Das Neuruppiner Jugendwohnprojekt „Mittendrin“ ist nur ein Beispiel von vielen: Weil hier eine als linksextrem eingestufte Band auftrat, wurde das Wohnprojekt im Brandenburger Verfassungsschutzbericht 2010 erwähnt. Damit war die öffentliche Förderung des Projektes gefährdet, das sich seit Jahren gegen Neonazismus engagiert. Erst ein gewonnener Prozess führte zur Rücknahme der Erwähnung.
Hintergrund dieser Entwicklung ist die so genannte „Extremismusklausel“. Seit 2011 knüpft das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die Vergabe von Fördermitteln an ein Bekenntnis zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Wer Fördergelder erhalten will, muss sich nicht nur selbst schriftlich zur Einhaltung demokratischer Grundwerte verpflichten, sondern auch seine Kooperationspartner auf ihre politische Gesinnung hin überprüfen.
Problematisch sind nicht nur das Misstrauen gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Aufruf zur gegenseitigen Überwachung, die sich hierin ausdrücken. In der Kritik steht die Extremismusklausel vor allem wegen des verwendeten Extremismusbegriffs. Diesem liegt die Idee zugrunde, jenseits der Extreme gebe es eine gemäßigte, nicht-extremistische Mitte. Menschenverachtende und rassistische Einstellungen sind jedoch auch in der Mitte der Gesellschaft verbreitet. Diesen „Extremismus der Mitte“ kann der Extremismusbegriff nicht erfassen. Stattdessen lenkt die Gleichsetzung von linken und rechten Einstellungen ab von Ausgrenzungsmechanismen der Mehrheitsgesellschaft.
Was bedeuten die Überwachung und Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement für die Betroffenen und für die Auseinandersetzung mit neonazistischen Strukturen? Für welche Werte steht der „demokratische Rechtsstaat“ überhaupt, und wodurch wird er gefährdet?
Die Diskussionsveranstaltung beleuchtet die Bedeutung der Extremismusklausel für zivilgesellschaftliches antifaschistisches Engagement und debattiert Möglichkeiten der zukünftigen Arbeit gegen Rechts im Kontext des Extremismusvorwurfs.
Diskussionsveranstaltung
Programm:
17:30 Uhr - Erfahrungsbericht: Dr. Rolf Gössner
Der Rechtsanwalt und Publizist ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Jury-Mitglied der BigBrotherAwards und Mitherausgeber des Grundrechte-Reports. Gössner stand von 1970 bis Ende 2008 unter Dauerbeobachtung des Verfassungsschutzes und spricht über diese Erfahrung.
18.30 Uhr - Podiumsdiskussion: Was ist eigentlich „Extremismus“?
Über die Extremismus-Definition und die ideologischen Hintergründe diskutieren:
- Dr. Rolf Gössner
- VertreterIn des Forums für Kritische Rechtsextremismusforschung (FKR)
- Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen, MdB
20.00 Uhr - Podiumsdiskussion: Folgen und Gegenstrategien
Über lokale Auswirkungen der Extremismusklausel und mögliche Gegenstrategien diskutieren:
- Oliver Leonhard, JWP Mittendrin e.V.
- Martin Osinski, Bündnis "Neuruppin bleibt bunt"
- Nico Scuteri, Mobiles Beratungsteam Neuruppin
Moderation: Stefan Fulz, Claire Horst
Workshop
Interessierte Jugendliche und junge Erwachsene können zur Vertiefung einen Workshop zum gleichen Thema besuchen.
Sonntag, 08.01.2012, 12:00 – 19:00 Uhr
Anmeldung und weitere Informationen: Andy Kleinert: kleinert@boell-brandenburg.de
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Kommentare
KommentierenKontrolle der Meinung
Um die Arbeit des Verfassungsschutzes, die Definition von Extremismus und deren Folgen ging es am Montag im Neuruppiner Rathaus
Kommentar von Reyk Grunow in der MAZ vom 11.01.2012
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