Deutsche Pädagogik nach 1945

Hartmut von Hentig

Deutschland (war) von Mächten besiegt worden, die ihrerseits keinen Grund hatten, ganz von vorn zu beginnen, sondern meinten,

a) in einer Pädagogik, die sie vor dem Schicksal Deutschlands bewahrt hatte, ein Rezept zu besitzen, das nun auch für Deutschland gut war, und

b) es gehe nicht um 1933, sondern um Auschwitz.


Und so gab es 're-education’ der Erwachsenen (die man nicht erziehen kann, ohne wieder Unmündige aus ihnen zu machen) und eine oberflächliche – weil von Besatzungsmächten nicht zu leistende – Demokratisierung der Schule. (...)

Nachdem das Subjekt des Tausendjährigen Reiches, das Tier aus der Tiefe, erschlagen war, galt es das Alte wiederherzustellen. (...), das wahre deutsche Wesen, das sich nur zeigen musste, wie es wirklich war, um rehabilitiert zu werden. (...)

Daß 're-education’ an Erwachsenen geschah, dass sie vom Sieger ausging und dass sich die Entnazifizierung wie eine Entlausung vollzog, (...) das hat diese Maßnahmen diskreditiert. Schlimmer war, dass alles, was in besserer Absicht und richtigerer Einsicht aus der gleichen Richtung kam, nunmehr mit Verbitterung abgewiesen wurde.(...)

Der deutsche Lehrerstand (...) hat bis heute einen anti-amerikanischen Affekt in Fragen der Pädagogik.
Die Elternschaft hat die Kinderpsychologie in der unverstandenen Praxis amerikanischer Besatzerfamilien kennengelernt, abgelehnt und seitdem abgeschrieben.
Die Nürnberger Gerichte werden erst angenommen, wenn der Film sie zurechtrückt.

(v. Hentig (1963) 1982, S. 97 *)

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