Der Staat und das Volkseigentum

Die berliner landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW hat 65 000 Wohnungen an eine Finanzgruppe verkauft. Inzwischen ist ein Teil dieser Wohnungen schon mehrfach verkauft wurden, drohen den Mietern Luxusmodernisierung und Mieterhöhungen über das ortsübliche Maß.

Der Staat, in diesem Fall das Land Berlin, hat seinen Besitz allen Warnungen zum Trotz zur internationalen Spekulation freigegeben. (...) Keiner hat das Land gezwungen, an Großinvestoren zu verkaufen. Der rot-rote Senat ist den Weg des geringsten Widerstandes, des geringsten Aufwandes gegangen. Er hat Buchhalter gespielt, statt Politik zu machen. Er hat nur aufs Geld geschaut, statt zu überlegen, wozu ihn sein Eigentum verpflichtet. Dazu hätte es zunächst einmal gehört festzustellen, wem die Wohnungen eigentlich gehören. Nicht juristisch. Sondern moralisch. Öffentlicher Wohnungsbau ist nichts (anderes) als aus Steuergeldern geschaffenes Eigentum. Volkseigentum sozusagen. (...)

Viel Arbeit wurde investiert, um eine soziale und ethnische Mischung auszubalancieren – oder noch besser im Lot zu halten. Das muss bewahrt werden. In den Wohnungen steckt mehr als nur materieller Wert. Sie und ihre jeweiligen Mieter sind geronnene Gesellschaftspolitik. Die ist gar nicht zu bezahlen. Sie gehört nicht in Investorenhand. Sie gehört uns allen und muss von allen gepflegt werden. Nicht vom Staat. Von möglichst vielen Einzelnen.“ (Brigitte Fehrle, Der Staat und das Volkseigentum, Berliner Zeitung, 16.11.2005)

Sozialpolitik, Stadtplanung, Familienpolitik, Alters- und Generationengerechtigkeit ist unter dem Titel „Berliner Mischung“ als Verbindung von Wohnungsbau und Sozialpolitik mit dem Ergebnis sozialer Stabilität in die Sprache eingegangen. Sie erfuhr eine Verfeinerung durch das Genossenschaftsmodell: Menschen erwerben Anteile an Wohneigentum und fühlen sich verantwortlich – für ihre Wohnung, für ihr Haus, für ihre Straße, für die Grünanlage. Wenn kommunales Eigentum veräußert wird, ist es weg. Die Legislative kann zwar Festlegungen zu Verträgen verfassen, aber sie hat kein Recht, in aus der Hand gegebenes Eigentum einzugreifen bzw. zu dessen Steuerung Vorschriften zu erlassen.

Der Konflikt entsteht im Dreieck Politik, Wirtschaft, Volk und ist nicht lösbar. Der Fall GSW ist nur ein Fall unter vielen bei der Veräußerung von Wohnungen, zum Teil aus kommunalem Bestand, zum Teil aus Konzernbeständen, an (internationale, vorwiegend angelsächsische) börsennotierte Immobilienfonds. Mit der Folge, dass Mieter den Renditeansprüchen der Börse unterworfen werden, die keiner demokratischen Kontrolle und Revision unterliegen.

Eine Million Wohnungen steht demnächst zum Verkauf in Deutschland, die Hälfte davon, das ist jetzt schon absehbar, als nicht mehr bezahlbarer Wohnraum. Der Wirtschaftsminister will dieser Entwicklung das gesetzliche Tor öffnen.Wenn der jeweilige Gegenstand (Wasser, Gas, Wohnungen) erstmal weg ist, ist er nicht wieder unter demokratische Kontrolle zu bringen. Von Wohnungspolitik, also der Gewährleistung von sozialer Mischung in Wohngebieten, kann dann nicht mehr die Rede sein. Zünglein an der Waage ist die Politik, also die exekutive Spitze im bislang noch demokratischen Prozedere. Durch welchen demokratischen Prozess kann sie daran gehindert werden kann, dem Ausverkauf des Sozialgutes Wohnung als Renditegut das Tor zu öffnen?

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