Alltagsrassismus

Rassistische Bezüge in der Alltagssprache sind in Deutschland breit verankert, häufig ohne dass sich die Menschen über den Rassismus, der darin steckt, bewusst sind.

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Huys Eltern kommen aus Vietnam. Er selbst wurde in Rathenow geboren und hat viele Formen von Rassismus im Alltag erlebt.

Wie rassistisch verhält sich jeder und jede Einzelne, welche Verantwortung tragen Behörden und wie gehen wir als Gesellschaft mit Rassismus im alltäglichen Leben um? Wissenschaftliche Studien und Medienberichte weisen auf einen weit verbreiteten Rassismus in Deutschland hin. Dieser zeigt sich in der Mehrheit der Fälle nicht offen. Im Allgemeinen bekennen sich nur die Wähler und Sympathisanten rechtsextremer Parteien offen dazu, rassistische Ansichten zu vertreten.

Dennoch ist Rassismus Alltag in Deutschland – trotz anderslautender offizieller Erklärungen und ungeachtet der Tatsache, dass sich Viele gar nicht bewusst sind, dass ihr Verhalten oder bestimmte Äußerungen im Kern rassistisch sind.

Ich bekomme am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone zu hören: Ich würde Euch ja wählen, aber dafür müsste erst einmal der Chinese weg."
Lasse Becker, Vorsitzender der Jungen Liberalen, über Kommentare zu Philipp Rösler.

"Unsere Gesellschaft ist wohl noch nicht so weit, dass man es als selbstverständlich ansieht, dass Menschen mit Migrationshintergrund Führungspositionen besetzen."
Corrrado Di Benedetto, Vorsitzender der hessischen Ausländerbeiräte.*

"Sind Sie für Integration? Ja, aber nicht bei der Bundeswehr."
Antwort eines Passanten auf die Frage, ob er sich einen Migranten als deutschen Offizier vorstellen könnte*  

Als "Mückenstiche mit System" hat Alice Hasters ihre Erfahrungen mit rassistischen Erfahrungen im Alltag bezeichnet. Denn es geht gerade nicht um einzelne Vorkommnisse, sondern um breit und tief sitzende Vorurteile und entsprechende Handlungsmuster in der Gesamtgesellschaft. Die Formel "Ich bin kein Rassist, aber..." ist ein bekanntes Beispiel für den Umgang mit Rassismus geworden.

Toleranz: Eine Analyse der verschiedenen Begriffe mit der Lupe

Antirassismus als Staatsziel

Antirassismus wurde in der Verfassung Brandenburgs verankert. Nicht als Verfassungsgrundsatz, sondern als Staatsziel. Jes Möller, Präsident des Landesverfassungsgerichts, erklärt, warum das richtig ist.

Was ist Rassismus?

Die Wissenschaft bietet dafür keinen einheitlichen Begriff an, doch rassistisches Verhalten liegt vor, wenn Menschen andere Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer Lebensweise oder ihrer Kultur benachteiligen, verurteilen, verspotten, ausgrenzen oder angreifen. Offene Gewalt ist also nur eine Form von Rassismus, die allerdings eine größere Aufmerksamkeit in den Medien erfährt als der verdeckte Alltagsrassismus.

Ist Ausländerfeindlichkeit auch Rassismus? Ja, meint die moderne Rassismusforschung übereinstimmend, denn sie diskriminiert Menschen wegen bestimmter genetisch und/ oder kulturell bedingter Merkmale und Eigenarten aus einer Position der Macht heraus.

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, das seit Anfang der 1990er Jahre die Alltagssprache in Deutschland untersucht, hat vier Kategorien von Alltagsrassismus in der deutschen Bevölkerung nachgewiesen und dabei einen engen Bezug zur Ausländerfeindlichkeit hergestellt.

Typische Aussagen über in Deutschland lebende Ausländer: 

  • Sie sind anders bezüglich Aussehen, Kultur, Religion, Mentalität und Normen.
     
  • Sie passen sich nicht an.
     
  • Sie sind verwickelt in negative Handlungen (Störungen, Verbrechen).
     
  • Sie bedrohen unsere sozioökonomischen Interessen.

Quelle: Siegfried Jäger, Rassismus und Rechtsextremismus. Gefahr für die Demokratie

Rassistisches Denken bietet den wichtigsten Anknüpfungspunkt für rechtsextreme Ideen und Weltanschauungsszenarien aller Art. Die Anschläge von Hanau und Halle 2020 sind nur zwei jüngere Beispiel dafür. Welche langfristigen gesellschaftlichen Auswirkungen daraus entstehen können, hat die Mordserie der rechtsterroristischen Vereinigung NSU gezeigt: Migrantinnen und Migranten in Deutschland sind vom Umgang der zuständigen Behörden, aber auch der Gesellschaft damit, tief verunsichert. 

Heike Kleffner, Referentin der Linksfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss hat selbst mit Migranten gesprochen:

"Nach dem Pogrom in Rostock im August 1992 und den Brandanschlägen von Mölln und Solingen hat meine Generation türkischer und kurdischer Migranten zum ersten Mal das Vertrauen darin verloren, dass das Grundgesetz und die Organe des Staates uns und andere Migranten und Flüchtlinge genauso schützen wie die Mehrheitsbevölkerung", sagte ihr beispielsweise Ercan Yasaroglu, Sozialarbeiter aus dem Berliner Bezirk Kreuzberg. Kleffners Kommentar: Die „Empörung ganz normaler Leute" sei es, die Ercan Yasaroglu angesichts der NSU-Mordserie vermisse.

Artikel 12 Landesverfassung Brandenburg

(2) Niemand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Identität, seiner sozialen Herkunft oder Stellung, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden.

Lesetipp

Michael Kraske

Der Riss

Michael Kraske beschreibt in einer tiefgründigen Analyse differenziert die Gründe für eine Gewöhnung an rechtsextreme Ideologie, Strukturen und Gewalt und eine zunehmende Radikalisierung der Gesellschaft.

Diese Publikation ist zur Zeit nicht lieferbar.

Haben wir uns an Gewalt gewöhnt?

Yasaroglu ist 2012 52 Jahre alt und kann sich noch gut an andere Zeiten in Deutschland erinnern: „Ich habe eigentlich Reaktionen wie in den 1990er Jahren erwartet, als Hunderttausende zu Kundgebungen gegen Rassismus kamen. Stattdessen gibt es nur dieses Schweigen." Bei den Jugendlichen, mit denen der Sozialarbeiter täglich konfrontiert ist, hätten das Schweigen und die bislang verfügbaren Informationen über die Mordserie das Misstrauen und die ohnehin vorhandenen Ausgrenzungserfahrungen erheblich verstärkt.

Coverausschnitt »Eigentlich fühle ich mich hier wohl.« Alltagsrassismus in Potsdam
© Opferperspektive

»Eigentlich fühle ich mich hier wohl.« Alltagsrassismus in Potsdam. Eine Broschüre der Opferperspektive e.V.

„Schließlich können ihre Eltern, die die Welle rassistischer Gewalt in den frühen 1990ern Jahren als knapp 20jährige sehr bewusst miterlebt haben, ihnen nicht guten Gewissens sagen, dass ihre Ängste unberechtigt seien", so Yasaroglu. Ihm – wie auch vielen anderen Migrantinnen und Migranten – sei dadurch erschreckend deutlich geworden, wie sehr sich die Gesellschaft in den letzten zwanzig Jahren verändert und an rechte und rassistische Gewalt gewöhnt hat.*

Auf europäischer Ebene erstellt die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates seit 1993 Berichte über Rassismus in den europäischen Ländern. Der letzte Bericht über Deutschland erschien 2019 und stellt seit 2014 zunehmenden Rassismus und Feindlichkeit gegen den Islam in der Gesellschaft fest.

Anders als in anderen europäischen Ländern gibt es in Deutschland keine speziellen Anti-Rassismus-Gesetze. Die Gleichheit aller Menschen ist im Grundgesetz (Art.3 GG) festgeschrieben. In Brandenburg ist das Verbot der Ungleichbehandlung in der Landesverfassung verankert.

Hilfe und Unterstützung

Die Opferperspektive betreut im Land Brandenburg Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt und bietet eine Antidiskriminierungsberatung an. 

demos - Das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung berät mit mobilen Teams alle Bürger*innen Brandenburgs zum Umgang mit Rechtsextremismus. Kommunikations- trainings und Moderationen von Workshops zählen ebenfalls zum Angebot. 

BLPB, September 2012 (zuletzt aktualisiert  Oktober 2020)

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