Das Kriegsende in unseren Familien

In vielen Familien ist das Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute verbunden mit Fragen nach Schuld, brüchigen Erinnerungen und weitergegebenen Erzählungen. Wir sprachen mit dem Potsdamer Historiker Thomas Wernicke darüber.

Thomas Wernicke und Sebastian Stude
© BLPB

Am 08. Oktober 2025 war Thomas Wernicke unser Gast. Die Finissage unserer Ausstellung zur Napola Potsdam nahm das Potsdam des Jahres 1945 in den Blick. Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur, die ersten Schritte in eine neue Ordnung und die langen Schatten der eigenen Verstrickung standen dabei im Mittelpunkt. 

Anhand seiner Familiengeschichte zeigte der Historiker, wie sich Schuldfragen, Erinnerungen und der Platz der nationalsozialistischen Vergangenheit im eigenen Familiengedächtnis bis heute wiederfinden.

„[…] wenn ich dann später als Historiker mal meine Mutter gefragt habe, nach frühen Nachkriegsereignissen in Potsdam, politischen Ereignissen, sagte sie: Kann ich dir nicht sagen, weiß ich nicht."

„Und wenn meine Frau es nicht auch öfters gehört hätte, würde ich heute sagen, diese Geschichte bilde ich mir ein. Aber es ist tatsächlich so, dass sie im Zuge des Kriegsendes natürlich ahnte: ihre Arbeit bei der Napola wird womöglich ein Problem werden in der Nachkriegszeit.“

Thomas Wernicke erzählte anhand der Biografie seiner Mutter Gerda über ihre Arbeit an der Napola Potsdam und was ihr Lebensweg über Funktion und Verlockungen der nationalsozialistischen Diktatur zeigt. Zugleich zeigte er daran den Zusammenbruch 1945 sowie spätere familiäre Erinnerungen.

Thomas Wernicke und Sebastian Stude
© BLPB

Meinungsbilder des Abends

  • Die Napola war nicht versteckt, sondern lag mitten in Potsdam; viele Menschen sahen das Gebäude täglich und es gehörte zum normalen Alltag.  
         
  • In der Napola arbeiteten nicht nur organisierte Nationalsozialisten, das gilt insbesondere für Bereiche in der Küche, der Verwaltung aber auch der Lehrerschaft.  Diese Menschen sahen in ihrer Tätigkeit an der Napola allen voran  einen sicheren Job.              
     
  • Die nationalsozialistische Diktatur funktionierte, weil so viele unterschiedliche Menschen mitgemacht, weggeschaut oder geschwiegen haben; nicht nur die leitenden Funktionäre , sondern auch viele Menschen im Alltag.    
     
  • Nach 1945 wurde in vielen Familien oftmals über das eigene Leid und erlittene Unrecht gesprochen. Über eigene Beteiligungen oder Vorteile im Nationalsozialismus wurde meist wenig geredet.  
     
  • Fotos, Briefe und persönliche Unterlagen der damaligen Zeit zeigen, wie die Menschen gelebt und gearbeitet haben. Sie helfen, die Vergangenheit besser zu verstehen.
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Livestream: Das Kriegsende in unseren Familien

Zu Gast: Thomas Wernicke (Historiker und Museologe)

Fragen aus dem Publikum

Ich kannte jemanden, der an einer Napola war, aber gar nicht zu meinem Bild eines Napola-Schülers passte. Gibt es den typischen Napola-Schüler?

Den Napola-Schüler gibt es nicht. Es gab sehr unterschiedliche Biografien, Familienhintergründe und Motive. Oft entschieden die Eltern, vor allem die Väter, über den Bildungsweg der Söhne. Ein verbindendes Element war häufig eine militärische Familientradition, die die Napola als „gute Ausbildungsmöglichkeit“ erscheinen ließ.

Speziell in der DDR gab es doch das Bild: „Wir sind der antifaschistische Staat, die Nazis sind alle im Westen.“ Hat diese staatliche Einstellung das familiäre Schweigen verstärkt?

Es gab eine Art staatlich verordnetes Vergessen. Die DDR sah sich als antifaschistischen Staat, in dem es angeblich keine Täter mehr gab. Wenn offiziell niemand beteiligt war, gibt es in dieser Logik auch keinen Anlass, privat darüber zu sprechen. Das war Teil einer bewussten Geschichtsklitterung. Die Staatspartei SED war bemüht, sich zur „fünften Siegermacht“ aufzuschwingen, und Honecker war es extrem wichtig, von den alliierten Siegermächten empfangen zu werden.

Haben Sie im Bundesarchiv bzw. Filmarchiv nach Dokumentarfilmaufnahmen zur Napola recherchiert? Es muss doch Material geben, gerade weil Potsdam Filmstadt war.

Als Historiker geht man natürlich mit der Erwartung ins Archiv, etwas finden zu können. Zur Napola Potsdam ist das Material aber zersplittert, was mit den letzten Kriegstagen und der Zerstörung des Geländes zusammenhängt. Man findet in den Archiven Material, aber es ist sehr zeitaufwändig und mühsam. Als Landeszentrale können wir vor allem Impulse geben, Themen anstoßen, die dann von Fachleuten / Historikern in vertiefter Forschung bearbeitet werden sollten.

Lesetipp

Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung

Napola Potsdam

Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napolas) waren Kaderschmieden des NS-Staates. Hier wurden künftige Führungskräfte im Geist von Gehorsam, Militarismus und „rassischer Auslese“ geformt. Die Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung der Brandenburgischen Landeszentrale in Potsdam zeigt, wie aus Kindern überzeugte Träger der NS‑Ideologie gemacht wurden.

BLPB, November 2025

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