Wie stellt man eigentlich Krieg aus?

Unsere aktuelle Ausstellung zeigt Menschen in der Ukraine vor und nach Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar 2022. In "Wir hatten ein normales Leben" erinnern sie sich und versuchen zugleich, nach vorn zu schauen. Wir wollten wissen, was der Krieg für die betroffenen Menschen bedeutet.

Der Beginn des russischen Großangriffes auf die Ukraine am 24. Februar 2022 gilt vielen Menschen als „Zeitenwende“. Sie teilen ihr Leben in eine Zeit davor und danach ein. Wir wollten wissen, was das für die Menschen, die zum Zeitpunkt des Krieges in der Ukraine gelebt haben, bedeutet.

Deshalb haben wir Frauen und Männer, die wegen des Krieges aus der Ukraine flüchten mussten und heute in Brandenburg leben, dazu befragt. Ihre Erinnerungen sind Teil der aktuellen Ausstellung „Wir hatten ein normales Leben. Ukraine 2006 – 2023“, die gerade in unserem Haus in Potsdam zu sehen ist. Natascha Zatula erinnert sich an den 24. Februar 2022 so:

„Am 24. Februar kam mein Sohn um fünf Uhr morgens in unser Schlafzimmer und sagte, dass Krieg sei. Ich habe es zuerst nicht geglaubt. (…) Es gab keinen Strom mehr, das Internet fiel aus und es war nicht möglich zu telefonieren. Schließlich packten wir unsere Sachen und fuhren zu der Familie meines Mannes, die in Charkiw wohnte. Im Radio ertönte ständig Fliegeralarm. In der U-Bahn-Station gab es ganz viele Frauen, Kinder und Familien. (...) Dieser Tag hat alles verändert.“

Wie stellt man eigentlich Krieg aus?

Von Anfang an beschäftigte uns die Frage, wie stellt man eigentlich Krieg aus? Wie verknüpfen wir politische Bildung und den respektvollen Umgang mit den vom Krieg betroffenen Menschen? Und wie ermutigen wir zum solidarischen Verhalten gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern, die zu uns nach Brandenburg kommen? Ihre Perspektive sollte in jedem Fall ein zentraler Punkt unserer Ausstellung sein. Neben Krieg, Gewalt, Zerstörung und Flucht wollten wir auch positive, zuversichtliche Erfahrungen zeigen. Eine solche Erfahrung schildert beispielsweise Ludmilla Fomina in ihrem Interview zur Ausstellung:

„Ich hatte Glück. Ein Ehepaar, das so alt ist wie ich, hat ein großes Haus. Sie gaben mir ein Zimmer. Manchmal kochen wir zusammen. Manchmal sehen wir abends zusammen fern und trinken ein Bier. Manchmal nähen meine Gastgeberin und ich zusammen und ich kann ihr ein paar Tipps geben. Sie sprechen sehr viel mit mir und so lerne ich die Sprache.“

Mit unserer Ausstellung mussten wir nicht bei null starten. Die Kolleginnen und Kollegen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg hatten im Sommer 2022 gemeinsam mit den beiden Foto-Agenturen Focus und MAPS eine Open-Air-Ausstellung auf die Beine gestellt. Wir zeigen Motive daraus und knüpfen auch an den Leitgedanken der Hamburger Ausstellung an: Die Ukraine und ihre Menschen sind weit mehr als der Krieg. Deshalb sind am Anfang unserer Ausstellung Fotografien aus der Zeit vor dem 24. Februar 2022 zu sehen. Dazu informieren wir in kurzen Texten über die ukrainische Geschichte und Gesellschaft, die Wirtschaft des Landes, die Majdan-Proteste sowie die russische Annexion der Krym (Krim) und den Angriff auf die Region Donbas im Jahr 2014.

Beim Zusammenstellen der Fotos und der Erarbeitung der Texte haben auch wir einiges gelernt: Wussten Sie zum Beispiel, dass der zentrale Majdan-Platz in der Hauptstadt Kyjiw (Kiew) in den zurückliegenden Jahrzehnten drei Mal zum Ausgangspunkt einer Revolution wurde? Im September 1990 – damals noch in der Sowjetunion („Revolution auf Granit“), im November 2004 („Orangene Revolution“) und im November 2013 („Revolution der Würde“).

Menschliche Kraft

Ein zweiter Teil unserer Ausstellung widmet sich der Zeit seit dem russischen Großangriff auf die Ukraine. Hier sind fünf Frauen und Männer portraitiert, die vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten mussten und seit dem Frühjahr 2022 in Brandenburg leben. Zu lesen sind Kurzfassungen der Interviews, die wir mit ihnen geführt haben. Die Gründe ihrer Flucht aus der Ukraine dokumentieren die Bilder im gleichen Raum: Es sind Gewalt und Zerstörung – die Aufnahmen zeigen aber auch Widerstand und Durchhaltewillen der Menschen, die noch immer in der Ukraine leben.

Insgesamt sind in unserer Ausstellung mehr als 50 Bilder zu sehen, die von 14 Fotografinnen und Fotografen zwischen 2006 und Januar 2023 aufgenommen wurden. Nicht jedes Bild entstand mit der Absicht, jemals in einer Ausstellung gezeigt zu werden. So unterschiedlich und zum Teil auch ungewöhnlich sind die Perspektiven der Fotografien. Die Erweiterung der Hamburger Ausstellung um aktuelle Bilder aus der Ukraine, die Ergänzung durch landeskundliches Basiswissen und die Interviews mit den ukrainischen Frauen und Männern in Brandenburg geben der Ausstellung in Potsdam ein neues - wenn man so will - ein brandenburgisches Gesicht.

Wir laden Sie ein, sich selbst ein Bild zu machen. Zudem bieten wir regelmäßig Rundgänge durch die Ausstellung an, rufen Sie gern  an und vereinbaren einen Termin.

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Dr. Sebastian Stude
© BLPB

Dr. Sebastian Stude ist Referent für Ausstellungen und Öffentlichkeitsarbeit. Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht: Die Geschichte von Brandenburg und seinen Menschen.

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