Angstzone Ostdeutschland?

Die Zahlen scheinen denen Recht zu geben, die vor einer Angstzone im Osten Deutschlands warnen. Doch was ist dran an der These, dort habe sich eine Kultur der Gewalt und des Wegschauens etabliert? Die Frage wirft offenbar mehr Fragen als Antworten auf.

er Aufschrift "möchte in dieser Stadt keine Angst mehr haben"

... es gibt kleinere und mittlere Städte in Brandenburg und auch anderswo, wo ich keinem raten würde, der eine andere Hautfarbe hat, hinzugehen. Er würde es möglicherweise lebend nicht wieder verlassen.“*

Mit dieser Warnung vor so genannten „No go-Areas“ in Brandenburg löste der frühere Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 2006 eine Debatte aus, die bis heute immer wieder auflebt. Zuletzt stand die thüringische Kleinstadt Jena als „Angstzone“ im Zusammenhang mit der neonazistischen Terrorzelle NSU im Zentrum des Medieninteresses. Im Kern geht es in der Diskussion um rassistische Anfeindungen, um rechtsextreme Gewalt, um Fremdenfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft, aber auch um eine Kultur des Wegschauens, die sich im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung etabliert habe. Die Furcht, dort Opfer rechter Gewalt zu werden, spiegelt sich im Begriff der „Angstzone Ostdeutschland“ bzw. "Angstzone Ost" wider. Wie viel Realität steckt darin?

Schaut man sich die Verteilung rechtsextremistischer Gewalttaten in Deutschland an, dann fällt auf, dass die neuen Bundesländer an der Spitze der Statistik stehen, gerechnet auf je 100.000 Einwohner. Deutschlandweit starben zwischen 1990 und 2011 149 Menschen durch rechte Gewalt. Die Verteilung der Todesopfer zeigt Orte in ganz Deutschland, jedoch deutliche Ballungspunkte in den neuen Bundesländern und Berlin sowie im Westen in Nordrhein-Westfalen. Eine pauschale „Angstzone West“ wird in den Medien dennoch nicht ernsthaft diskutiert.

Zu den genannten Zahlen kommen wissenschaftliche Studien, die ebenfalls ein alarmierendes Bild in den neuen Bundesländern zeichnen. So hängen laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vom November 2012 15,8 Prozent der Ostdeutschen einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild an. Demzufolge wäre fast jeder sechste ostdeutsche Bürger ausländerfeindlich.* 

Bundestagsvize-Präsident Wolfgang Thierse forderte deshalb eine „Demokratieerziehung“ für die Ostdeutschen. In vielen Gegenden, wie zuletzt in Hoyerswerda (Sachsen), habe die Polizei schon vor der rechten Gewalt kapituliert.

Also gibt es sie doch, die „Angstzone Ost? Wissenschaftler warnen vor einer Pauschalverurteilung. Rechtsextremismus sei kein spezifisch ostdeutsches Problem. Kritiker hinterfragen zudem die Messmethoden, die Umfragen zuweilen zugrunde gelegt werden.* Dennoch: Es wäre fatal, mit dem Hinweis auf das methodische Vorgehen, die Ergebnisse generell in Frage zu stellen.

Chronologie
Rechte Gewalt in Brandenburg

Recherchen von Journalisten, zivilgesellschaftlichen Vereinen und Opferverbänden haben zum Beispiel gezeigt, dass die offiziell erfassten Zahlen rechtsextremer Gewalttaten (einschließlich der Todesopfer) weitaus niedriger sind, als in der Realität. Noch viel wichtiger aber ist, das Jonglieren mit Zahlen lenkt von den entscheidenden Fragen ab: Warum werden die neuen Bundesländer als Hochburgen rechter Gewalt in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Warum gilt dort die so genannte Mitte der Gesellschaft, also die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, als besonders ausländerfeindlich? Nachdenken darüber zwingt dazu, sich selbst zu fragen: Was denke ich und wie verhalte ich mich?

KZ Sachsenhausen
Lokale Gewalt
Oberhavel und Ostprignitz-Ruppin

Wie sieht rechte Gewalt vor Ort aus? Was bedeutet sie für die Menschen, die dort leben und was bleibt zu tun?

Dezember 2012

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