Martina Weyrauch über politische Bildung

Was kann und soll politische Bildung leisten? Auf jeden Fall darf niemand dazu gezwungen werden, meint Martina Weyrauch, Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale im Gespräch mit Karen Bähr.

Martina Weyrauch
© Stefan Gloede

Bähr: Die Bundeszentrale für politische Bildung wurde vor 60 Jahren mit dem Ziel der Erziehung der Deutschen zur Demokratie gegründet. Erzieht politische Bildung heute immer noch?

Weyrauch: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch an die Bundeszentrale. So jung und frisch muss man erst mal dastehen nach 60 Jahren. Dennoch, politische Bildung in Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Erziehungsaspekt ist nicht mehr so vordergründig. Es geht vielmehr um Aufklärung durch die Bereitstellung von Informationen und darum, Denkanstöße zu geben, damit sich jeder frei entscheiden kann, wo, wann und wie er sich in unsere Gesellschaft einbringen und an ihr teilhaben kann.

Bähr: Das klingt erst einmal wie ein gesetzlicher Auftrag. Was heißt das konkret?

Weyrauch: Schauen Sie sich zum Beispiel die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung an. Unser Schwerpunkt ist die außerschulische politische Bildung. Unsere Veranstaltungen, Ausstellungen, Bücher, Informationen im Internet, all das sind lediglich Angebote. Wir bieten politisches und historisches Orientierungswissen. Wer möchte, kann kommen, freiwillig. Unsere Veranstaltungen finden zum Beispiel immer ab 18 Uhr statt, also in der Regel nach Feierabend, damit jedem Interessierten dies zeitlich möglich ist.

Bähr: Und, wer ist interessiert?

Weyrauch: Das ist ganz unterschiedlich. Wir können immer schlecht voraussagen, wer zu welcher Veranstaltung kommt, eben weil sich bei uns niemand anmelden muss. Wir hatten zum Beispiel eine Buchlesung zum Thema Stalinismus, da kamen 140 Leute. Und dann wieder diskutieren wir zur digitalen Gesellschaft mit 15 Besuchern.

Interview mit der taz: „Die Auseinandersetzung suchen“

Martina Weyrauch
© Ksenia Les

"Wir sind nicht der FDJ-Zentralrat, der den Leuten sagt, was richtig und was falsch ist. Unser Konzept ist es, dafür einzutreten, dass Menschen zu politischem Engagement ermutigt werden. Die Mittel gehen an freie Träger politischer Bildung, die vor Ort am besten wissen, was nottut. Politische Bildung zu machen heißt für uns in erster Linie, Zivilgesellschaft zu entwickeln."

Martina Weyrauch im Interview mit der taz, 11.08.19.

Bähr: Ich bin auch häufiger auf Veranstaltungen der politischen Bildung und mir ist aufgefallen, dass es vorwiegend ältere Menschen sind, die kommen. Was sagt das über die politische Bildung?

Weyrauch: Nun, über den Zustand der politischen Bildung sagt das erst einmal gar nichts aus. Dafür ist das Publikum wirklich zu heterogen und über die Gründe, warum jemand zu einer Abendveranstaltung oder Ausstellung geht oder es lieber lässt, wissen wir einfach zu wenig. Vergessen Sie auch nicht, dass das Internet zahlreiche Wege abnimmt. Um ein Buch zu bestellen, was zum Beispiel sehr viele Studenten bei uns tun, muss man nicht zu uns kommen. Aber Sie weisen auf einen wichtigen Punkt hin, der uns in der politischen Bildung tatsächlich beschäftigt. Nämlich, wie können junge Menschen dazu angeregt werden, sich zu regen? Da gibt es inzwischen sehr gute Angebote und Ideen, die von dieser Generation selbst kommen, Animationsfilme zum Beispiel, die so scheinbar trockene Themen wie die Verfassung mit Verstand und Sinn für Humor behandeln.

Bähr: Warum gibt es überhaupt Landeszentralen für politische Bildung? Macht die Bundeszentrale nicht die gleiche Arbeit?

Weyrauch: Die Frage ist berechtigt, denn die Aufgabe ist eine ähnliche. Die Mittel der Umsetzung sind aber bei den Landeszentralen und der Bundeszentrale unterschiedlich. Die Landeszentralen sind regional verankert und können so auf die Bedürfnisse der Menschen einer Region besser eingehen. Beispielsweise muss sich Brandenburg mit seiner Vergangenheit in zwei Diktaturen auseinandersetzen, die auch in politischen Strukturen und Mentalitäten Spuren hinterlassen hat. Für ein Flächenland wie Brandenburg ist die Förderung von Engagements in den ländlichen Regionen besonders wichtig, wo die Leute selten die Möglichkeit haben, die Veranstaltungen und Bildungseinrichtungen in den Städten zu besuchen. Und genau das machen wir. Kleine freie Träger der politischen Bildung vor Ort werden von uns finanziell und inhaltlich unterstützt. Hier hat sich ein buntes Netzwerk von Akteuren in ganz Brandenburg entwickelt.

Bähr: Die Bundeszentrale darf als Anstalt öffentlichen Rechts nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 ihre Geschichtsinterpretation nicht als einzig richtige hinstellen. Drucken Sie Meinungen ab, die Sie selbst als bedenklich sehen?

Weyrauch: Die brandenburgische Landeszentrale vertritt selbst kein Geschichtsbild, sondern ist an ihren in der Verfassung festgeschriebenen Auftrag gebunden: die Förderung des demokratischen Bewusstseins und damit auch die Förderung der Kontroverse. Um kontroverse Diskussionen darzustellen, bieten wir sehr verschiedenen Meinungen Raum, solange sie verfassungskonform sind und nicht gegen Straftatbestände verstoßen. Auf unserer Webseite ist zum Beispiel fast jeder Beitrag mit einer Kommentarfunktion versehen. Da fühlen wir uns ganz dem Beutelsbacher Konsens verpflichtet, der ja gerade auf die Akzeptanz anderer Meinungen und die Auseinandersetzung mit ihnen zielt.

Bähr: Jährlich werden Millionen für die politische Bildung ausgegeben. 30 Millionen erhält allein die Bundeszentrale, 100 Millionen kommen aus parteinahen und privaten Stiftungen. Wie kommt es, dass trotz dieser Summen 40 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler Demokratie und Diktatur nicht auseinanderhalten können?

Weyrauch: Wir leben in einer Demokratie und nicht (mehr) in einer Erziehungsdiktatur. Wir können Angebote der politischen Bildung machen und für Demokratie werben, wir können und wollen aber niemanden zwingen, sie anzunehmen. Unser Angebot richtet sich gerade auch an die, die in der Schule nicht den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur definieren konnten, wie er im Schulbuch steht. Allerdings hat in einer Demokratie auch jeder das Recht, sich zu enthalten.

Bähr: Auf weitere 60 Jahre also? Oder anders gefragt: Wozu brauchen wir politische Bildung?

Weyrauch: Man kommt nicht als mündiger Bürger und Demokrat auf die Welt. Man muss Demokratie lernen. Das politische System in Deutschland ist kompliziert. Um sich dort zurecht zu finden, braucht man Informationen, die nicht für bestimmte Parteien oder Meinungen werben, sondern einem erst mal die Spielregeln erklären und einem zeigen, wie man mitspielen kann. Jeder sollte in die Lage versetzt werden, sich eine Meinung zu bilden und auch in den politischen Prozess einzugreifen, wenn er seine Meinung dort nicht vertreten sieht. Denn diese Freiheit gibt uns die Demokratie. Sie ist im Gegenzug auf die Mitarbeit der Bürger angewiesen.

Bähr: Vielen Dank für das Gespräch. 

November 2012

Karen Bähr war im August/September 2012 Praktikantin in der Landeszentrale. Sie studiert Public History an der FU Berlin.

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mit der Demokratie, Jugendparlamente, Bürgerinitiativen , Engagement vorn Ort sind das A und O einer lebendigen Demokratie. Man muss spüren, dass sich eigener Einsatz lohnt. Wenn diese Bemüphungen von der Landeszentrale unterstützt werden, ist das toll. Ich liebe auch die kleinen handlichen  Pocket Bücher der Landeszentrale. Mir hat auch das Dossier zur Bürgerbeteiligung gefallen.

http://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/politische-teilhabe

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