Armut kann jede und jeden treffen. Mit einer Lesung von Sirkka Jendis, Geschäftsführerin der Tafel Deutschland e.V. und Autorin des Buches „Armut hat System: Warum wir in Deutschland eine soziale Zeitenwende brauchen“, gingen wir der Frage nach, wie gerecht unsere Gesellschaft ist und was sich heute ändern muss.
Am 09. Dezember 2025 war Sirkka Jendis bei uns zu Gast in der Landeszentrale. Sie las aus ihrem Buch „Armut hat System: Warum wir in Deutschland eine soziale Zeitenwende brauchen“. Gemeinsam sprachen wir anschließend über Ursachen von Armut, über verbreitete Vorurteile und Missverständnisse in der öffentlichen Debatte sowie darüber, warum fehlende gesellschaftliche Teilhabe unsere Demokratie gefährden kann. Abschließend diskutierten wir, welche Schritte notwendig sind, um Armut wirksam zu begegnen.
„Armut schwächt die Demokratie, weil fehlende soziale Teilhabe auch immer eine Erosion politischer Teilhabe bedeutet und Menschen ihrer Stimme verwehrt.“
„Armut hat System, das ist einerseits eine besorgniserregende Diagnose, andererseits bedeutet es aber auch, wir können das ändern. Es liegt in unserer Hand. Aber es geht nur gemeinsam.“
In der Aufzeichnung zur Veranstaltung liest Sirkka Jendis zwei Passagen aus ihrem Buch, sie spricht mit uns über Armut und teilt Erfahrungen von ihrer Arbeit bei der Tafel.
Wichtige Punkte des Gesprächs
- Armut entsteht und verfestigt sich oft durch strukturelle gesellschaftliche Ursachen. Dazu gehören schlechte Bildungschancen, zu niedrige Löhne und Renten, Arbeit in Teilzeit, hohe Mieten, bürokratische Hürden sowie eine schleppende Integration.
- Armut widerspricht dem Leistungs-Versprechen, dass in der sozialen Marktwirtschaft alle faire Chancen haben und teilhaben können an Gesellschaft und Politik. Betroffene werden ihrer Würde und der Chance auf ein selbstbestimmtes Leben beraubt und haben schlechteren Zugang zur Gesundheitsvorsorge sowie weniger Möglichkeiten, sich gesellschaftlich und politisch einzubringen.
- Die Debatte über Armut in Deutschland ist durch populistische Argumente und falsche Fakten geprägt. Mit Begriffen wie „Totalverweigerer“ oder „Faulpelze“ soll das Mitgefühl gesenkt und von echten Lösungen abgelenkt werden. Einige wenige Menschen, die staatliche Sozialleistungen tatsächlich missbrauchen, werden als repräsentativ für alle von Armut betroffene Menschen dargestellt.
- Die Tafeln leisten wertvolle Hilfe, sind jedoch häufig überlastet und können den Staat nicht ersetzen. Notwendig sind deshalb mehr Investitionen für Kinder und Bildung sowie in Löhne, von denen Menschen gut leben können. Nach Meinung von Sirkka Jendis sollte dies durch eine gerechtere Steuerpolitik finanziert werden. Sehr hohe Vermögen und Einkommen könnten höher besteuert werden und stärker zum Gemeinwohl beitragen.
Fragen aus dem Publikum
Gibt es auch Armutsbetroffene, die keine Lust haben zu arbeiten?
Nur sehr wenige sind tatsächlich arbeitsunwillig. Die Behauptung, Armut sei meist selbst verschuldet, ist falsch. Die meisten Menschen geraten unverschuldet in Armut und unterschiedliche Voraussetzungen machen es manchen deutlich schwerer als anderen, aus der Armut wieder herauszukommen. Mehr Empathie und weniger Ausgrenzung sind nötig.
Mein Eindruck ist, die einfache Bevölkerung spendet mehr […]. Wie sieht es mit den etwas höheren Einkommensgruppen aus?
Es gibt bei der Tafel keine Daten zur Einkommenssituation von Spendern. Allgemeine Spenden-Auswertungen in Deutschland zeigen aber, dass niedrigere Einkommens-gruppen einen größeren Anteil an ihrem Gesamtvermögen geben; mit steigendem Vermögen steigt die Spendenbereitschaft nicht automatisch. Insgesamt ist die Spendenbereitschaft in Deutschland relativ hoch, besonders in Krisen. Sie kann aber je nach wirtschaftlicher Gesamtlage zurückgehen.
Wie unterstützt die Politik die Tafeln?
Die Tafelarbeit verbindet verschiedene Aspekte miteinander: Sie rettet Lebensmittel vor dem Müll, reduziert damit Lebensmittelverschwendung und sie unterstützt gleichzeitig armutsbetroffene Menschen. Dabei wird das Thema Lebensmittelverschwendung politisch oft leichter adressiert als der Teil, der direkt mit Armut zu tun hat. Es gibt punktuelle Hilfe seitens der Politik, beispielsweise im Bereich der Logistik, aber viele praktische Hürden bleiben bestehen.
zu Gast: Sirkka Jendis, Autorin und Geschäftsführerin Tafel Deutschland e.V.
BLPB, Dezember 2025
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