Seit 1979 wird das Europäische Parlament von den Bürgern der Europäischen Gemeinschaft direkt gewählt. Seitdem versuchten die rechtsextremen Parteien mehrfach im Rahmen einer gemeinsamen Fraktion zusammenarbeiten. Insgesamt wurden auf diesem Feld jedoch nur sehr begrenzte Erfolge erzielt.
Die nach der zweiten Europawahl im Jahre 1984 gebildete „Fraktion der Europäischen Rechten“ war in der Geschichte des Europäischen Parlaments die einzige rechtsextreme Fraktion, die in ihrer Ausgangsstärke über eine volle Legislaturperiode (bis 1989) aufrechterhalten werden konnte. Dieser Fraktion gehörten zehn Abgeordnete des „Front National“ (Frankreich), fünf Vertreter des „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) und ein Parlamentarier der griechischen „Ethniki Politiki Enosis“ an. 1985 kam noch ein Abgeordneter der nordirischen „Ulster Unionist Party“ hinzu. Fraktionsvorsitzender war der Franzose Jean-Marie Le Pen (Gründer und Vorsitzender des „Front National“).
Auch die nach der Europawahl 1989 entstandene „Technische Fraktion der Europäischen Rechten“ hatte zunächst siebzehn Mitglieder. Der „Front National“ war wieder mit zehn Abgeordneten vertreten und Le Pen wurde nochmals Fraktionsvorsitzender. Doch die Konstellation hatte sich geändert: Sechs Abgeordnete der deutschen „Republikaner“ traten in die Fraktion ein. Deren Parteivorsitzender Franz Schönhuber übernahm den Posten des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Auch ein Parlamentarier des belgischen „Vlaams Block“ schloss sich der „Technischen Fraktion“ an. Der MSI verzichtete hingegen auf den Beitritt. Es gab Meinungsverschiedenheiten mit den „Republikanern“ über den Südtirolstatus. Außerdem lehnten die Italiener den Führungsanspruch Le Pens ab. Weitere Kontroversen führten dazu, dass später vier der sechs „Republikaner“ (unter ihnen auch Schönhuber) die Fraktion verließen.
In den nachfolgenden Legislaturperioden (1994-1999, 1999-2004) gab es im Europäischen Parlament keine rechtsextreme Fraktion. Zwar wurde nach der Wahl von 1999 der Versuch unternommen, eine „Technische Fraktion der Unabhängigen Abgeordneten“ zu bilden. Da nicht alle beteiligten Parteien dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen waren, wurde sie aber nach kurzer Zeit „wegen fehlender politischer Zugehörigkeit“ wieder aufgelöst.
2001 bestätigte der Europäische Gerichtshof diese Entscheidung des Europäischen Parlaments. Damit war endgültig klar, dass Fraktionen, die nur das Ziel verfolgen, die mit dem Fraktionsstatus verbundenen (z. B. finanziellen) Vorteile zu erlangen, unzulässig sind.
Auch nach der Wahl im Juni 2004 kam zunächst keine rechtsextreme Fraktion zustande, weil es an Mandaten fehlte. Erst mit dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens im Januar 2007 verfügte man über die zur Fraktionsbildung erforderliche Zahl von Abgeordneten. Der Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ (ITS) gehörten insgesamt 23 Parlamentarier aus Belgien (3 „Vlaams Belang“), Bulgarien (3 „Ataka“), Frankreich (7 „Front National“), Großbritannien (1 Unabhängiger), Italien (1 „Alternativa Sociale“, 1 „Fiamma Tricolore“), Österreich (1 „Freiheitliche Partei Österreichs“ = FPÖ) sowie Rumänien (5 „Partidul Romania Mare“, 1 Unabhängiger) an. Geführt wurde die ITS von Bruno Gollnisch („Front National“).
Das Scheitern auch dieser Fraktion war vorprogrammiert. Bereits vor der Konstituierung meinte die italienische Abgeordnete Alessandra Mussolini, es handele sich „eher um eine technische denn um eine politische Fraktion“. Die Aussagen in der Gruppenerklärung sind sehr allgemein gehalten. In seiner Studie „Rechtsextreme Netzwerke und Parteien in Europa“ weist Carsten Hübner daraufhin, dass die grundsätzlichen politischen Streitpunkte im Fraktionsbildungsprozess nicht geklärt werden konnten:
„Dazu gehört etwa, dass der ‚Vlaams Belang‘ und die FPÖ Vorstellungen von einem ‚Europa der Völker‘ vertreten, die sich an völkisch?ethnopluralistischen Konzepten orientieren, während die italienischen Abgeordneten und besonders die ‚Front National‘ etatistischen und klassisch nationalistischen Positionen anhängen. Eine Haltung, die dem aggressiven Separatismus des ‚Vlaams Belang‘ jedoch diametral entgegensteht. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die unterschiedliche Bewertung historischer Entwicklungen und ihrer Folgen, etwa was den Status Südtirols betrifft.“
Bereits im November 2007 löste sich die ITS wieder auf. Auslöser waren anti-rumänische Äußerungen von Alessandra Mussolini. Nachdem in Italien ein rumänischer Roma wegen Verdacht des Mordes festgenommen worden war, behauptete Mussolini unter anderem, die Rumänen hätten „aus der Kriminalität einen Lebensstil gemacht“ und seien scheinbar von Geburt an „unfähig Gesetze zu respektieren“. Daraufhin verließen die Abgeordneten der „Partidul Romania Mare“ (Großrumänienpartei) die Fraktion.
Bezeichnenderweise übten diese keine grundsätzliche Kritik an den rassistischen Beleidigungen Mussolinis, sondern warfen ihr vor, sie habe den Unterschied zwischen Roma und „echten“ Rumänen nicht beachtet. „Der Schurke ist nicht Rumäne, sondern Zigeuner“, verlautbarte Parteichef Tudor.
Gebhard Schultz, April 2009
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