
Seit 2013 kämpft der so genannte Islamische Staat (IS) mit äußerster Gewalt um die Macht im Irak und Syrien. Hunderttausende Menschen sind vor ihm auf der Flucht. Mit einem geschätzten Vermögen von mehreren hundert Millionen Euro gilt er als die reichste Terrororganisation weltweit. Seine Existenz ruft hierzulande unterschiedliche Reaktionen hervor. Während sich immer mehr junge Menschen von der sunnitisch-islamistischen Terrororganisation angezogen fühlen und bereit sind, die Gruppe zu unterstützen, hinterlassen die Berichte über die Brutalität ihrer Anhänger in der breiten Öffentlichkeit ein Gefühl der Angst und des Unbehagens. Welche Folgen hat der Machtzugewinn des IS im Nahen Osten für uns? Woher kommt die militante Gruppe, was will sie und warum findet sie hierzulande zunehmend Anhänger?
Gast: Dr. Guido Steinberg, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
Der Islamwissenschaftler Dr. Guido Steinberg gibt in seinem Vortrag Antworten auf diese Fragen und diskutiert mit dem Publikum. Von 2002 bis 2005 war Steinberg Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt. Zuletzt erschien von ihm: „Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus“, Edition Körber-Stiftung, Oktober 2014.
Anmerkung: Diese Veranstaltung war ursprünglich für den 28. Januar angekündigt und wurde wegen kurzfristiger Terminüberschneidungen verlegt.
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KommentierenDer Kampf gegen die Welt
Diese Veranstaltung in einem kurzen Bericht zusammenzufassen, ist eine echte Herausforderung. Zu vielschichtig ist das Thema. Das haben auch die Fragen des Publikums gezeigt. Das Interesse war groß, rund 70 Zuhörer waren gekommen, darunter auch eine Gruppe junger Bundeswehrsoldaten, Studenten sowie ehemalige Diplomaten.
Guido Steinberg, der als Referent geladen war, hielt einen bemerkenswerten Einführungsvortrag. Es kommt nicht oft vor, dass Wissenschaftler frei sprechen. Steinberg tat es sehr pointiert und strukturiert, so dass auch Leute, die nicht vom Fach waren, die Zusammenhänge verstanden. Religionskonflikte zwischen Sunniten und Schiiten spielen bei der Entstehung des sogenannten Islamischen Staats (IS) ebenso eine Rolle wie Bürgerkriege und internationale Faktoren wie die Außenpolitik der USA und des Westens.
Innerhalb von 15 Jahren entwickelte sich diese terroristische Gruppe unter verschiedenen Namen von lediglich fünf Gründungsmitgliedern, die zunächst nur im Irak operierten, zur größten Terrorgruppe der Welt. „Dieses Potential habe selbst ich unterschätzt“, gibt der Experte zu. Der IS übt insbesondere auf Ausländer eine große Anziehungskraft aus. Vor allem Saudi-Araber, Libyer, Marokkaner und Türken befinden sich unter den Sympathisanten. Aber eben auch Europäer. Unter ihnen über Tausend Franzosen, auch 650 deutsche Männer und Frauen zählten die Sicherheitsbehörden. “Aber“, beruhigte Steinberg das Publikum, „ für Deutschland sehe ich dennoch keine konkrete Gefahr.“ Der IS benutze insbesondere die Ausländer aus Europa für Selbstmordattentate. 10 Deutsche sprengten sich bereits in die Luft.
Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des IS unterscheidet ihn von anderen Terrorgruppen wie beispielsweise al-Qaida. Es ist der erklärte Kampf gegen die gesamte Welt und zu diesem Zweck erfolgt eine extrem brutale Gewaltanwendung gegenüber allen Ungläubigen. Dafür würden in großer Geschwindigkeit auch bestimmte staatliche Strukturen durch den IS geschaffen. So entschieden Gerichte oder eine eigens eingerichtete Religionspolizei über Leben und Tod vieler Männer und Frauen, aber auch Kindern.
Wie diese Entwicklung des Heiligen Krieges also stoppen, bevor es zu spät ist? Das war nur eine Frage unter vielen in der anschließenden Diskussionsrunde. Vor allem die jungen Männer und Frauen aus dem Publikum fragten nach den Beweggründen der vergleichsweise vielen Deutschen, die sich auf den Weg in den Irak und Syrien machten. Darunter befinden sich einige Nordafrikaner und Konvertiten, die meist eine kriminelle Vergangenheit ohne politischen Hintergrund aufweisen. Sie kommen aus den Problemvierteln deutscher Großstädte und zählen zu der 3. oder 4. Generation von Zuwanderern. Der IS ist auch ein Städteproblem, so Steinberg.
Aber auch die unkontrollierten Geldströme aus Saudi-Arabien und Kuweit riefen Unverständnis unter den Besuchern hervor. Gelegenheit für Steinberg, mit einigen Vorbehalten aufzuräumen. „Nur etwa fünf Prozent der Gesamtfinanzierung kommt von ausländischen Gönnern. Der Rest setzt sich aus Einnahmen aus dem Ölschmuggel, Steuern, der Beute aus der Zentralbank in Mossul und Kunstschätzen zusammen.“
Für eine schnelle Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien sieht der Terrorismusexperte schwarz. Das liege vor allem an der halbherzigen Bekämpfung des IS seitens der USA. Aber auch an der Verfolgung der sunnitischen Minderheit im Irak durch schiitische Milizen. In Deutschland sei es wichtig, eine bessere Überwachung möglicher Ausreisender zu gewährleisten. Aber auch die Rückkehrer müssten beachtet werden. Einen prinzipiellen Schutz vor möglichen Terroranschlägen können die deutschen Sicherheitsbehörden aber nicht bieten. „Dafür“, schließt Steinberg ab „ reicht der Umfang an Überwachungsmöglichkeiten leider nicht aus.“ Ein nachdenklich stimmendes Fazit.
Lina Dingler
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