Dr. Martina Weyrauch

Rede zur Festveranstaltung am 23. Mai 2011

Dr. Martina Weyrauch
Dr. Martina Weyrauch; Foto: Stefan Gloede

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für die politische Bildung,

Ich freue mich sehr, Sie heute alle in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung begrüßen zu dürfen.

Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren ist es Aufgabe der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung nach Wegen zu suchen, die Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich stärker in die Gesellschaft einzubringen. Es geht uns um Auseinandersetzung und Engagement, Aktivierung und Partizipation, im Großen wie im Kleinen, kurz: um Beteiligung.

Mehr Beteiligung schafft mehr Freiheit für den Einzelnen, aber auch mehr Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft, für Zusammenhalt und Stabilität des Ganzen. Es geht also um den mündigen, aufgeklärten und selbstbewussten Staatsbürger, der sich auskennt und der sich politisch einmischt. Das ist das Ziel einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft, welches die politische Bildung unterstützen soll.

Wie Sie alle wissen, ist das leichter gesagt als getan. Und da hier zahlreiche Experten versammelt sind, möchte ich nicht Eulen nach Athen tragen. Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen, wie wir unsere Aufgabe als ostdeutsche Landeszentrale von Beginn an verstanden haben, welche neuen Perspektiven und Projekte wir gewagt haben und welche Herausforderungen vor uns liegen.

Die friedliche Revolution 1989 in Ostdeutschland, der darauf folgende Zusammenbruch der DDR mit allen gesellschaftlichen, staatlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen, sowie die Vereinigung Deutschlands haben das Leben der Menschen in Brandenburg stark verändert und ihre Identität erschüttert. Die Erfahrungen der Ostdeutschen im Umgang mit zwei Diktaturen, die Erlebnisse während der friedlichen Revolution 1989 und die im deutschen Vereinigungsprozess auftretenden sozialen Entwertungs- und zugleich neuen Freiheitsgefühle bildeten Anfang der 1990iger Jahre eine äußerst diffizile und komplexe Ausgangslage für die politische Bildung.

Die bisherige Arbeit kann als Versuch einer kommunikativen Begleitung des ostdeutschen Transformationsprozesses verstanden werden. Die Ausgangsbedingungen für die politische Bildung waren also in Ostdeutschland und auch in Brandenburg besonders problembeladen.

Hinzu kam, dass wir in Brandenburg 1991 vor der Aufgabe standen, auf sehr differenzierte Weise dem Modell politischer Bildung, wie es für die Bundesrepublik Deutschland nach 1945 entworfen wurde, überhaupt erst einmal zur Akzeptanz in der Bevölkerung zu verhelfen. Gleichzeitig galt es neue Kommunikationsmodelle und Angebote zu entwickeln, die der ostdeutschen Situation angemessen waren.

Wie sah es denn damals aus?

Die verschiedenen politischen Schulungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens der DDR (vom Kindergarten, über die Schule bis in die Betriebe, Parteien und Organisationen hinein), die selten freiwillig und auch nicht gern besucht wurden, prägten das Verständnis der Ostdeutschen von „politischer Bildung“. Damals wurden „ewige Wahrheiten“ vorgegeben, Pluralismus wurde vorgetäuscht und schließlich wurde nach Scheindebatten ein „einheitlicher Klassenstandpunkt“ eingefordert. Dieser Indoktrination waren die Menschen überdrüssig. Deshalb verhielten sich die meisten abwartend skeptisch oder suchten in vermeintlicher „politischer Neutralität“ Zuflucht.


Wie sollte dieser Ausgangslage begegnet werden?

Im neu konstituierten Land Brandenburg bestand 1990/91 zwischen allen politisch Verantwortlichen Konsens darüber, dass der Verwaltungsaufbau des neuen Landes Brandenburg auch die Institutionalisierung des staatlichen Bildungsauftrages im politischen Bereich umfassen musste. Im Februar 1991 begann der Aufbau der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Ihre strukturelle und personelle Genese wies in den ersten Jahren Spezifika auf, die ihre weitere Entwicklung langfristig positiv prägten. Vier prägende Punkte wären hier zu nennen:

Erstens: Mit dem Aufbau der Landeszentrale wurde der DDR-Bürgerrechtler Dr. Hans-Jürgen Misselwitz beauftragt. Unter seiner Leitung blieb das Gedankengut der Bürgerbewegung der DDR neben der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes ein wichtiger konzeptioneller Faktor. Politische Bildung war in Brandenburg insofern kein bloßes Kopieren der Arbeit der Landeszentralen in den alten Bundesländern, sondern behielt eine an den Bedingungen des eigenen Landes orientierte Spezifik. Wichtig war ihm ein eigenes ostdeutsches Selbstbewusstsein, nicht nostalgisch, nicht larmoyant, aber eigensinnig.

Zweitens: Von 1990 – 1994 regierten in Brandenburg drei Parteien in einer Koalition. Die Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und die Liberalen. Noch beeindruckt von den basisdemokratischen Prozessen der friedlichen Revolution 1989/90 wurde der so genannte „Brandenburger Weg“ entwickelt, der Sachpolitik vor Parteipolitik setzte. Man versuchte, auf dem Wege des Konsenses zahlreiche Probleme des Landes zu lösen. So umstritten dieses politische Konzept auch heute sein mag, die politische Bildung in Brandenburg erhielt dadurch wichtige Impulse. Die konsequenter Überparteilichkeit der Arbeit der Landeszentrale, war unstrittig und alle politisch Verantwortlichen offen gegenüber allen neuen Entwicklungen, die auf den Werten des Grundgesetzes basierten.

Drittens: Es waren die Bedingungen zu berücksichtigen, die sich aus den Gegebenheiten eines ausgedehnten Flächenlandes ableiteten. Dem Bildungsbedarf vor allem in den Regionen fernab der Landeshauptstadt Potsdam konnte die Landeszentrale allein nicht nachkommen. Ein Netz „freier Träger“ der politischen Bildung (z. B. gemeinnützige Vereine, Clubs, Initiativen mit lokaler Bindung, die sich vor Ort gründeten und so die Bedürfnisse der Bürger kennen, Bildungsvereine und Initiativen die insbesondere thematische oder bildungspolitische Kompetenzen aufweisen) wurden in die politische Bildung einbezogen.

Die Förderung von Projekten politischer Bildung ist bis heute ein zentraler Schwerpunkt der Arbeit in Brandenburg. Diese Konzept, von Hans Misselwitz entwickelt, und das ist mir besonders wichtig – ein Konzept, welches auf der Vielfalt der Akteure, auf Pluralität, auf Kontroverse basiert, ist ein bewusster Bruch mit der Eindimensionalität einer Diktatur. Hier wurden gleich in den Anfängen die Impulse der friedlichen Revolution aufgenommen und damit zugleich eine sich entwickelnde demokratische Kultur im Lande unterstützt.

Viertens: Die Landeszentrale arbeitet mit einem integralen Konzept. Durch das Angebot von Veranstaltungen, Ausstellungen und Wanderausstellungen, Publikationen und seit einigen Jahren auch inhaltlichen Formaten im Internet wird politische Bildung über verschiedene Sinne transportiert. Diese unterschiedlichen Zugänge und Formate bieten die Möglichkeit, Inhalte auf unterschiedlichen Wegen der Wahrnehmung miteinander zu verknüpfen und für Bürgerinnen und Bürger die Chance, freiwillig und unabhängig ihre Zugänge zu wählen.

Interessieren sich unsere Gäste z. B. für eine Ausstellung, können sie zum selben Thema ein Buch erhalten oder eine Veranstaltung besuchen. Unser Anliegen ist es zu informieren, Entscheidungsvorgänge in der Politik verständlich zu machen, Hintergründe zu beleuchten und das kritische Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu schärfen. Wir wollen Lust am Denken, Nachdenken und Einmischen wecken.

Wichtig war es immer, dass sich unsere Angebote an den Bedürfnissen der Besucher und Interessenten ausrichten. Dies betrifft besonders Angebote für jüngere Erwachsene, die neue Zugangswege zu politischer Bildung und demokratischer Mitwirkung einfordern. Heute werden durch das Web 2.0 die Kommunikationsmöglichkeiten immer unmittelbarer. Hinzu kommt, dass die Beratungs- und Netzwerkfunktion der Landeszentrale immer wichtiger wird.

Eines soll beim Nachdenken über die Anfänge der politischen Bildung in Brandenburg nicht unerwähnt bleiben:
In der Phase des Aufbaus der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung leistete unsere Partnerinstitution im Bundesland Nordrhein-Westfalen personelle und materielle Hilfe. Sie stellte nicht unerhebliche materielle Ressourcen und auch ihr Know-how zur Verfügung.

 

Unsere Themen und Projekte

Ihnen die Vielzahl der Themen und Projekte aufzuzählen, denen wir uns widmeten, würde unseren Zeitrahmen sprengen. Manche Kontroversen und Auseinandersetzungen sind inzwischen Schnee von gestern. Aber es gibt Themen, die uns die letzten 20 Jahre kontinuierlich in Atem hielten und uns herausforderten.

Steckt man heute 200 Rechtsextreme ins Gefängnis, dann kommen – wenn man nicht aufpasst – 600 wieder heraus!“

Auf diese sehr einfache Formel brachte Ulrich Dovermann (Fachbereichsleiter Extremismus in der Bundeszentrale für politische Bildung) den entscheidenden Grund, warum sich die Bundeszentrale für politische Bildung, die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung und das Justizministerium des Landes Brandenburg gemeinsam mit Violence Prevention Network ab 2001/2002 entschlossen hatten neue Wege zu beschreiten. Die Beteiligten starteten ein Projekt im Brandenburgischen Jugendstrafvollzug, ein Unterfangen, vor dem bisher alle anderen Bundesländer zurückschreckt waren.

Alle vorangegangenen Ansätze, den Rechtsextremismus zu bekämpfen, richteten sich an die Zivilgesellschaft, an Netzwerke, an Trainingskurse und Beratungsangebote, die etwas gegen den Rechtsextremismus machen wollten. Was aber wird mit Jugendlichen, die schon weggeschlossen sind?

Wir wollten diese Jugendlichen nicht aufgeben und neue Wege beschreiten, um an die Wurzel des Übels zu kommen. Diesen Ansatz stellten wir unter das Motto: „Verantwortung übernehmen – Abschied von Hass und Gewalt“.
Der Erfolg des Projekts, an dem nicht nur Jugendliche im Jugendstrafvollzug des Landes Brandenburg teilnahmen, sondern in das auch deren Familien und die Strafvollzugsbediensteten einbezogen wurden, beeindruckte so, dass nach und nach andere Bundesländer diesem „Pilotprojekt“ folgten. Und nicht nur das.

Auf Grundlage der Erfahrungen mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen wurde in den folgenden Jahren durch das Team von Violence Prevention Network die Arbeit auf islamistisch radikalisierte Jugendliche erweitert. Im Unterschied zu Haftentlassenen ohne spezielles Training ist die Rückfallquote bei den Projektbeteiligten sehr gering. Hier ist die erste Dokumentation unserer Arbeit niedergelegt, um zu nachvollziehen zu können, wie alles begann.

Dieses Projekt, das von uns gefördert und in der Steuerungsgruppe beratend begleitet wurde, war schließlich der Anlass für den Aufbau unseres umfassenden Themenportals „Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus“. Dieses Portal stattet Akteure und Interessierte mit Informationen über Organisationsformen, Ideologie und Denkweisen der Rechtsextremen und ihre Lifestyles und Musikwelten aus. Unter der Rubrik „Dagegen“ finden sich Beiträge zu Argumentationstraining und Handlungsmöglichkeiten.

Die Webseite enthält darüber hinaus einen „Weblog - Die extreme Rechte“. Hier finden sich Informationen zu aktuellem Geschehen, aber auch scheinbar Nebensächliches wird angesprochen. Nicht zuletzt wird kontinuierlich über Initiativen gegen Rechtsextremismus in Brandenburg berichtet. Darüber hinaus bietet sich dem Nutzer die Möglichkeit, unmittelbar zu den Texten Stellung zu nehmen.

Seit ihrer Gründung 1991 ging es der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung darum, die Möglichkeiten einer Identifizierung der Menschen in Brandenburg mit ihrem Land zu unterstützen. Nur wer die Chance hat, sich mit seinem Gemeinwesen zu identifizieren, fühlt sich auch verantwortlich. Der revolutionäre Untergang der DDR hat bei nicht wenigen Menschen zu einem Vakuum geführt. DDR-Bürger waren sie nicht mehr, Bundesdeutsche noch nicht.

Durch Veranstaltungen, Ausstellungen, Hörbücher, Bücher, Theateraufführungen, Filme u.v.m. wurden von zahlreichen Akteuren Angebote gemacht, die sich auf neueste Forschungen stützen. Sowohl die alte Geschichte Brandenburgs, die Zeitgeschichte der NS-Zeit, die Verfolgung der Juden in Brandenburg als auch die Geschichte der SBZ/DDR wurden neu und authentisch präsentiert.

Das erste Mal überhaupt berichteten z.B. ehemalige „Wolfskinder“ bei der Vorstellung der Publikation „Von Ostpreußen nach Kyritz – Wolfskinder auf dem Weg nach Brandenburg“ von ihrem Leben. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Falkensee und Sachsenhausen. Biografien unter der Sowjetischen Besatzungsmacht 1945-1950“ im Heimatmuseum Falkensee lagen sich Nachbarn weinend in den Armen, weil sie nach 60 Jahren feststellten, dass ihre Väter gemeinsam inhaftiert waren, aber nie darüber gesprochen wurde. Die eigene Geschichte wurde so wieder in Besitz genommen. Die Kinder und Enkelkinder, die dies miterlebten stellten fest, dass die Aufarbeitung der Geschichte sie ganz persönlich betrifft.

Ausgesprochen gern zitiere ich Christoph Klessmann, der immer wieder betont, dass die Geschichte der DDR und der Bundesrepublik nach 1945 als asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte zu betrachten ist. Das spüren dann die letzten Zweifler, wenn bei der Buchvorstellung über das Leben Rudi Dutschkes nicht nur seine Brüder aus Luckenwalde anreisen, sondern auch die Söhne aus Berlin. Wir sind in Potsdam und in Brandenburg in der wirklich glücklichen Situation, dass die deutsche und europäische Geschichte hier nicht nur besonders präsent ist, sondern dass Menschen aus ganz Deutschland und der Welt nach Brandenburg ziehen und auch in der politischen Bildung sichtbar werden.

Wie berührend war die Ausstellungseröffnung „Als Arbeitskraft willkommen, vietnamesische Vertragsarbeiter in der DDR“ als über diesen Teil unserer Geschichte berichtet wurde. Immer wieder und ohne ihre Eltern besuchten die Kinder ehemaliger Vertragsarbeiter die Landeszentrale, um noch mehr über die DDR und diesen Teil der Vergangenheit ihrer Mütter und Väter zu erfahren.


Das wohl Schwierigste in der politischen Bildung ist das Zulassen von Differenz

Die sehnliche Suche nach DEM RICHTIGEN und DEM FALSCHEN muss in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft notwendig enttäuscht werden.
Dass die historische Vergegenwärtigung und die Auseinandersetzung mit den Folgen einer belastenden Vergangenheit einen nie abgeschlossenen Prozess darstellt, die wissenschaftliche Forschung, die Erkenntnis und damit die Debatte ständig im Fluss sind, ist mit Mühe, aber nicht wirklich tröstlich zu vermitteln. In einer offenen, pluralen Gesellschaft kann keiner einen Schlussstrich unter eine Debatte ziehen und die Kontroverse für beendet erklären.

Gerade erleben wir es wieder bei der Enquetekommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“. Ob Schüler, Studenten, Abgeordnete oder Professoren: Das vielbeschworene „Kontroversitätsprinzip“ des Beutelsbacher Konsenses, wie ich finde der „kleine Katechismus“ der politischen Bildung und eigentlich logische Konsequenz der europäischen Aufklärung, ist für fast alle Menschen schwer erträglich. Aber vielleicht ist es auch gut so, dass wir diesem Ideal so wenig entsprechen. So fühlen wir uns ständig herausgefordert und provoziert.

Eine wirklich ostdeutsche, brandenburgische Spezialität in der politischen Bildung stellen die Ausstellungen und Wanderausstellungen dar. Hier wird kein „Ausstellungsmacher“ eingekauft, sondern die Ausstellungen werden mit Künstlern, Fotografen und Karikaturisten für unsere speziellen Belange und Anforderungen entwickelt. Der jährliche Kalender unseres Hauses hat bei vielen Brandenburgern schon Kultstatus und die jährliche Sommerausstellung mit Karikaturen ist für viele ein Muss.

Aber immer wieder erleben wir Neues und Überraschendes. Die letzte Ausstellung „Einsatz in Afghanistan“ brach alle Rekorde. Der Deutsche Bundestag beschloss 2001, Soldaten der Bundeswehr mit dem Auftrag nach Afghanistan zu entsenden, beim zivilen Aufbau des kriegszerstörten Landes zu helfen. In den ersten Jahren verlief der Einsatz von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, die Berichterstattung in den heimischen Medien war wohlwollend, die Arbeit der Soldaten wurde anerkannt.
Nach dem Luftangriff bei Kundus am 4. September 2009, bei dem über 100 Menschen starben, veränderte sich die Wahrnehmung drastisch. Längst war der Auftrag nicht mehr nur mit friedlichen Mitteln zu erfüllen. Doch statt von einem Krieg zu sprechen, wurde die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan als ein „Einsatz mit kriegerischen Mitteln“ beschrieben. Es gab tote deutsche Soldaten und immer häufiger verletzte und traumatisierte Heimkehrer.

Der Reuters-Fotograf Fabrizio Bensch besuchte Kundus häufiger und immer für mehrere Wochen. Während seiner Aufenthalte lebte er zusammen mit den Soldaten im Feldlager und begleitete sie mit Helm, kugelsicherer Weste und seiner Kamera bei ihren Einsätzen. Er war sowohl bei Aufklärungsfahrten als auch bei Minenentschärfungen dabei, besuchte Dörfer und erlebte, wie afghanische Frauen und Kinder dankbar Hilfsgüter in Empfang nahmen. Immer war er nah am Geschehen, oft mittendrin und fotografierte mit sicherem Gespür für den richtigen Augenblick.

In den täglichen Berichten, die Fabrizio Bensch während seines Aufenthaltes als E-Mail an Freunde und Verwandte schickte, schildert er in sehr persönlichen Worten seine Erlebnisse. Diese Briefe wurden zusammen mit den Fotografien in einer Broschüre, die die Landeszentrale als begleitende Publikation zur Ausstellung herausgab, erstmals veröffentlicht.
Und wieder passierte was man nicht „verordnen“ kann: es wurden auch Menschen erreicht, die zuvor die Landeszentrale und diese Art politischer Bildung nicht kannten.

Offiziere und Soldaten der Bundeswehr, Eltern, Freunde und Angehörige von Soldaten besuchten die Ausstellung genauso beeindruckt wie die Auszubildenden, die gerade eben noch rauchend und lärmend vor der Tür gestanden hatten. Hier sind sie berührt, halten inne, manche werden noch tagelang von den Eindrücken bewegt.

Bei allen Angeboten der Brandenburgischen Landeszentrale gilt: Das Gespräch zwischen Menschen, der Austausch ihrer Erfahrungen, die Debatte des eben Gehörten, Erlebten und Erfahrenen ist das Kernstück politischer Bildung, die nicht nur bildet, sondern zum Handeln, zur Beteiligung motiviert und aktiviert.


Politische Bildung muss sich immer wieder neue erfinden und darf den Dialog mit der Bevölkerung nicht abreißen lassen

Deshalb bin ich wirklich glücklich, über das Netzwerk freier Träger, das in Brandenburg (bei aller Fragilität) aufgebaut wurde. Hier finden die wirklichen Innovationen statt, hier wird Neues erprobt. Deshalb freue ich mich, dass heute noch einige von ihnen ihr Profil vorstellen und ihre Arbeit präsentieren werden. Ganz klar muss hier benannt werden, dass ihnen unsere ganze Anerkennung gilt, denn unter sehr schwierigen und prekären Bedingungen engagieren sie sich für die politische Bildung vor Ort.

Wie gut und wie einfallsreich politische Bildung hier in Brandenburg angeboten wird, sieht man auch von „außen“.
Unter dem Motto: Energie, Umwelt – Verantwortung vor der Welt ging am 09. April diesen Jahres der Theodor Heuss Preis 2011 an Ernst Ulrich von Weizsäcker. Gleichzeitig verleiht die Theodor-Heuss-Stiftung mit Sitz in Stuttgart, immer auch noch Medaillen an zivilgesellschaftliche Akteure. Eine dieser Auszeichnungen wurde dieses Jahr FÖN e.V. überreicht, insbesondere für die Organisation der in Brandenburg stattfindende Ököfilmtour.

Und noch ein brandenburgisch/polnischer Akteur der politischen Bildung wurde ausgezeichnet. Der Bundesausschuss politische Bildung verlieh am 5. Mai den mit insgesamt 15.000 Euro dotierten "Preis Politische Bildung". Fünf Projekte wurden im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung ausgezeichnet, die politische Bildung und politische Partizipation in besonderer Weise thematisiert haben. Die Preisträger wurden aus rund 200 Bewerbungen durch eine Fachjury ausgewählt. Den 1. Preis (10.000 Euro) erhielt Slubfurt e.V. mit dem Projekt  "PARLAMENT- Kommunalwahlen in Slubfurt". Der Verein agiert in Frankfurt (Oder) und Slubice und denkt ein Leben ohne Grenze voraus. Beide Projekte wurden und werden mit Mitteln der Landeszentrale finanziell und beratend unterstützt.

Dr. Martina Weyrauch

Dr. Martina Weyrauch; Foto: Stefan Gloede



Nach den tiefgreifenden gesellschaftlichen Strukturveränderungen der letzten Jahre und all jenen Entwicklungen, die uns noch herausfordern werden, zeichnen sich neue Formen der gesellschaftlichen Arbeits- und Verantwortungsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft ab. Um darauf vorbereitet zu sein, bedarf es einer Vitalisierung der Demokratie unter den Vorzeichen einer aktiven Bürgergesellschaft.

Die Erfahrungen der Bürgerinnen und Bürger können jedoch nur dann eingebracht werden, wenn auch Staat und Politik beteiligungsoffen sind, wenn sie das Engagement fördern und ermöglichen. Auch Unternehmen sind zunehmend bereit (zumal mittelständische) ihre Kompetenzen zum Wohl des Gemeinwesens einzubringen und scheuen dabei auch nicht die öffentliche Debatte über Status und Bedeutung unternehmerischen Handelns für die Gesellschaft.

Durch die Ausbreitung neuer Informationstechnologien gepaart mit der Mobilität des größten Teils der Bürgergesellschaft in Brandenburg werden politische Räume ausgeweitet und es wird die Möglichkeit politischer Kommunikation erhöht. Zukünftig müssen wir das genau beobachten und uns fragen ob im Internet ein neuer Ort entsteht, an dem sich Individuen aktiv um das Gemeinwesen kümmern. Hier geht Meinungsbildung nicht von Massenmedien, sondern von bloggenden Bürgerinnen und Bürgern aus.

Was das für die tätige politische Partizipation im Sinne politischer Teilhabe und Willensbildung heißt, muss zukünftig weiter ausgelotet werden. Eins steht aber fest: Die Partizipation 2.0, die nicht nur bei Stuttgart 21, sondern auch bei Bürgerprotesten in Brandenburg – sei es bei den Debatten und dem Widerstand gegen neuen Braunkohleabbau, gegen Kohlendioxid-Lagerung im CCS-Verfahren, gegen Windparks dicht bei Wohngebieten, gegen Fluglärm beim BBI etc. – sichtbar wird, wartet nicht auf Initiative von „oben“. Jeder kann aktiv werden, einen Flash-Mobb organisieren oder eine Welle machen.

Sollen auch zukünftig individuelle Freiheitsansprüche in einer pluralistischen Gesellschaft mit gesellschaftlichen Funktionserfordernissen auf produktive Weise verbunden werden, geht es nicht mehr nur um Information, sondern um den öffentliche Diskurs, die Debatte, den Austausch von Argumenten. Neue, demokratisch ausgehandelte Kompromisse zwischen Akteuren, denen ihre traditionellen Rollen abhanden gekommen sind, stehen auf der Tagesordnung.

Die Politik braucht dringend gesellschaftliches Vertrauen, die Wirtschaft mischt sich aus wohl verstandenem Eigeninteresse in gesellschaftliche Prozesse ein und die Bürgergesellschaft muss lernen, sich auf die Logik von Staat und Gesellschaft einzulassen, ohne ihre Spontaneität und Direktheit einzubüßen.

Wir sind als politische Bildung mehrfach herausgefordert: wir müssen uns mit unseren spezifischen Kompetenzen in diesen Dialog einklinken, im Blick haben, dass eine Kommunikationselite nicht die von digitalen Debatten ausgeschlossene Schicht dominiert und wir müssen weiter darüber nachdenken, ob die Internetpartizipation eine Brücke zwischen direkter und repräsentativer Demokratie sein könnte. Diese Veränderungen werden die vielfältigen Formen der politischen Bildung in der „wirklichen Welt“ nicht ersetzen, aber auf jeden Fall ergänzen. Eins ist jetzt schon klar: die Beteiligung durch mediale soziale Netzwerke wird unsere Organisation und unsere Rahmenbedingungen ändern. Und da zitiere ich Thomas Krüger, der sagte:

Wir brauchen den Mut zum Kontrollverlust!“

Sich in diese Debatte zu begeben heißt auch Mut zum Experiment mit offenem Ausgang...“
Nach 20 Jahren politische Bildung in Brandenburg danke ich Ihnen allen für Ihr Mitdenken und Mittun. Ich danke Ihnen für Ihr Engagement und Ihr Durchhaltevermögen.

Eines, denke ich, ist gewiss:
Die Authentizität der Begegnung, die Magie des Augenblicks, das Gespräch und der direkte Austausch von Argumenten bleibt unverzichtbar, aber wir müssen neugierig bleiben für Veränderungen.
Vor 20 Jahren haben wir hier im Osten Deutschlands ganz andere Experimente gewagt.

Haben wir also die Neugier und den Mut, die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft immer wieder zu erneuern, sie an neue Kommunikationsformen und neue Rahmenbedingungen anzupassen. Wenn Sie alle dabei wären, mit Ihrer Kompetenz, Ihrer Ausdauer und Ihrem Humor, würde es mich sehr freuen.

 

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