In einer sich immer schneller drehenden Welt tauchen in jeder Woche an jeder zweiten Ecke drei neue Apps und vier neue Moden auf, sein Leben zu führen. Die Wendische und Sorbische Tracht ist das Gegenteil von fast fashion, in vielerlei Hinsicht.
Die Modedesignerin Sarah Gwiszcz bringt die Lausitzer Kultur ins 21. Jahrhundert. Mit der Herstellung von modernen Trachten, Blaudruck und Hochzeitskleidern schafft sie in Lübbenau Arbeitsplätze. (Ausstellung "Wir sind Brandenburg")
Sorbisches Trachtengebiet mit der Verteilung der vier noch täglich getragenen Trachten
Welche Anziehungskraft hat Tradition? In einer sich immer schneller drehenden Welt tauchen in jeder Woche an jeder zweiten Ecke drei neue Apps und vier neue Moden auf, sein Leben zu führen. Tradition hat es da so schon nicht leicht, kleidsame Tradition im Zeitalter der fast fashion noch weniger.
Die Wendische und Sorbische Tracht ist das Gegenteil von fast fashion, in vielerlei Hinsicht. Zum Einen wird sie oft über Generationen vererbt und stolz weiter- statt nur aufgetragen. Zum Anderen kann es einen halben Vormittag dauern, Trachten anzulegen. Nur ein Beispiel: Im Sorbischen Kulturzentrum Schleife gibt es eine Sammlung von Trachtenpuppen, in der mehr als 100 Objekte mehr als 60 Varianten des Ankleidens von Sorbinnen darstellen.
Das geht nur, weil sich die Trachten vor allem für Frauen aus sehr vielen Einzelteilen zusammensetzen. Der Rock (genannt Kosula) wird je nach Anlass oder Familienstand in einer bestimmten Farbe gewählt und ist oft mit Blüten bestickt. Über dieser Kosula gehören zur Tracht Spitzenschürzen und Seidenbänder, über der Hüfte geht es weiter mit Westen und Schultertuch, auf dem Kopf sitzt eine so ausladende Haube, dass man von außen schon ahnen kann, dass die Statik ohne ein Pappgestell im Innern kaum halten würde. In Burg im Spreewald gibt es heute die letzte Trachtenstickerei, die solche Hauben noch original herstellt.
In Brandenburg liegt der Anteil der Sorben/Wenden an der Gesamtbevölkerung unter einem Prozent. Dennoch sind sie landesweit bekannt. Nicht zuletzt durch ihre reiche Folklore und Mythologie. Doch das ist nicht alles. Ein Blick auf eine quirlige Minderheit.
Vieles in der Kultur der Wenden und Sorben hat sich im Lauf der Jahrhunderte verändert, ihre Trachten zeigen das auch an. Früher war die Tracht fast so etwas wie heute der Status bei WhatsApp, sie zeigte an, wohin jemand ging (zur Arbeit, in die Kirche, zur eigenen Hochzeit) oder welchem Stand er angehörte. Tracht wurde fast täglich getragen, ihre Ausführung unterschied sich schon von einem Dorf zum nächsten. Heute ist die brandenburgische Niederlausitz eine von vier Trachtenregionen, die es noch gibt und die Tracht kommt vor allem zu besonderen Anlässen aus der Truhe oder dem Kleiderschrank.
Achtsamkeit, Wertschätzung und Geduld
Auf einen schnellen Blick mag die Wendische und Sorbische Tracht oft ein bisschen ältlich aussehen, wie Dekor auf Decken und Kaffeeservice bei der Oma vielleicht. Aber echte Schönheit kommt auch in diesem Fall mindestens von innen. Mit der Tracht geben Wenden und Sorben ja auch einen Sinn für Beständigkeit weiter, eine Achtsamkeit für die eigene Kultur, auch eine Wertschätzung für handwerkliche Fertigkeiten. Es kann auch mal 100 Nadeln brauchen, um eine Tracht zusammenzustecken und beieinander zu halten. Deswegen benötigen vor allem die Frauen beim Ankleiden in aller Regel sorgsame Hilfe. Nadel verpflichtet!
Wer einmal bei einem solchen Ankleiden dabei war, der vergisst es so schnell nicht. Die Zeit und die Geduld, die dieses Ankleiden erfordern, geben Raum für Gespräche über die eigene Kultur und ihre Veränderung im Laufe der Zeit.
Gerade weil viele Menschen oft glauben, irgendwohin zu müssen und weiterzueilen, holen einen diese Gespräche raus aus der überhitzten Zeit. Das ist, auch für die Anzukleidenden, besonders dann ein gutes Gefühl, wenn sie nicht vergessen haben, vor der Prozedur noch einmal kurz für kleine Wenden und Sorben gegangen zu sein.
Das Hahnrupfen geht zurück auf eine Zeit, in der Glaube und Aberglaube das Leben weitaus mehr prägten als Wissenschaft und technischer Fortschritt.
Cornelius Pollmer, Januar 2021
Mit seinem Buch "Heut ist irgendwie ein komischer Tag" war er 2019 zu Gast in der Landeszentrale.
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