
Zur Eröffnung einer Ausstellung
Ein Hauptverdienst dieser Ausstellung ist schon ihr Titel „Feindbild“. Eine hochbedeutende Einzahl! Denn so viele Feindbilder uns allenthalben umgeben: Hinter ihnen allen wird der gleiche Umriß sichtbar, zeichnet sich die gleiche Struktur ab, genau wie sie die Drahtinstallationen von Wagener und Wagener darstellen.
Feindbild das ist der Mensch ohne Gesicht. Und wenn schon mit Gesicht, dann nur mit dem entstellten, dem von Haß zur Grimasse entstellten Gesicht und dazu ein leerer Umriß, behängt mit Losungen und Titeln der diffamierenden Feindschaft.
Es muß sich in jedem Fall mit dem Feindbild so verhalten. Der gesichtslose Feind, das ist die denkbar geeignete Kulisse für unsere Selbstrechtfertigungen. Wem würden wir in ein Gesicht, das uns anblickt, zu sagen wagen: Gott sei Dank! Ich bin kein Ausländer. Ich bin kein Arbeitsloser. Ich bin kein Penner. Ich bin kein Pflegefall.
Jedes Gesicht würde diese Selbstrechtfertigungen zunichte werden lassen. Darum ist der gesichtslose Feind für jede Art von Selbstrechtfertigung unentbehrlich.
Wem würden wir so wahnsinnige Schlussfolgerungen entgegenzuhalten wagen außer einem gesichtslosen Feind: An der Arbeitslosigkeit sind die Arbeitslosen schuld. An den überhöhten Behandlungs- und Medikamentenkosten sind die Kranken schuld. An der Unbezahlbarkeit der Sozialhilfekosten sind die Sozialhilfeempfänger schuld. An der gestiegenen Kriminalitätsrate sind die Ausländer schuld.
Wenn das Feindbild dazu dient, Sündenböcke ausfindig zu machen, dann löst es gleichzeitig eine weitere Aufgabe: Aggression zu rechtfertigen. Wenn der Sündenbock einmal identifiziert ist, dann ist gegen ihn alles erlaubt, weil gegenüber Sündenböcken immer schon alles erlaubt war. Man kann sie ihrer Rechte berauben. Man kann sie moralisch und physisch misshandeln. Ja, wenn es sein muß, kann man sie auch bombardieren. Man kann alle diese Aggressionen vollbringen im tiefsten Gefühl der politischen Korrektheit. Denn niemand schaut uns und unseren Aggressionen in die Augen. Unser Gegenüber ist der gesichtslose Feind.
Wer je in Debatten mit derartigen Feindbildern oder zwischen ihnen verwickelt gewesen ist, der weiß, dass sie gegen alle Argumente immun sind, mit denen sie widerlegt werden sollen. Es kann noch so oft bewiesen werden, dass sie nichts als unberechtigte Verallgemeinerungen sind und auf sachlich unbegründeten Vorurteilen beruhen. Auf jedes Argument antwortet das wie ein Transparent immer neu und unermüdlich zur Schau getragene Feindbild.
Es ist diese unwiderlegbare Immunität von Feindbildern gegen jeden Widerlegungsversuch, auf dem die ungemeine Bedeutung der Kunst ihnen gegenüber beruht. Die Kunst argumentiert nicht. Sie macht sichtbar, so wie die Installationen von Wagener und Wagener die Gesichtslosigkeit des Feinbildes, die Reduktion des Menschen auf einen mit Lösungen der Feindschaft behangenen Umriß versichtbaren.
Ein Appell an uns, unser eigenes Gesicht zu zeigen und hinter Feindbildern menschliche Gesichter wiederzufinden. Kunst befähigt uns zu solchen Suchen und solchem Finden, weil sie Unterschiede sichtbar macht und damit Wahrnehmung lehrt.
Oder um es mit einem musikalischen Bild auszudrücken: die unstimmigen Monologe des Hasses in ihren dissonierenden Tonarten können durch Kunst in die Tonarten des Hörens und Findens neuer Töne, neuer Tonarten und Harmonien gestimmt werden. Nicht durch Gewalt und Lautstärke, sondern durch Klarheit der Wahrnehmung, der Besonnenheit und Dialogfähigkeit der Gefühle.
So kann ich alles, was ich zur Eröffnung dieser Ausstellung sagen möchte, zusammenfassen in einen Dank für die Künstler, die Landeszentrale und ihre Leitung. Einen Dank für den Mut, mit dieser Ausstellung inmitten der uns umgebenden Feindbildmonologie des Hasses ein Terrain zu eröffnen, auf dem über Selbstprüfung und Selbsterkenntnis neue Wege zu gemeinsamer Prüfung und gemeinsamer Erkenntnis sich auftun.
Dr. Wolfgang Ullmann
Theologe, ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments
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