Die unsäglich und aufgeregt geführte Debatte nach Sarrazins Bedrohungsvision "gebärfreudiger Kopftuchmädchen, die Deutschland langsam abschaffen" hat die Radio-und-Fernsehjournalistin Heike Schneider zum Anlass genommen, die "andere Seite" der deutschen und weißen Mehrheitsgesellschaft, d.h. Mitbürger anderer Hautfarbe oder Kultur, bzw. mit Migrationshintergrund, zu Wort kommen zu lassen.
Sie befragte dafür Studentinnen, eine Anwältin, Diplomkauffrauen mit Afrowurzeln, eine palästinensische Übersetzerin, eine junge, rebellische Türkin, eine in der Berliner Härtefallkommission arbeitende Deutsch-Vietnamesin sowie einen iranischen Psychoanalytiker nach ihrem konkreten Alltag zwischen Rhein und Oder. In acht sensibel geführten und problemorientierten Gesprächen erzählen die Befragten unbefangen davon, wie sie einerseits ihre ganz normale Integration durch Job, Ausbildung und vor allem Familie, Freunde und Kollegen er-leben und andererseits immer noch und immer wieder mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert werden.
Diese reicht vom primitiven Angeglotzt-und-Angemacht-werden, Konkurrenzneid, schamlosen Ausfragen, weshalb sie so gut deutsch sprechen und hier bei uns leben, bis zur physischen Gewalt durch Skinheads und Neonazis. In ihrem Spagat zwischen dem starken Gefühl des Hier-Zuhauseseins und der Ohnmachts- oder gar Opferrolle gegenüber subtilen oder offenen Rassismus formulieren sie weder Anklagen, noch Entschuldigungen, sondern reflektieren offen und ehrlich über Selbst-, Fremd-oder auch Feindbilder von beiden Seiten, Andersfarbigen und Deutschen, und liefern damit einen ungeschönten und zugleich Hoffnung machenden Gegenentwurf zu Sarrazins Medienhype und Menschenverachtung.
Die in Neue Mühle/Königs Wusterhausen lebende Buchautorin Heike Schneider hat acht Jahre als TV-und-Radiokorrespondentin in Ost- und West-Afrika gearbeitet und dort einen namibischen Waisenjungen adoptiert, der ebenfalls im märkischen Königs Wusterhausen lebt und inzwischen bei Air Berlin arbeitet, und kennt ihr Thema aus persönlichem wie professionellem Erleben. Sie legte ihr politisches Sachbuch zum 45. Jubiläum des von der UNO proklamierten "Internationalen Tages zur Beseitigung des Rassismus" und 20 Jahre nach der brutalen Ermordung des angolanischen Gastarbeiters Amadeu (Antonio Kiowa) im brandenburgischen Eberswalde vor. Während die Eberswalder Polizei damals empörenderweise nicht eingegriffen hat, sorgt heute eine Stiftung mit dem Namen des Opfers für antirassistischen Aufklärung in Schulen und anderen öffentlichen Diskussionsforen.
Denn, so kritisiert der kenianische Rechtsprofessor und UNO-Sonderberichterstatter Githu Muigai in einem kürzlich dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgelegten Dokument: "in Deutschland herrscht noch hartnäckiger Rassismus", gegen den die deutschen Behörden leider nicht effektiv genug vorgingen. Allein im letzten Halbjahr 2010 gab es in Deutschland 387 schwere rechtsextremistische Gewalttaten. Das sind genau 387 zu viel! Und die brutalen, mutmasslichen zehn Morde an Ausländern durch die "Zwickauer Zelle" gewaltbereiter, krimineller Neonazis sowie die skandalösen Pannen mit sogenannten V-Leuten in der Neo-Nazi-Szene und offenkundigen Defizite, bzw.Vertuschungsmanöver der zuständigen bundesdeutschen Behörden bei der notwendigen Aufklärung und Bekämpfung der gefährlichen rerchtsradikalen Terroristen-Machenschaften rechts und links der Elbe sind ein trauriger Höhepunkt für Rassismus im deutschen Alltag.
Unter dem im Leipziger Militzke Verlag soeben erschienenen Buch-Titel "Schlüpf doch mal in meine Haut!" -ein Zitat der in Berlin lebenden und von Heike Schneider interviewten Namibierin Steffi Aukongo - finden sich unzählige Episoden von schöner, weil selbstverständlicher multikultureller Normalität, aber auch wütend oder nachdenklich machende Erlebnisse von Diskriminierung, sozialen Diskrepanzen, Verletzungen und Erschütterungen, die dem bereitwilligen Leser und wachen Zeitgenossen als "Eye-Opener" für aktive Solidarität im reichen Miteinander von Mitbürgern unterschiedlicher Herkunft dienen können.
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