Leben in Würde auch im Alter

Ein Beitrag von Andrea Asch, Sprecherin der Landesarmutskonferenz Brandenburg

Wir sind nicht machtlos gegenüber der Altersarmut. Mit politischem Willen, konkreten Maßnahmen und gegenseitiger Unterstützung können wir dafür sorgen, dass ältere Menschen nicht allein gelassen werden. Politik, Gesellschaft und jede einzelne Gemeinde können dazu beitragen. Viele positive Beispiele zeigen, dass es möglich ist, Armut und Vereinsamung zu überwinden und neue Wege der Teilhabe zu schaffen. Denn die Frage, wie wir im Alter leben wollen, betrifft uns alle - früher oder später.

Blick aus dem Fenster einer Plattenbauwohnung
© Astis Krause

«Alleine arm sein, ist entsetzlich. Armut braucht ein Miteinander.»

So beschreibt es eine Person, die in diesem Fotoprojekt ihre Geschichte teilt. Eine andere sagt: «Es ist nicht so, dass ich wie ein Elender lebe, aber gesellschaftliche Teilhabe ist nicht mehr. Dass ich mir mal ein Konzert oder ein Buch leisten kann — das ist alles weg.» 

Solche Stimmen stehen stellvertretend für viele ältere Menschen, die mit geringen Einkommen auskommen müssen. Sie machen deutlich, dass Armut im Alter weit mehr ist als ein Mangel an Geld. Es geht um Teilhabe, um Würde, um das Gefühl, gebraucht zu werden.

Gerade im Land Brandenburg ist dieses Thema von besonderer Bedeutung. Unser Land ist geprägt von weiten ländlichen Regionen, einer alternden Bevölkerung und einer im Bundesvergleich niedrigeren Wirtschaftskraft. Viele Lebensläufe tragen noch die Spuren der Umbrüche nach der Wiedervereinigung: Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, unterbrochene Erwerbsbiographien. 

Holger aus der Ausstellung "Was bleibt. Arm im Alter"
© Stephanie Neumann
Was bleibt - Arm im Alter
Ausstellung in der Landeszentrale

Wie möchtest du leben, wenn du alt bist? Ein fotografisches Langzeitprojekt erkundet das Leben im Alter mit begrenzten finanziellen Mitteln. 

Frauen sind überdurchschnittlich betroffen

Besonders Frauen, die Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, sind überdurchschnittlich betroffen. All das führt im Alter zu geringeren Rentenansprüchen. Ein Beispiel macht dies besonders deutlich: Frau M. lebt
am Stadtrand von Cottbus. Sie hat ihre beiden Kinder über viele Jahre allein großgezogen und im Einzelhandel gearbeitet. Teilzeit, weil die Kinderbetreuung und später auch die Pflege der eigenen Mutter keinen anderen Spielraum zuließen. Sie hat immer gearbeitet, oft auch am Wochenende. Die vielen Jahre in Teilzeit haben nur kleine Rentenansprüche entstehen lassen. 

Heute erhält Frau M. eine Rente von rund 850 Euro im Monat. Damit liegt sie deutlich unterhalb der Grenze, die für ein Leben ohne zusätzliche Unterstützung notwendig wäre. Sie hat Anspruch auf Grundsicherung, die ihr ein geringfügig höheres Einkommen sichern würde. Wie viele andere ältere Menschen scheut sie sich jedoch, diese Leistung zu beantragen. Zu groß sind Scham und die Sorge, als «Bittstellerin» zu gelten. Deshalb geht sie regelmäßig zur Tafel in Cottbus, um wenigstens bei Lebensmitteln etwas zu sparen. Ein Kinobesuch oder eine kleine Reise sind für sie unerreichbar. Am meisten leidet sie aber darunter, dass sie sich aus Scham immer mehr zurückzieht.

Ihr Beispiel zeigt, dass Altersarmut nicht die Folge eines fehlenden Willens ist, sondern aus Lebensumständen entsteht, die viele Menschen in Brandenburg teilen.

Eine Plastetüte am Kühlschrank. Foto aus der Ausstellung "Arm im Alter"
© Stephanie Neumann
Armut in Brandenburg

Fakten, Einblicke und Perspektiven


 

Altersarmut hat Folgen für das gesellschaftliche Miteinander

Altersarmut ist nicht nur eine persönliche Erfahrung. Sie hat Folgen für das gesellschaftliche Miteinander. Wer mit sehr wenig Geld leben muss, verzichtet oft auf Dinge, die für andere selbstverständlich sind: ein gemeinsamer Kaffee im Ort, ein neues Buch, ein Konzertbesuch, manchmal auch eine gesunde Mahlzeit oder die nötige medizinische Behandlung. Einsamkeit, gesundheitliche Probleme und das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, sind häufige Begleiter.

In der Praxis sehen wir große Unterschiede zwischen den Regionen. Im Speckgürtel um Berlin sind Infrastruktur und Angebote besser. In der Prignitz, der Lausitz oder in der Uckermark hingegen sind die Wege weit und Unterstützung schwer erreichbar. Wer im Dorf keinen Bus mehr hat oder keine Beratungsstelle in der Nähe, erlebt Armut doppelt: materiell und sozial. Besonders im ländlichen Raum fehlen wohnortnahe Angebote der allgemeinen Sozialberatung oder der Schuldnerberatung, die ältere Menschen dringend bräuchten. Gleichzeitig gibt es im Land viele Beispiele, die Mut machen. 

Armutsgefährdungsquote in Brandenburg
© BLPB
Infografik

Armutsgefährdungsquote in Brandenburgs Landkreisen und kreisfreien Städten 2005 - 2022 im Vergleich. 

 

Beispiele, die Mut machen

Über den Pakt für Pflege wurden zahlreiche Projekte auf den Weg gebracht, die Isolation verringern und neue Gemeinschaft schaffen.

In Elbe-Elster fährt der mobile soziale Dienst Mobil & Dabei ältere Menschen von Tür zu Tür, damit sie beim Arzttermin, im Verein oder bei einer Veranstaltung dabei sein können. In der Prignitz laden Projekte wie Besondere thematische Kaffeetafeln oder Gemeinsamer Mittagstisch zum Austausch ein und schaffen Gemeinschaft im Alltag. Im Barnim gibt es ein Angebot speziell für Menschen mit Demenz: Hier geht es nicht nur um Unterstützung im Pflegealltag, sondern auch darum, kulturelle Begegnungen zu ermöglichen und pflegenden Angehörigen Mut zu machen. Und in der Lausitz bringt das generationsübergreifende Musikprojekt Alte Hasen — Junge Hüpfer Jung und Alt zusammen. Musizieren verbindet, schenkt Freude und stärkt das Miteinander.

Auch die Wohlfahrtsverbände, die Seniorenbeiräte, die Seniorenbeauftragten und die jährlich stattfindende Seniorenwoche setzen wichtige Impulse, um die Belange älterer Menschen in Brandenburg sichtbar zu machen. In vielen Landkreisen wurden Wohnberatungsstellen eingerichtet, die zu barrierefreiem und altersgerechtem Wohnen informieren. Die seniorenpolitischen Leitlinien der Landesregierung geben einen Rahmen vor. Doch sie müssen mit Leben gefüllt werden: durch konkrete Angebote vor Ort, durch Beratung, durch verlässliche Strukturen.

Die Aufgabe bleibt groß

Es braucht weiterhin mehr soziale Beratung, mehr wohnortnahe Gesundheitsversorgung und eine verlässliche Infrastruktur in allen Regionen. Die steigenden Kosten für Miete und Energie verschärfen die Situation zusätzlich. Hier sind gezielte Maßnahmen in der Wohnraumpolitik gefragt. Sozialer Wohnungsbau und Programme für altersgerechtes Wohnen können helfen, dass ältere Menschen in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können.

Gesundheitliche Versorgung ist ein weiteres zentrales Thema. Gerade in ländlichen Regionen fehlen Ärztinnen und Ärzte, oft auch Fachangebote der Pflege. Wer nicht mobil ist, verzichtet aus Not auf Behandlungen. Deshalb ist es wichtig, auch hier die Strukturen vor Ort zu stärken, sei es durch mobile Dienste, bessere Anbindung oder digitale Möglichkeiten.

Wir sind nicht machtlos

Die vielen Initiativen im Land zeigen: Wir sind nicht machtlos gegenüber der Altersarmut. Mit politischem Willen und konkreten Maßnahmen, mit gesellschaftlicher Teilhabe und mit gegenseitiger Unterstützung können wir dafür sorgen, dass ältere Menschen nicht allein gelassen werden. Altersarmut ist eine Herausforderung für uns alle. Aber sie ist auch ein Auftrag: dafür zu sorgen, dass ältere Menschen in Brandenburg in Würde leben können, respektiert, gehört und eingebunden. Sicherheit bedeutet nicht nur eine ausreichende Rente, sondern auch eine gute medizinische Versorgung, bezahlbaren Wohnraum und soziale Netze, die tragen. An diesem Netz zu weben, ist eine gemeinsame Aufgabe.

Politik, Gesellschaft und jede einzelne Gemeinde können dazu beitragen. Die vielen positiven Beispiele zeigen, dass es möglich ist, Armut und Vereinsamung zu überwinden und neue Wege der Teilhabe zu schaffen. Denn die Frage, wie wir im Alter leben wollen, betrifft uns alle — früher oder später.

Andrea Asch für BLPB, September 2025
Über die Autorin

Andrea Asch, Diplom-Psychologin, war viele Jahre in Führungspositionen verschiedener Träger der freien Wohlfahrtspflege tätig. Parallel engagierte sie sich mit dem Schwerpunkt Jugend- und Sozialpolitik zunächst einige Jahre ehrenamtlich auf kommunaler Ebene in Nordrhein-Westfalen, von 2005–17 als Abgeordnete des Landtages Nordrhein-Westfalen. Seit 2020 verantwortet sie in der Funktion der Vorständin der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz die sozialpolitischen Themen des Landesverbands. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Sprecherin der Landesarmutskonferenz Brandenburg.

 

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