Ausstellungseröffnung

12. Juli 2000

Ein volles Haus...
Ein volles Haus...; Fotos: Harald Hirsch

Auszüge aus der Rede von Robert Gernhardt:

"... Im "Eulenspiegel" veröffentlichte Andreas Prüstel das, was er nun schon seit 25 Jahren macht. Klebebilder zu meist politischen und gesellschaftspolitischen Themen.

Doch nicht von Inhalten möchte ich vorerst reden, Fragen zur Form sollen den Anfang machen. Zum Beispiel die, ob es sich Prüstel nicht sehr leicht macht, wenn er als Bildsatiriker nicht zum karikierenden Stift, sondern zur Schere greift, um das Foto seines Opfers auszuschneiden und auf einen ebenfalls bereits von fremder Hand fotografierten Hintergrund zu kleben:

Ist das denn eine Kunst? Nicht vielmehr ein ebenso simples wie arbeitsscheues Vorgehen?

Nein, halte ich dagegen, Prüstel macht es sich schwer. Wie schwer, das möchte ich an einem seiner Blätter zeigen - aus gegebenem Anlass habe ich die "Sein oder Nichtsein" überschriebene Collage gewählt, die Gregor Gysi als Hamlet zeigt.

Am Anfang - so hat es mir Prüstel berichtet - habe ein Eindruck gestanden: Gysi als schwankende Figur, als verantwortungsträger einer Partei, für die es am Anfang der 90er um Sein oder Nichtsein gegangen sei, da sie zweierlei zu verkörpern versuchte.

Die Nachfolgeorganisation der SED - der Genossen und des Parteivermögens wegen - und zugleich eine glaubwürdig demokratische Partei. Dieses Ineinander von Schwanken und Existenzfrage habe den Einfall geradezu aufgedrängt, aus dem Protagonisten einen Hamlet zu machen.

Gedacht - getan? Nein, so schnell klebt ein Collagist wie Prüstel nicht... Zunächst durchsucht er seine Archivkästen, in denen das Bildmaterial penibel nach Gruppen versammelt liegt und findet einen stimmungsvoll gewittrigen Hintergrund, ursprünglich Bestandteil einer Automobil-Werbung.

Sodann beginnt die - schon schwierigere - Suche nach dem Hamlet-Körper, der sich die schwierigste Suchaktion anschließt: Unter rund 200 archivierten Gysi-Köpfen muß Prüstel den herausfinden, der in Größe, Blickrichtung und möglichst auch Beleuchtung haargenau zur Körpersprache des kopflosen Schauspielers passt.

Wie zu sehen ist, hat Prüstel nicht nur gesucht, sondern auch gefunden; was man aber selbst bei näherem Hinsehen kaum oder gar nicht erkennen kann, das sind Schnittränder und Klebestellen. Erst der vorsichtig über das Blatt fahrende Finger spürt, aus wie viel Bestandteilen sich solch eine Collage zusammensetzt. Bei "Sein oder Nichtsein" sind es drei Elemente; mehr als vier zu verwenden, widerstrebt Prüstel. Je weniger, desto besser.

Ebenso strikt hält er sich an andere selbstauferlegte Regeln: Keine Bearbeitung der Fotos durch Vergrößern oder verkleinern. Keine Retuschen. Und schon gar keine computergestützten Veränderungen und Zusammenführungen der Materialien. Andreas Prüstel ist ein Handwerker, und das ist er aus Überzeugung. ... "

Auszüge aus der Rede Gregor Gysis zur Eröffnung:

"... Politiker und Politikerinnen haben zur Karikatur ein ambivalentes Verhältnis, und das hat zwei Gründe:

Erstens: Dich nimmt so ein Mensch nicht zur Kenntnis. Also, du schlägst eine Zeitung nach der anderen auf und kommst nie als Karikatur vor - das ist schon eine gewisse Härte. Die andere Variante ist: Du kommst vor. Das sitzt dann meistens noch tiefer und insofern können sich Politiker und Politikerinnen nicht entscheiden. Sie sind in beiden Fällen beleidigt.

Das heißt also, Satiriker haben eigentlich keine Möglichkeit, Politiker und Politikerinnen nicht zu beleidigen ...

Nun haben Politikerinnen und Politiker viele Feinde. Das fängt bei Parteifreunden an und hört bei Collagisten auf. Die Methoden, mit ihnen umzugehen, sind dann unterschiedlich. Für die einen hat man den Parteiausschluß erfunden, für die anderen die Zensur. Das hat in der Geschichte auch meistens funktioniert. Interessant ist aber, dass viel häufiger von der Geschichte die Karikatur übrigbleibt als der Politiker, zumindest in der Erinnerung der Leute. ...

Noch wichtiger erscheint mir, dass jemand, der Karikaturen zeichnet oder Collagen erarbeitet, übersetzen will. Das heißt, der Karikaturist hat eine bestimmte Erkenntnis oder will einen Zusammenhang verdeutlichen und der Öffentlichkeit mitteilen. Er arbeitet als Übersetzer.

Man sieht es, bestenfalles versteht man es. Und wenn man es versteht, hat man plötzlich einen Zusammenhang, einen Hintergrund entdeckt ... und bekommt auf die Art und Weise gesellschaftliche Vorgänge übersetzt. Und da entsteht die Gemeinsamkeit, weil für mich eine gute Politikerin, ein guter Politiker immer etwas ähnliches sein müßte, wie ein Übersetzer.

Er versucht, politische Zusammenhänge und die entsetzliche politische Sprache zu übersetzen, in vereinfachten Bildern für das Allgemeinverständnis mitzuteilen. ...

Ich habe aber den Eindruck, sie wollen es immer weniger, und dadurch können sie es auch immer weniger. Übersetzung geht immer mehr verloren. Und dadurch bekommt die Karikatur eine besondere Bedeutung.

Selbst wenn sie nur dazu dient, mich über mich nachdenklich zu machen und mich vielleicht zu der einen oder anderen Korrektur im Auftreten und in der Art, wie man Politik betreibt zu führen.

Auch das deutlich machen von Zusammenhängen ist nicht typisch in unserer Gesellschaft. Die Karikatur versucht genau das, und das halte ich für eine der wichtigsten Seiten dieser Art von Kunst, weshalb sie die Mächtigen immer besonders gestört hat und deshalb immer besonders nötig war und - ich bin davon überzeugt - auch nötig bleibt. ...

Eine letzte Bemerkung dient der Länge des Mannes (Andreas Prüstel). Sie ist unterhalb meiner. Das ist relativ selten, und weil das relativ selten ist, muß ich es in besonderer Weise zur Kenntnis nehmen. Und zwar vor allem deshalb, weil es in vielfacher Hinsicht entschuldigt. Ich weiß was es heißt, wenn man von dieser Kürze ist. Man muß eine Art von Rache an allen Langen finden und die Collage ist eine geeignete Form. Insofern: Herzlichen Glückwunsch!"

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