Rätselbilder

Die „Rätselbilder“ des Klaus Vonderwerth

„Die Karikatur ist ein ernstes Geschäft, wenn sich das sogenannte wirkliche Leben in seiner Verzerrung und Unangemessenheit als Konkurrenz erweist. ... Der Beruf des Karikaturisten ist immer eine gleichzeitig beglückende wie quälende Profession.“

Der dies sagt, gehört zu den Besten auf seinem Gebiet: Klaus Vonderwerth hat Bücher illustriert, Plattencover entworfen, Plakate gestaltet, manchem Programmheft cartoonistische Würze verliehen und sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit satirischer Druckgrafik beschäftigt. Er ist passionierter Schnurrbartträger und fördert damit die Vermutung, dass das üppig sprießende Oberlippenhaar eine gute Tarnung für ironisch zuckende Mundwinkel sein könnte.

Als politischen Karikaturisten hätte er sich nicht bezeichnet – er wurde dazu gemacht. Ende Oktober 1989 lud Siegfried Schröder, wenige Tage später Chefredakteur der NBI (Neue Berliner Illustrierte), den Humorzeichner Klaus Vonderwerth ins Pressecafé am Alexanderplatz ein. Das Gespräch dauerte drei Tassen Kaffee und endete mit einem mündlichen Vertrag und der Nichteinmischungs-Zusage. Am 8. November 1989 bekam der staunende Leser mit Ausgabe 46 eine wirklich „neue“ NBI mit neuem Layout, neuen Inhalten, neuen Themen und einer neuen Seite 3 – ab jetzt Stammplatz für Vonderwerths gezeichneten Kommentar.

Einen Tag später fiel die Mauer, dem Jubel folgte Aufbruch, Staunen und Ernüchterung. Zeitungen und Zeitschriften wurden plötzlich zur spannenden Lektüre und Karikaturen zur notwendigen Sehhilfe. Vonderwerths komprimierte Beobachtungen gehörten dazu, bieten bis heute aber keine Lachgarantie. Man kann darüber lächeln, schmunzeln, oft auch grinsen – aber lachen? „Nein“, sagt er, „ich will gar nicht, dass über meine Blätter gelacht wird“. Wer sich auf seine Arbeiten einlässt, weiß, was er meint. Ostalgie wird man bei Vonderwerth nicht finden, auch keinen weichgespülten Blick zurück. Mit heutigem Wissen betrachtet, begreift man um so mehr die ahnungsvolle Deutlichkeit, die seine Cartoons auszeichnen.

Oft erfährt die bitterste Realität durch die Kunst von Klaus Vonderwerth eine surreale Verfremdung: Ganz logisch reduzieren sich Schnüffler in einäugige Ohren- und Nasen-Wesen, die emsig nach neuen Wegen suchen; wird ein Pappkamerad zum Sündenbock, auf den sich trefflich Dreck schleudern lässt oder werfen die geschleiften Denkmäler bereits zukünftige Schatten.

NBI 18/90

NBI 18/90

NBI 51/89

NBI 51/89

NBI 01/90

NBI 01/90



Aufkeimende Heiterkeit vermag Vonderwerth blitzschnell in schmerzhaftes Erkennen zu wandeln. Viele seiner Blätter sind zeitlos und verblüffend aktuell.

Welche Schlips- und Anzugträger hat Vonderwerth kopflos porträtiert? Jeder neue Gedanke, der ihnen schmetterlingsgleich entschlüpfen will, wird schnell wieder mit dem Käscher eingefangen. Entstanden ist die Zeichnung im Frühjahr 1990 als Parabel auf die Modrow-Regierung.

NBI 10/90

NBI 10/90



Simple Gedankenketten, an deren Ende die einfache Lösung winkt, sind nicht Vonderwerths Sache. Voller Freude am Detail erfindet er oft „Rätselbilder“.

Sie zu entschlüsseln, ist mitunter anstrengend – und das genau ist Vonderwerths Absicht.

Konsequent verzichtet er auf Bildunterschriften und Sprechblasen, selbst auf die Gefahr hin, nicht von allen in allen Anspielungen verstanden zu werden.

Seine Blätter fordern heraus, sie erfordern vor allem Wissen um die politischen Zusammenhänge und fördern nicht zuletzt die Lust am Sehen und Entdecken. Selten wurden Licht- und Schattenseiten eines Systems so präzise schraffiert und zerstrichelt.

Auch 15 Jahre danach kann die Betrachtung der Cartoons von Klaus Vonderwerth eine erkenntnisfördernde (Wieder)Entdeckung sein.



Martina Schellhorn
Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung

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