Wie kolonial war das deutsche Kaiserreich? Der Skandal von Atakpame

Vortrag

Der Skandal, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Atakpame, einem klei­nen Bezirk im westafrikanischen Togo zutrug, führte im Kaiserreich zu erreg­ten Debatten über prügelnde Kolonialbeamte, die sich überdies an Afrika­ner­innen vergangen haben sollten. Allenthalben empörte man sich über das, was zeitgenössisch als "Auswüchse“ schlechter Kolonialherrschaft verstan­den wur­de, ja der Skandal kann sogar als ein Auslöser für die Reichstags­auflö­sung von 1906 betrachtet werden.

Und doch verbirgt sich hinter dem Skandal von Atakpame genauso wie hinter den zahlreichen anderen Medien­­skan­dalen, die von Gewalt fernab des Kaiserreichs berichteten, keineswegs die in Europa immer wieder erzählte Geschichte von bemitleidenswerten, ge­schla­­genen schwarzen Frauen und Mädchen und gewaltbereiten Kolonial­beamten. Eine genaue Analyse der Geschehnisse in Deutsch-Togo, die statt einer auf­geregten Großstadtpresse Glauben zu schenken, versucht, die loka­len Deu­tungen und Gegebenheiten vor Ort in Deutsch-Togo ernst zu neh­men, kommt ganz anderen Geschichten auf die Spur.

Der Skandal von Atakpame ist allerdings nicht nur ein Beispiel dafür, dass euro­­­pä­ische Skandalisierungen des Außereuropäischen mehr mit den eige­nen Befindlichkeiten als mit den dortigen Geschehnissen zu tun hatte. Diese Skan­­dal­geschichte gibt überdies Aufschluss über paradoxe Dynamiken, wie sie nicht nur im Kaiserreich zu beobachten waren: Sie führte dazu, dass über die wahren Begebenheiten in den Kolonien immer mehr geschwiegen wurde, ja, diese geradezu zum Verschwinden gebracht wurden, während man sich laut­­stark über mehr oder minder fiktive Gewalt- und Sexgeschichten empörte.

Referentin:

  • Rebekka Habermas
    Professorin für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen


Gesprächsleitung:

  • Dr. Martin Schaad, Potsdam

Rebekka Habermas lehrt und forscht seit 2000 als Professorin für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen. Ihre Forschungs­schwer­punk­te um­fassen neben der Kolonialgeschichte auch die Geschichte des Bür­ger­tums, die Rechts-, Verwaltungs- und Kriminalitätsgeschichte, Religions­ge­schichte, Geschlechtergeschichte und Historische Anthropologie. Neben vie­len Aufsätzen hat sie folgende Monografien verfasst: Wallfahrt und Aufruhr. Zur Geschichte der Wallfahrt in der frühen Neuzeit (1991); Frauen und Män­ner des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850) (2000) und Diebe vor Gericht. Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahr­hundert (2008). Jüngst erschien Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne (Hg. mit Alexandra Pzyrembel, 2013).

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