Die Fremden

Volker Braun

Ihre Ankunft war uns seit einer Ewigkeit signalisiert. Wir fieberten dem Ereignis ein wenig entgegen.

Foto: Thomas Kläber

Foto: Thomas Kläber

Wir haben nicht, wie andere Gemeinden, Widerstand geleistet, nicht bis zur Erbitterung, weil wir aufgeklärter sind als die ganze Provinz und einfach besser verwaltet.

Die Fremden sind ein allgemeines Problem, man muss besondere Lösungen finden. Unser Ort selbst ist eigentlich wenig geeignet, vierhundert Seelen mit Bahnanschluß; weshalb uns aber die Welt erreicht.

Wir nehmen das Häuflein entgegen, sie sind hier aufgehoben; sie blicken tapfer drein, neugierig, kann man sagen, erleichterte, übermütige Rufe. Sie sehen naturgemäß abenteuernd aus, abgeschabte Habe; sie folgen bereitwillig meiner Führung durch die Vorgärten. Sie kommen endlich auf den Pfad im Wald. Hier werden sie stille. Sie mustern die grünen Gehölze.

Irgendall machen sie Rast, oder ist das ihre langsame Fortbewegung; und wir beruhigen sie, dass es bald geschafft sei.

Das Quartier liegt nur wirklich abseits, eine Bleibe, wo sie ungestört, unbehelligt sind. Wir weisen sie in ihre Stuben, den Speiseraum, die Sanitäranlagen.

Ein Paradies, wenn man es pfleglich behandelt und in Ordnung hält.

Wir bemerken aber, schon am nächsten Tag, eine unerklärliche Unruhe. Unstete, suchende Blicke. Die Fremden streichen um das Gebäude. Sie tauchen in die Schonung und preschen wie verzweifelt hervor. Es steht ihnen, wenn sie noch die Köpfe heben, Enttäuschung im Gesicht geschrieben.

Was fehlt ihnen? – Der Krieg? Sie können ihn hier haben. – Ich selber kümmere mich um sie, das Essen ist schmackhaft, sie dürfen sich wohl befinden.

Aber es hält sie nicht im Haus. Nicht dass wir Dankbarkeit erwarten; aber sie sind uns ein Rätsel.

Sie stehen mit ihren Koffern auf der Treppe und alten Rat. Was wollen sie? (Sie wollen alles, was wir haben. Aber alles, was wir haben, brauchen sie nicht.)

Es sind schon sehr andersdenkende Wesen. Ich bin nicht strenge, ich lasse jeden leben, aber man fragt sich doch, wie ? Sie verlangen ihren Abtransport. – Was machen wir falsch, Herrschaften. Es ist nicht herauszubringen. Es fehlt ihnen nichts, das ich wüsste.

Nach einigen Tagen brechen sie aus; sie ziehen ab mit Sack und Pack und marschieren schweigend zum Bahnhof. Sie wenden, im Gehen, eine Weile den Kopf, wie um Verständnis bittend und doch Verachtung nicht verbergend; nicht eben bekümmert und wohl doch besorgt. Man sieht sie zuletzt an der Rampe stehn.

Volker Braun
(1991)
 

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