Horrormeldungen wie die der Deutschen Stimme (vgl. o. S. 1) werden nahezu täglich über rechtsextreme Medien verbreitet. Meist erreichen aber rechtsextreme Druckerzeugnisse nur eine Leserschaft, die ohnehin bereits einschlägig vorbelastet ist. Um darüber hinaus wirksam zu werden, muss rechtsextreme Agitation daher Mittel und Wege finden, größere Aufmerksamkeit in breiteren Teilen der Gesellschaft zu erzeugen.
Neben dem Internet, das seinerseits ein zwar breites, dennoch spezielles Publikum anspricht, spielen hierbei Demonstrationen eine zentrale Rolle. Einerseits setzen rechtsextreme Strategen wie Christian Worch auf die Wirkung in der unmittelbaren Nachbarschaft der Aufmarschrouten, getreu dem Motto, dass sie, "die Nazis", ganz anders seien als allgemein dargestellt.
Andererseits sichern die nahezu wöchentlich stattfindenden Protestmärsche und Kundgebungen den Rechtsextremisten eine breite Resonanz in der Berichterstattung sog. "Systemmedien", wie das im Szeneslang genannt wird. Am 28.2.2002 gab Worch der rechtsextremen Zeitschrift Freie Stimme (Schweiz) ein Interview, in dem er ausführte:
Das politische Potential von Demonstrationen ist gewaltig, vor allem, wenn die sogenannten 'gesellschaftlich relevanten Institutionen' ein geschlossenes Machtkartell bilden. [...] Zur Zeit bieten wir der Öffentlichkeit noch das Bild einer kleinen, in sich geschlossenen ultraradikalen Gruppierung.
Wir sind noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen, auch vom Publikum, von den Teilnehmern her nicht. Daran muss noch gearbeitet werden. Themen und Ausdrucksformen müssen aktualisiert werden und den Nerv der breiten Masse treffen, die Bedürfnisse der einfachen Menschen ansprechen. Wir müssen eine für jedermann als solche erkennbare Alternative zu den herrschenden Kräften werden.
Das hat auch die NPD erkannt, die seit Jahren auf ein dreigliedriges Konzept setzt: "Kampf um die Parlamente", "Kampf um die Köpfe" (bspw. Agitation in klassischen Medien) und "Kampf um die Straße":
Erst wenn wir den 'Kampf um die Straße' endgültig für uns entschieden haben, ist der 'Kampf um die Parlamente' mit der Aussicht zu führen, keine schnell verschwindenden Proteststimmen zu kanalisieren, sondern eine dauerhafte nationale Kraft im Nachkriegsdeutschland zu etablieren.
Rede des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt am 27. Mai 2002
Das Volk blutet, das Kapital kassiert. Hartz IV entsorgen. (18.09.2004 in Hoyerswerda)
Tourismus und Arbeit fördern statt Einwanderung und Integration! (Plakat der rechtsextremen "Bürgerinitiative 'Schöner und Sicherer Wohnen in Ueckermünde'"; 11.04.04 in Anklam)
Wir sind das Volk!. Für Freiheit, Recht und Selbstbestimmung. (Plakat des neonazistischen Kameradschaftsbündnis "Märkischer Heimatschutz" aus Brandenburg; 04.09.04 in Ueckermünde).
Wie Worch oben ausführte geht es dabei nicht allein um klassisch rechtsextreme Themen, sondern darum, "den Nerv der breiten Masse [zu] treffen" und "in der Mitte der Gesellschaft [anzukommen]".
So ist es kein Zufall, wenn organisierte Neonazis und Rechtsextremisten aus dem gesamten Spektrum der Szene, immer wieder mit Slogans aufmarschieren, die nicht eindeutig auf rechtsextreme Herkunft schließen lassen.
Sie nahmen an Anti-Kriegs- und Friedensdemos teil, als der Irakkrieg ausbrach, und formulierten ganz ähnlichen Protest wie die übrigen Teilnehmer, überwiegend gegen die USA.
Und als es im Vorfeld des Beschlusses über das Gesetzpaket, das als Hartz IV bekannt wurde (20.06.04), bundesweit zu Protestdemonstrationen kam, die in Anlehnung an jene Demonstrationen, die den Fall der Mauer begleiteten, immer Montags ausgerichtet wurden, nahmen auch hier systematisch Neonazis teil. In München, Cottbus, Dresden - beinahe überall, wo der Protest gegen die Sozialreformen auf die Straße getragen wurde, tauchten sie auf.
In Dresden am 27.09 mit dem Transparent, "Arbeit für Millionen statt Millionen für Milliardäre", am 20.09 in München mit dem Slogan, "Das Volk sind wir - weg mit Hartz IV" und einer Flagge in den Reichsfarben, Schwarz-Weiß-Rot, oder etwa am 08.09. in Cottbus mit einem rassistischen Plakat.
Nicht überall wurden die Neonazis wie in Cottbus von den Veranstaltern als solche erkannt und vom Demonstrationszug getrennt. Und als in Riesa (Sachsen) am 30.08. die Veranstalter von PDS und DGB NPD-Mitglieder aus der Demonstration ausschließen wollten, ernteten sie derart wütenden Protest aus der Demonstration, dass die Neonazis auch weiterhin teilnehmen konnten.
Andernorts wurden sie wie in Gera von der veranstaltenden Initiative für soziale Gerechtigkeit mit der Begründung sogar ausdrücklich geduldet, ein Ausschluss widerspräche dem Demonstrationsmotto "Keine Gewalt".
Jan Buschbom, Violence Prevention Network e.V., 2006
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