Ein journalistisches Kunst-Stück

Es geht unentwegs aufwärts
Es geht unentwegs aufwärts

Den Karikaturisten Dieter Zehentmayr stellen wir uns am besten als glücklichen Menschen vor. Weil er alles darf, weil er im Wortsinne souverän ist. Er sucht sich sein Thema selbst, er setzt es selbst um, er muss keine redaktionellen Absprachen treffen, keine Hierarchien berücksichtigen, er kommt unredigiert, unkorrigiert, unbotmäßig ins Blatt.

Keiner, kein Ressortleiter, kein Chefredakteur, sagt ihm, dieses oder jenes Thema müsse er nun bearbeiten, von einem anderen solle er besser die Finger lassen, diese oder jene Meinung könne man nun wirklich nicht vertreten.

Aber was macht ihn aus, welches Talent verhilft ihm zu diesem Glück? Ist er ein Künstler, ein Satiriker, ein Journalist? Dass er ein Künstler ist, genauer: ein zeichnender Künstler, ist offensichtlich.

Einer, der die Gabe hat, Menschen zu porträtieren, sie dabei zu verfremden und doch gleich wiedererkennbar zu machen. Die Karikatur hat ihre Wirkung verfehlt, wenn der Betrachter erst auf den zweiten Blick erkennt: Ach, der soll das sein...

Die Karikatur wirkt auf den ersten Blick, oder sie wirkt gar nicht. Bei Zehentmayr wirkt sie.

Der Karikaturist braucht aber nicht nur den Blick für die Menschen, die er zeichnet. Er braucht auch den analytischen Blick für politische Zusammenhänge. In den Irrungen und Wirrungen der Tagespolitik sucht und findet er seine Wahrheit, und der gibt er ein zeichnerisches Gesicht. Lexika definieren die Karikatur oft als Zerr- oder Spottbild, was sie auch ist. Aber sie soll die Wirklichkeit nicht verzerren, sondern im Gegenteil ihr Konzentrat sein, die Wahrheit schonungslos an den Tag bringen.

Es genügt nicht, einfach nur witzig zu sein, denn der Karikaturist kann auch falsch liegen, genauso wie der Leitartikler. Die Karikatur ist nicht nur eine künstlerische Form. Sie ist eine journalistische Form, und nur ein politischer Kopf kann ein guter Karikaturist sein.

Kurt Tucholsky hat den Karikaturisten als gekränkten Idealisten skizziert, als einen Menschen, der die Welt gut haben will und gegen das Schlechte anrennt – indem er es decouvriert. Ein Idealist darf der Karikaturist wohl sein, aber ein Weltverbesserer, ein zeichnender Missionar darf er nicht sein. Denn in der journalistischen Arbeit ist Distanz gefragt – zu Parteien, Personen, Institutionen. Der Journalist, auch der Karikaturist, ist interessiert, aber nicht mittendrin, engagiert, aber nicht gebunden. Dieter Zehentmayr ist als Karikaturist nie rüde, aber im besten Sinne rücksichtslos, insofern als er niemanden verschont.

Der Karikaturist als glücklicher Mensch: Eigentlich ist das schon wieder ein Thema für die Karikatur. Müssen wir uns nicht auch Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen? Und jeden Tag die Pointe genau am richtigen Punkt zu setzen, ist das etwa weniger anstrengend als einen Stein den Berg hinauf zu rollen?

Dr. Uwe Vorkötter
Chefredakteur der Berliner Zeitung

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