Martin Habermann

Vom Partei-Neuling zum Landtagsvizepräsidenten

Martin Habermann; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

In der DDR hatte ich drei Gesichter. Das eine Gesicht hatte ich zu Hause, da konnte ich reden und diskutieren, wie und worüber ich wollte. Das zweite Gesicht hatte ich in meinem näheren Umfeld für Bekannte, bei denen ich nicht zu hundert Prozent sicher war, ob ich offen reden konnte. Das dritte Gesicht zeigte ich in der Schule und später im sozialistischen Betrieb bei Kollegen und Genossen.

Ich wusste genau, was ich sagen konnte und was nicht. Mit diesen Gesichtern bin ich schon als Kind aufgewachsen. Meine Eltern hatten bereits eine Diktatur erlebt und waren entsprechend kritisch bei der nächsten. So durfte ich nicht zu den Pionieren und war auch nicht bei der Jugendweihe. Diese Distanz zum System hat sich auf uns Kinder übertragen, und ich habe sie an meine Kinder weitergegeben.

Ich war dennoch kein Gegner des Regimes und wäre auch nicht auf die Straße gegangen, weil ich meine Familie nicht gefährden wollte. Ich hatte für mich eine Grenze gezogen, die ich auch nicht überschritten habe. Diese Grenze betraf drei Punkte: Parteieintritt, Beitritt zur bewaffneten Betriebskampfgruppe und Wehrdienst über den NVA-Grundwehrdienst von 18 Monaten hinaus. ...

Die DDR-Oppositionsgruppen setzten im Herbst 1989 vielerorts durch, dass sich die Regierungsparteien nach dem Beispiel Polens zu einem geregelten Dialog mit ihnen bereit erklärten.

Um die Gleichberechtigung und das Miteinander der Verhandlungspartner zu
unterstreichen, wurde er „Runder Tisch“ genannt. Ende November stimmte die SED auch der Einrichtung eines Zentralen Runden Tisches der DDR zu.

Schon bald nach der Wende gab es auch in Lübbenau einen Runden Tisch. Nach 14 Tagen kam mein Gemeindepfarrer, der den Runden Tisch moderierte, zu mir und berichtete, von der Block-CDU säßen ganz junge Leute ohne Lebenserfahrung und mit wenig Urteilsvermögen in den Verhandlungen.

Er bat mich mitzumachen, was ich auch tat. Im Februar 1990 bin ich schließlich in die CDU eingetreten. An der Partei hat mich nicht nur das christliche „C“ angezogen, sondern auch die Forderung nach der deutschen Einheit.

Die SPD gefiel mir damals nicht mehr, da genau dieses sofortige Ziel fehlte, ja sogar Spitzenpolitiker der westdeutschen SPD gegen die deutsche Wiedervereinigung polemisierten. ...

Die Entscheidung, das Land Brandenburg zu gründen, war anfangs in jedem Fall richtig. Dadurch entstand sehr schnell eine Identifikation der Bürger mit Brandenburg. Allerdings glaube ich, die ehemalige DDR als ein großes Bundesland hätte sich gegenüber den alten Ländern besser behaupten können. Der Identifikation mit der Region Brandenburg hätte das sicher keinen Abbruch getan. Aber nach der Etablierung der Landesregierungen war die Akzeptanz für eine Neugliederung der Länder in Ostdeutschland nicht mehr vorhanden. ...

Als Vizepräsident nahm ich an Ausschuss- und Fraktionssitzungen weiterhin teil. In der Fraktion arbeitete ich als Abgeordneter mit wie jeder andere, nur manchmal musste ich die Fraktionskollegen wegen mangelnder Anwesenheit in den Landtagssitzungen rügen. Die Arbeit in den Ausschüssen war recht konstruktiv. Es gab wenig Parteiengezänk. Das lag ganz einfach daran, dass den Ausschüssen in den ersten beiden Legislaturperioden viele Abgeordnete mit spezifischen Fachkenntnissen angehörten. Beispielsweise saßen Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Ärzte im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Frauen. Wenn also über Gesetzesvorhaben debattiert wurde, brachte jeder aus seiner praktischen Erfahrung Änderungsvorschläge ein. Es wurden auch Anträge vom politischen Gegner angenommen.

Buchcover Brandenburger Verfassung
© BLPB

So war es auch bei den Sitzungen zur Verfassungsgebung. In die Brandenburger Verfassung sind Ideen und Wünsche aller Parteien eingeflossen. Ich halte sie für eine gute Verfassung. Mit den plebiszitären Elementen in der Verfassung habe ich nach wie vor meine Probleme. Sachverhalte, die ein bisschen komplizierter sind, wie die Fusion von Berlin und Brandenburg, lassen sich nicht in einzelnen Punkten diskutieren. Zum Schluss wird die Entscheidung bestimmt von Polemik, Vorbehalten und Gefühlen, und nicht mehr vom nüchternen Abwägen. Einfache, klar formulierbare und abgrenzbare Probleme sind dagegen gut geeignet für plebiszitäre Entscheidungen. ...

Nach der Wendezeit werde ich sehr selten befragt. Ein einziges Mal habe ich vor Schülern des Gymnasiums in Lübbenau über die Revolution und die Arbeit des Parlaments gesprochen, aber das ging auf meine eigene Initiative zurück. Dieses Desinteresse finde ich genauso enttäuschend und ärgerlich wie die geringe Wahlbeteiligung. Es gibt sicherlich Grenzfälle, wo die Arbeitslosigkeit sehr stark das Leben einer Familie verändert hat, aber insgesamt haben sich die Lebensverhältnisse für die Menschen meiner Ansicht nach eindeutig verbessert.

Voraussetzung ist allerdings, dass man auch die Chancen wahrnimmt, die einem geboten werden. Ein wahrheitsgetreuer Rückblick in unsere DDR-Vergangenheit kann dabei sehr antriebsfördernd sein. 

Martin Habermann,
geboren am 2. Januar 1943 in Sagan/Schlesien, errang in der Landtagswahl 1990 im Wahlkreis Calau-Senftenberg II eines der 14 Direktmandate der CDU und wurde so Abgeordneter.

1991 trat er die Nachfolge von Karl-Heinz Kretschmer im Amt des Landtagsvizepräsidenten an. Auch in den zwei nachfolgenden Legislaturperioden hatte er diese Funktion inne.

2004 schied er aus dem Landesparlament aus.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010


 

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