Soziale Ungleichheiten in der Demokratie

Der Abstand zwischen Oben und Unten wächst. Bildlich gesprochen, zieht sich die Spitze der Gesellschaft wie eine Antenne immer weiter nach oben aus. Kann die Demokratie das aushalten oder verliert sie ihre Glaubwürdigkeit? Haben auch die Ärmsten eine faire Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft und sehen sie einen Sinn darin, sich politisch zu engagieren?

Demokratie-Grafiti
© Kamal Fatah

In den westlichen Demokratien nehmen die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu. Seit den 1980er Jahren wächst der Abstand zwischen Oben und Unten, allerdings nicht als Verarmung der Ärmsten oder tiefer Fall einer Mittelschicht, die ins "Lumpenproletariat" absinkt, wie Karl Marx einst prophezeit hatte. Die Mittelschicht stagniert, die Vermögenden werden immer reicher. Bildlich gesprochen, zieht sich die Spitze der Gesellschaft wie eine Antenne immer weiter nach oben aus. Kann die Demokratie das aushalten oder verliert sie ihre Glaubwürdigkeit?

Extreme Ungleichheit kann für jedes politische System gefährlich sein. Im antiken Rom sollte das Volk mit "Brot und Spielen" bei Laune gehalten werden. Diktaturen des 20. Jahrhunderts bemühten sich besonders um Gleichheit, auch wenn es, wie im Nationalsozialismus, nur eine pseudo-egalitäre Politik für die "Volksgenossen" war.

Insofern halten Demokratien sogar ein höheres Maß an Ungleichheit aus, gerade weil sie auf dem Konsens der Regierten beruhen. Andererseits müssen sie höheren Ansprüchen genügen, weil die Gleichheit mit der Freiheit zu ihrem genetischen Code gehört und sie sich den Traum von einer "Gesellschaft der Gleichen" (Pierre Rosanvallon) seit mehr als zweihundert Jahren auf die Fahnen geschrieben haben. Auch muss eine Gesellschaft, die sich selber regiert, Ungleichheit zwischen ihren Mitgliedern schärfer rechtfertigen. 

Lesetipp

Je nach Tradition und kulturellem Selbstverständnis können Demokratien mit sehr unterschiedlichen Graden von Ungleichheit sehr gut leben. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind in den USA viel krasser als in Skandinavien, aber deshalb ist die amerikanische keine schlechtere Demokratie. Die sozialökonomische Gleichheit steht dort überhaupt nicht so zur Debatte wie in Europa, viel wichtiger ist den Amerikanern die Gleichheit von Rechten.

Die Ungleichheit der Verteilung, die Sozialwissenschaftler häufig mit dem Gini-Index ausdrücken, ist ohnehin kein Maßstab für politische Entwicklung und Partizipationschancen: Dynamische Gesellschaften, in denen viele, aber eben nicht alle Menschen aus breiter Armut in die Mittelschicht aufsteigen, werden für die Statistiker ungleicher.

Kompakt erklärt: Soziale Ungleichheit

In den ostdeutschen Bundesländern ist die (Verteilungs-) Ungleichheit größer als in der DDR, aber das ist ja gerade Ergebnis der Demokratisierung, des Ausgangs aus Diktatur und Unfreiheit. Wenn man einen materiellen Maßstab anlegt, ist die Frage nach dem Mindestniveau der sozialen Sicherung, nach dem Lebensstandard in unteren Schichten der Bevölkerung vielleicht wichtiger als der Abstand der Ärmsten an den Superreichen. Diese Marke liegt kaum irgendwo höher als in den westlichen sozialstaatlichen Demokratien. Sie lässt sich außerdem, wie das in den letzten Jahren zunehmend geschieht, nicht nur rein materielll interpretieren.

Die Frage ist dann: Haben auch die Ärmsten eine faire Chance auf Teilhabe an der Gesellschaft, auf Arbeit und Bildung und Freizeit, und sehen sie einen Sinn darin, sich politisch zu engagieren?

Hier liegt das wohl größte Problem im Spannungsfeld von Ungleichheit und Demokratie. Die Wahlbeteiligung sinkt nicht so sehr bei den gut Gebildeten und Chancenreichen, sondern in den unteren Schichten, die sich abgehängt und machtlos fühlen. Die neuen Formen der partizipatorischen Demokratie, der Proteste und Bürgerinitiativen und advocacy-Gruppen sind erst recht ein Aktionsraum der gebildeten Mittelschichten. Die Demokratie gerät in eine gefährliche Schieflage, wenn nur noch die oberen zwei Drittel der Gesellschaft sie aktiv tragen.

Im Übrigen kann man sehr gut für mehr Umverteilung oder eine höhere Besteuerung der Reichen eintreten. Dadurch wird die Gesellschaft gleicher - das ist ein legitimes Ziel. Aber sie wird dadurch nicht unbedingt demokratischer.
 

Aus: Paul Nolte: Die 101 wichtigsten Fragen: Demokratie

Soziale Ungleichheit – was bedeutet sie für die Demokratie und die politische Bildung?

Tagung mit Vereinen politischer Bildung 2017. Hier finden Sie auch den Tagungsbericht. 

 

Lesetipp

Informationen zur politischen Bildung

354 Soziale Ungleichheit

Wenn Ressourcen wie Geld und Lebensbedingungen wie Gesundheit ungleich verteilt sind, wird von sozialer Ungleichheit gesprochen. Dazu gehört auch Chancenungleichheit – wie etwa die Chance auf ein besseres Leben oder einen Bildungsausaufstieg.
 
Ein trauriger Mann sitzt mit seinem Kind auf der Fensterbank

Armut in Brandenburg

Der Anteil der Menschen, die von Armut betroffen sind, ist in Deutschland in den letzten 15 Jahren deutlich angestiegen. Mit unseren Gästen Franziska Löffler und Andreas Kaczynski sprechen wir über Armut in Brandenburg, ihre Folgen und was dagegen getan werden kann.

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Kommentare

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die grösste Gefahr für die Demokratie, sind faule oder bezahlte Politiker. Politiker haben sich zum Schutz des Landes verpflichtet. Wenn man heute genau schaut, werden Entscheidungen getroffen, die immer die "Selben" unterstützen und zwar die "Geldigen". Beweise gibt es genug, auch Bücher. Das mag zwar im Neonliberalismus so sein, ist aber nicht immer gut für das Land!!!!... In meinen Augen, muss die Politik das Land organisieren und in Deutschland vorallem die Ungleichheit bekämpfen. Es geschieht aber das Gegenteil. Sämtliche Preise lässt man steigen. Denn Benzin, Mieten und Strom muss der "Arme" genauso zahlen, wie der "Wohlhabende"! Die Ungleichheit steigt und das hat zur Folge, dass ein Land weniger zu bieten hat, wenn es zu Krisen kommt. Ausser Schulden machen.

In gewisserweise haben wir sehr grosse Probleme, weltweit, dennoch wäre es leichter zu schaffen, wenn man die Lasten gerecht verteilt. Das aber wird niemals passieren. Erst jetzt steigen die Pflege-u.-Krankenkassen-Beiträge. Und wen triffts dann wieder? Längst haben sich "Wohlhabende" bei uns ihr eigenes Reich erschaffen und das geht nur, mit einer entweder faulen oder bezahlten Politik. In der Zukunft werden wir wohl ein anderes Modell finden müssen. Wo alle in einen Topf bezahlen, sei es Krankenkasse, Rentenkasse oder Unterhaltskasse. Und der, der mehr hat, zahlt mehr, für das Selbe, weil er mehr hat! Nennt sich Solidarprinzip. Denn niemand kann sachlich erklären, warum der eine sooviel mehr hat, gegenüber dem anderen…

[Anm. d. Redaktion: Vielen Dank für Ihre Wortmeldung. Um die Übersichtlichkeit unserer Seiten zu wahren, wurde der Text wegen Überlänge entsprechend unserer Kommentarregelung redaktionell gekürzt. Vielleicht ist eine unserer Veranstaltungen im Haus für Sie von Interesse. Sie sind herzlich zum Mitdiskutieren zu dieser Gelegenheit eingeladen.)

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