Carolin Haentjes über Femizide - Frauenmorde in Deutschland

Wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind, dann heißt das Femizid. Es sind Taten, die aus Frauenfeindlichkeit entstehen und in Deutschland weit verbreitet sind.

Rote Schuhe auf der Wiese als Zeichen für Gewalt gegen Frauen
© Hintergrundfoto: Buffy1982 | IStock

Was ist ein Femizid?

Diese Frage stellten wir uns auch zu Beginn unserer Recherche vor zwei Jahren. Damals war in Leipzig gerade mitten am Tag ein Gewaltverbrechen passiert: eine Frau wurde am hellichten Tag von ihrem Ex-Freund angegriffen und so schwer verletzt, dass sie zwei Tage später starb. Danach tauchten am Tatort und an Wänden überall in der Stadt Banner und Graffitis auf: „Es heißt Femizid“. Als Journalistinnen wollten wir wissen: Handelt es sich um einen tragischen Einzelfall? Oder steht hinter dieser Tat eine politische Dimension? Das ist nämlich der Vorwurf, der mit dem Begriff Femizid gemacht wird: Dass eine Frau getötet wurde, weil sie eine Frau ist. Dass sie also aufgrund ihres Geschlechts sterben musste.

Warum brauchen wir dieses Wort in Deutschland und sprechen nicht von „Frauenmord“?

Um deutlich zu machen, dass nicht einfach eine Frau getötet wurde, sondern dass ihr Geschlecht der Grund für die Tat war. Laut der Definition der Vereinten Nationen (UNO) fallen darunter zum Beispiel die Tötung von weiblichen Babys, weil die Eltern lieber einen Jungen gehabt hätten oder Tötungen von Frauen, weil sie sich in irgendeiner Weise verhalten haben, die von anderen als „unehrenhaft“ beurteilt wird. Oder Tötungen infolge einer Ehe oder Partnerschaft, was die häufigste Form von Femiziden in Deutschland ist. Auf solche Trennungstötungen haben wir uns in unserem Buch konzentriert.

Karolin Haentjes
© Carolin Haentjes, privat
Carolin Haentjes arbeitet als freie Journalistin und Feature-Autorin, unter anderem für das Deutschlandradio und den Mitteldeutschen Rundfunk. Zusammen mit der Journalistin Julia Cruschwitz hat sie das Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“ geschrieben. Darin zeigt das Autorinnenduo Wege zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen auf.

Viele Menschen meinen, es ginge um eine Familienangelegenheit. Warum ist es das nicht?

Gewaltverbrechen sind nie eine „Familienangelegenheit“. Das deutsche Strafrecht sieht deswegen vor, solche Taten zu verfolgen und zu bestrafen. Das passiert in der Regel auch. Aber die Praxis zeigt, dass viele Täter nicht so hart bestraft werden, wie es möglich wäre, weil von Gerichten zum Beispiel die Wut und Verzweiflung der Täter verstanden wird. Teilweise heißt es dann sogar, die Opfer hätten die Tat mit ihrem Trennungswunsch mitprovoziert. Damit wird Frauen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben abgesprochen.

Wer sind die Täter und wer ihre Opfer?

Femizide oder versuchte Femizide geschehen fast jeden Tag in Deutschland, in allen Milieus und Gesellschaftsschichten. Es ist ein Problem, das laut Fachleuten vor allem mit Vorstellungen davon zu tun hat, wie Männer und Frauen zu sein hätten.  Damit, dass Männer nicht weinen, aber dafür mal „ausrasten“, dass sie einen Anspruch auf das Leben und den Körper von Frauen hätten. Dieses patriarchale Denken, das Männer über Frauen stehen, ist in Deutschland in der gesamten Gesellschaft leider noch sehr weit verbreitet.

Sie sind Journalistin, was sagen Sie zur Berichterstattung über Femizide in den Medien und sozialen Netzwerken?

Lange Zeit wurden solche Taten vor allem als „Familientragödien“ oder „Eifersuchtsdramen“ bezeichnet. Diese Begriffe romantisieren und unterstellen, dass beide, Täter und Opfer, Schuld an der Tat haben, dass es gar nicht anders kommen konnte, und dass es sich um Einzelfälle beziehungsweise Privatsachen handelt. Damit wird das Problem von Femiziden in Deutschland verharmlost. Inzwischen verändert sich aber die Berichterstattung: Immer mehr Medien verzichten auf solche problematischen Begriffe und schauen genauer hin, ob es sich um frauenfeindliche Gewalt handeln könnte. Das ist wichtig, denn das beeinflusst die Wahrnehmung von uns allen.

Was müsste sich in Deutschland ändern, um Femizide zu verhindern?

Es braucht mehr Bewusstsein bei der Polizei und bei der Sozialarbeit, vor Gericht, oder wenn Menschen in der Nachbarschaft etwas mitbekommen. Wir brauchen sofort eine bessere Finanzierung von Schutzhäusern, der Stand ist ein Desaster. Wir müssen Femizide und Gewalt gegen Frauen auf allen Ebenen ernster nehmen. Denn das Problem fängt bei frauenfeindlichen Sprüchen in der Kneipe an. Schon damit darf keiner durchkommen.

BLZPB, März 2022

 

Linktipps

Schlagworte

Bewertung
3 Stimmen, Bewertungen im Durchschnitt: 3.7 von 5

Neuen Kommentar hinzufügen

Eingeschränktes HTML

  • Erlaubte HTML-Tags: <a href hreflang> <em> <strong> <cite> <blockquote cite> <code> <ul type> <ol start type> <li> <dl> <dt> <dd> <h2 id> <h3 id> <h4 id> <h5 id> <h6 id>
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.