die direkte Wirkung von politischer Bildung, so Helle Becker, sei nicht explizit quantitativ messbar. Auch wenn sie den Evaluationsbedarf der Förderer verstehe, sähe sie die Abfrage des Erfolgs einer Maßnahme über Statistiken oder standardisierte Fragebögen als wenig zielführend an. Hinzukomme, dass diese Art der Wirkungsauswertung für die meisten Träger zu aufwändig wäre. Auch hier sollte die bereits genannte Zielgruppeneinteilung überdacht werden.

Teilweise zeigten sich die Effekte politischer Bildung auch nicht unmittelbar, sondern stellten sich erst später heraus. Die einzelne Maßnahme könne als Verstärker für andere Erfahrungen, als Anstoß oder gar als Wendepunkt in der Biografie eines Teilnehmers dienen. Dies könne jedoch nicht direkt nach der Veranstaltung sichtbar werden und sei schwer zu erfragen.

Wieder sieht Helle Becker die Zuwendungsgeber in der Pflicht, ihre Förderpraxis anhand dieser Ergebnisse zu überdenken. Es ginge hauptsächlich darum, den Menschen eine Gelegenheit zu eröffnen, die eigene gesellschaftliche Gestaltungsfähigkeit zu entdecken und dabei zu helfen, sie in die Tat umzusetzen.

Nach einer kurzen Abschlussdiskussion endete die Trägertagung 2012 bei Gesprächen, Kaffee und Kuchen.

Während der Trägertagung informierte Sebastian Zoepp, freier Bildungsreferent im Umweltbereich, über ein Bildungsangebot der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde für außerschulische Bildungsträger. Sie plant ab Herbst 2012 ein umfassendes Qualifizierungsprogramm für Akteure aus den Bereichen Umweltbildung, Globales Lernen und Politische Bildung mit insgesamt 7 Modulen. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

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 Liebe Martina, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landeszentrale,

herzlichen Glückwunsch zu der gelungenen Aufarbeitung und Präsentation einer offenbar sehr spannenden und anregungsreichen Trägerkonferenz.

Von den Reaktionen auf die "Dritte Generation Ost" bin ich ja auch sehr positiv überrascht. Wann hat unser Landessender einem gesellschaftspolitischen Thema schon einmal über fünf Minuten Sendezeit gewidmet?!

Viele Grüße von

Thomas Günther

Liebe Landeszentrale,

konnte zur Tagung nicht kommen... Schnee und Glatteis... Danke, dass ich so alles nachlesen kann... danke auch für die Informationen von Sebastian Zoepp am Ende des Berichts...

Weiter so...

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