Wahlen – ein spießiges Erwachsenending?

Menschen meines Alters müssten sich einfach mehr damit beschäftigen, welche Möglichkeiten sie haben, um sich Gehör zu verschaffen. Warum werden die Parteien nicht auf die Dinge aufmerksam gemacht, die uns wichtig sind? Nicht zu wählen und nur zu hoffen, ist riskant.

Der 18. Geburtstag ist ein großes Ereignis. Mit diesem Tag eröffnet sich einem die Welt der vielen Möglichkeiten - so scheint es zumindest auf den ersten Blick. Unbegleitetes Autofahren, unbegrenzter Alkoholgenuss und uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit gehören zu den Dingen, die einem da so in den Sinn kommen.

Auch die Teilnahme an Wahlen gehört zu den Möglichkeiten, die mit der Volljährigkeit einhergehen (wobei dies im regionalen Rahmen in Brandenburg ja sogar schon mit 16 Jahren möglich ist). Als ich an meiner ersten Landtagswahl, oder besser gesagt meiner ersten Abgeordnetenhauswahl teilnehmen durfte, hatte ich das Gefühl, dies sei etwas Besonderes. Ich fühlte mich wichtig, weil ich mitentscheiden konnte, wer die Hauptstadt meines Landes regieren würde. Natürlich war mir bewusst, dass eine Stimme mehr oder weniger in der Regel nicht den Ausschlag gab. Doch es war mir trotzdem wichtig, an der Wahl teilzunehmen und diejenigen mit meiner Stimme zu unterstützen, von denen ich hoffte, dass sie nicht allzu viele Entscheidungen treffen würden, mit denen ich nicht einverstanden war.

Viele meiner Altersgenossen stehen der Möglichkeit des Wählens allerdings wesentlich unbeteiligter gegenüber. Es sei ein „spießiges Erwachsenending“. Man könne mit seiner Stimme ja eh nichts ausrichten. Warum also wählen gehen. Die besonnene Politikstudentin in mir wüsste an dieser Stelle zu sagen: "Auch wenn deine Stimme nicht den entscheidenden Unterschied macht, solltest du wählen gehen. Demokratie ist ein hohes Gut. Sie ist von allen Herrschaftsformen am ehesten geeignet, um zu gewährleisten, dass die Regierung sich an dem orientiert, was das Volk möchte. Doch Demokratie lebt von Wahlen. Wenn das Volk nicht zum Ausdruck bringt, was es möchte, dann kann dem auch nicht Genüge getan werden."

Nicht zu wählen und nur zu hoffen, ist riskant

Das Problem besteht wohl auch darin, dass bei vielen Wählern der Eindruck entsteht, dass dem eigenen Willen selbst dann nicht entsprochen wird, wenn man ihn zum Ausdruck bringt. Es mangelt auch an Parteien, deren Programm den eigenen Vorstellungen entspricht. Doch nicht zu wählen und einfach zu hoffen, dass es schon gutgehen wird, da es genug andere gibt, die die „Mittelwegparteien“ wählen, so dass radikale Veränderungen im Großen und Ganzen ausbleiben und wir weiter einfach so vor uns hin leben können, ist riskant. Denn dann wählen womöglich irgendwann nur noch diejenigen, die den jetzigen Zustand voller Tatendrang auf eine uns höchst unliebsame Weise verändern wollen.

Vielleicht müssen sich die Menschen meines Alters einfach mehr damit beschäftigen, welche Möglichkeiten sie in unserem Land haben, um sich Gehör zu verschaffen. Wenn sich die Mehrheit der jungen Wähler mit keiner Partei derart identifizieren kann, dass sie es ihnen wert wäre, zur Wahl zu gehen, warum gründen sie dann nicht eine neue Partei? Oder machen die vorhandenen Parteien auf die Dinge aufmerksam, die ihnen wichtig sind? Einfach nichts zu tun und dem politischen Geschehen gegenüber gleichgültig zu werden, ist jedenfalls keine Lösung.

Ein Stück weit muss ich meine Generation aber auch in Schutz nehmen. Wir sind jung und haben wenig Übung darin, mit den vielen Dingen, die auf uns einströmen und die wir irgendwie bewerkstelligen müssen, umzugehen. Da rückt Politik auf der Prioritätenliste schon mal etwas weiter nach hinten. Doch wir sollten nicht vergessen, dass Wahlen keine lästige Pflicht, sondern ein Privileg sind.

Die Autorin Madita Gerike
studiert Politik- und Religionswissenschaften an der Universität Potsdam. Im Rahmen ihres Praktikums schreibt sie in loser Folge über ihre Zeit in der Landeszentrale und das aktuelle Zeitgeschehen.

 
 

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Bei Wahlen in Deutschland ist immer zu bedenken, dass trotz der Herabsetzung des Wahlalters (von der ich persönlich allerdings nicht so viel halte) die Stimmen der Älteren schon allein aufgrund der demographischen Situation deutlich mehr ins Gewicht fallen. Ein älterer Mensch wählt indes - soweit es ihm eingermaßen gut geht - weniger experimentell als ein Jüngerer. Er wählt in erster Linie das Vertraute. Die sogenannten "Wut"-Alten werden zwar allmählch stärker, sind aber doch noch eine verhältnismäßig kleine Minderheit.

In diesem Kontext dürfte die Gründung einer "Jugendpartei" wenig chancenreich sein, zumal sich in Deutschland auch keine "Mehrheit der jungen Wähler" finden dürfte, die einer solchen Partei die Stimme gibt. In anderen europäischen Ländern sieht dies aufgrund der hohen Jugendarbeitsarbeitslosigkeit und der damit verbindenen Chancenlosigkeit etwas anders aus, aber auch dort ist zu beobachten, dass der Hauch des Neuen sehr kurzlebig ist und die hohen Erwartungen schnell enttäuscht werden.

Immerhin gibt es heute Alternativen zum Block der Volksparteien und Wahlen sind weitaus spannender als bis zum Ende der 1990er Jahre.

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