Es kann so einfach sein. Teil 1

Wegen Kunst am Leben und im Beruf ist Theresa nach Berlin gekommen, wohnt aber in Brandenburg. Das kann nur eine Notlösung sein, dachte sie. Inzwischen sieht sie das anders. Brandenburg ist einfach und manchmal furchtbar kompliziert. Warum ist das so? Hier schreibt sie es auf.

Das Treffen

Am Samstag habe ich mich mit Lette und T. getroffen.

T. heißt eigentlich Thorsten, aber das ist ihm peinlich. Man soll T. zu ihm sagen, aber englisch. Also Tie. Tie kommt aus Cottbus und auch das ist ihm peinlich. Weil, so Tie, Cottbus insgesamt peinlich ist. Tie war in Cottbus im Kindergarten, in der Schule und an der Universität. Vorher wurde er da auch geboren. Er fasst das so zusammen: „Ein komplett versautes Leben.“ Seit das Leben versaut ist, versucht er sich als Journalist. Die Ergebnisse sind überschaubar. 2016 hat er was über die neue Gurkenkönigin Diana geschrieben. Er hat sie in Aussehen und Sprache scharf kritisiert und mit der Erdbeerkönigin Kathrin verglichen. Das kam nicht gut an. Besonders nicht die Vermischung menschlicher Eigenschaften mit denen von Brandenburger Gemüse. Der Artikel wurde nicht gedruckt. Aber Tie gibt nicht auf.

Zurzeit arbeitet er an einem streng geheimen investigativen Projekt im Bereich der Politik. Es hat den Codenamen „BW-Sack“. Das steht für die politische Erfolglosigkeit des „Brandenburger Weges“. Tie wird nachweisen, dass das so ist. Zurzeit ist er noch in der Flächenrecherche. Er fährt durch Brandenburg und sucht Wege oder Straßen, die „Brandenburger Weg“ heißen und in einer Sackgasse enden. Wegen der Bildmetapher. Die politischen Inhalte kommen dann später. „Und das wird knallen!“, meint Tie. „Wenn das erscheint, kann Woidke sich ganz warm anziehen und die PNN kann den Metzner feuern!“

Ich schaue fragend. Lette winkt ab. „Ein Insider. Kein Schwein außerhalb von Potsdam kennt Woidke oder Metzner. Die glauben das nur.“

Lette bestellt noch eine Runde Sunrise für alle. Wir sitzen im Friedrichshain im Crush und beobachten Touristen. Die meisten kommen immer noch aus Spanien.

Lette hat Tie an der Uni in Cottbus kennengelernt. Sie sind jetzt drei Jahre zusammen. Auch wenn es schwer ist. Lette hält zu Tie. Lette heißt eigentlich Arlette. Ihre Mutter kannte in Pankow einen Franzosen, der aber nie zurückgerufen hat. Sehnsucht wird richtig groß, wenn sie nicht erfüllbar ist. Als das klar war, ist Lettes Mutter nach Neubrandenburg gezogen. Dort gab es einen Mann, der nach späteren intensiven Recherchen wohl Thomas hieß. Und es gab eine Nacht und im Ergebnis Lette. Lette ging nach dem Abi nach Cottbus. „Wenn Du von Neubrandenburg nach Cottbus fährst, ist es, als ob Du von Tschernobyl nach Fukushima kommst.“ Lette liebt drastische Formulierungen. „Cottbus ist wie Fukushima. Sie versuchen es wenigstens noch. In Neubrandenburg fehlt nur noch der Sargdeckel aus Beton.“ Tie ergänzt: „Aber die radioaktive Wolke hat längst Brandenburg erreicht. Die Menschen werden immer komischer.“

Wir stoßen auf die komischen Menschen von Brandenburg an. Obwohl ich die Brandenburger gar nicht so komisch finde.

Ich bin Theresa. Ich komme von ganz unten im Süden, wo die alten Menschen mich immer noch angsterfüllt anschauen, wenn ich vom Osten spreche. Lette und Tie habe ich letzten Sommer in Hamburg kennengelernt. Da wohnten die beiden schon in Berlin. Tie wollte nach seiner Kritik an der Erdbeerkönigin endlich aus Cottbus weg und Lette ist eh der Meinung, dass die Chancen für Fukushima als begrenzt anzusehen sind. Also sitzen sie jetzt in einer WG in Wedding, zählen jeden Tag das Geld und kommen irgendwie so durch. So wie alle in Berlin irgendwie durchkommen. Seit November bin ich auch in Berlin. Also nicht ganz. In der WG war kein Platz für mich. In ganz Berlin war kein Platz mehr. Also sitze ich jetzt vor den Toren Spandaus in Falkensee in einer Ferienwohnung von Frau Ragow. Sie vermietet wegen der fehlenden Touristen. Frau Ragow ist schon über siebzig Jahre alt, Witwe und sehr nett. Wir verstehen uns gut und sie erzählt mir viel von Falkensee, von Brandenburg und von ihren Krankheiten. Lette und Tie meinen, sie wollen mir mal Brandenburg so richtig zeigen. Es klingt wie eine Mischung aus Drohung und Abenteuer.

Seit Kurzem hat jetzt auch Brandenburg als letztes aller Bundesländer seinen eigenen Werbeslogan. Er heißt: „Es kann so einfach sein.“

Die Brandenburger haben Humor und sich des Spruches schon angenommen. Bei Twitter gibt es eine Hitliste.

Platz 1: „Es kann so einfach sein: Einen Flughafen bauen.“
Platz 2: „Es kann so einfach sein: Stirb auch Du in Brandenburg!“
Platz 3: „Brandenburg: Es ist nicht einfach.“

Tie meint, wir können doch den Spruch nehmen und schauen, wie einfach es in Brandenburg wirklich ist. Eine gute Idee. Lette wird Fotos machen. Wenn es wärmer wird, fahren wir los. Und werden euch dann berichten.

Bis dann!

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Wegen Kunst am Leben und im Beruf ist Theresa nach Berlin gezogen. Dort arbeitet sie, wohnt aber in Brandenburg. Am Anfang hat sie gedacht, das kann nur eine Notlösung sein, denn alle wollen doch nach Berlin, niemand aber nach Brandenburg. Inzwischen sieht sie das anders. Brandenburg ist ganz anders als Berlin, wo jeder sich jeden Tag bloß neu erfindet. Brandenburg ist einfach und manchmal furchtbar kompliziert. Warum ist das so? Hier schreibt sie es auf.

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Kommentare

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Das war richtig klasse - bin jetzt schon Fan von Lette, Tie und Theresa! Die sind so herrlich politisch unkorrekt!
Es ist so einfach ...über sich selbst zu lachen!
Wer war nochmal Woidke? Sorry;-)
Bitte weiter machen!

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