Der Nürnberger Prozess

Filmposter "Nürnberg und seine Lehre" in: Selling Democracy, Berlin 2004, S. 17
Filmposter "Nürnberg und seine Lehre" in: Selling Democracy, Berlin 2004, S. 17

Die alliierte Abrechnung mit den Hauptkriegsverbrechern nach Recht und Gesetz, das dafür erst geschaffen werden musste, war ein Ereignis, das seinesgleichen in der Geschichte nicht hatte. Nicht nur die Verbrechen, die sie unter Anklage stellte, Aggression, Krieg, Völkermord, Verfolgung, sondern auch die Erklärung der Nichtigkeit der zu ihrer Legitimation verfassten Rechtsnormen und die Übersetzung der allgemeinen Menschenrechte in anzuwendendes Recht stellten eine Herausforderung ersten Ranges an die Völkergemeinschaft und die Judikatur dar. Die Verbrechen waren so monströs, dass zu ihrer Ahndung neues Völkerrecht erst geschaffen werden musste.

Bei den Deutschen war von Anfang an umstritten, dass ausländische Mächte über Deutsche zu Gericht saßen. Das hatte weniger mit der Schuldfrage zu tun, als vielmehr mit dem fragwürdigen Bewusstsein, das die Angeklagten nach herrschendem Recht und Gesetz gehandelt hätten. Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands stand es den Deutschen vorerst nicht zu, über Recht und Unrecht zu richten. Schließlich waren alle Reichsbehörden aus Gründen für aufgelöst erklärt worden. Deutsche Richter und Gerichte konnten erst in Abstimmung mit den Besatzungsbehörden wieder errichtet werden. Bekanntlich fiel, vor allem in den westlichen Besatzungszonen, in diesem Bereich und trotz der Obacht der Besatzungsmächte, die Entnazifizierung äußerst zurückhaltend aus.

Insofern stellen die amerikanische und die sowjetische Darstellung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals aus der Zeit des Prozesses selbst einzigartige Zeitdokumente dar, liefern sie doch mit dem Bericht vom Prozess zugleich einen Begründungszusammenhang und leisten einen Beitrag zum Umgang mit ihm. Sie bilden den Abschluss der ersten von den Alliierten geprägten filmischen Nachkriegsperiode.

Nürnberg und seine Lehre (Nuremberg)

RE: Stuart Schulberg, Produktion: OMGUS 1947

Der Film erklärt dem Zuschauer das Nürnberger Kriegsgerichtsverfahren, in dem die Staatsanwälte von Frankreich, England, der Sowjetunion und der USA die Anklagen gegen die Mitglieder des Nazi-Oberkommandos vortrugen und das Gericht den Versuch unternahm, Verantwortung und Schuld zu bestimmen.

Leute wie Schulberg wussten genau, was sie taten. Seine Dokumentarfilme wurden nicht durch die Vorschriften einer kulturellen Hegemonialmacht geprägt, sondern durch seine vielschichtige Lebenserfahrung. Er war ein Patriot, der an einem der größten Kämpfe gegen die Tyrannei in der Geschichte der Menschheit teilgenommen hat. Er hat etwas über Dokumentarfilme gelernt und mit diesem Wissen Filme produziert. Er hat den Dokumentarfilm als ein Beweismittel gegen jene schätzen gelernt, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben.“
(Tom Mascaro 2003, in: Selling Democracy, 2004 *) 

Das Gericht der Völker (Sud narodow)

RE: Roman Karmen, Produktion: UdSSR 1946

Roman Karmen, der als Frontberichterstatter den Krieg bei der kämpfenden Truppe mit der Kamera mitgemacht hatte, stellte sich in nicht nur das Ziel, ein dokumentarisches Zeugnis vom Prozess anzufertigen. Er wollte eine bildhafte Vorstellung davon schaffen, was augenblicklich im Gerichtssaal vor sich ging und was sich in den Jahren vorher im Nazi-Deutschland ereignet hatte. Dabei ging es ihm weniger um die Ideologisierung der Abrechnung mit dem Faschismus, sondern um die Erweiterung des Filmprotokolls zur Filmerzählung. Die Idee dazu fand er im Gang vor die Tür des Justizpalastes, mitten hinein in die Stadt Nürnberg und die Bildzeugnisse vom Aufstieg und Fall der Nazis, erweitert um die Zeugnisse ihrer Verbrechen. Der Film kam 1947 auch in deutsche Kinos und stieß, nicht nur in der Sache, sondern auch als Film, auf ein widersprüchliches Echo.

Während sich die unter englisch-amerikanischer Lizenz hergestellte Wochenschau 'Welt im Film’ und der gefilmte Abschlußbericht von der Gerichtsverhandlung hauptsächlich auf eine distanzierte stenogrammhafte Berichterstattung aus dem Gerichtssaal beschränkten, wird hier durch Gegenüberstellungen und durch eingeblendete Bildfolgen aus früheren deutschen Wochenschauen sowie aus russischen Bildberichten von der Eroberung Berlins, vom Vormarsch der russischen Armee, von der Befreiung der Konzentrationslager eine Erweiterung des Schauplatzes erreicht.

An die Stelle einer die allgemeine politische Linie verfolgenden Berichterstattung treten das mit einer bestimmten pathetischen Dialektik vorgetragene politische Programm, die auf unmittelbare Wirkung bedachte Plakatierung einer aktiven weltanschaulichen Ideologie. Es ist die gleiche Methodik, die man aus den bereits in Berlin vorgeführten russischen Dokumentarfilmen kennt. Sie leitet sich her von den frühen russischen Revolutionsfilmen, und sie zeigt, daß in dieser Filmgattung konsequent eine filmische Tradition fortgesetzt wird, die in den Unterhaltungsfilmen zugunsten einer bürgerlich konventionellen Darstellung aufgegeben wurde.
Die Wirkungen, die durch diese klare und programmatische filmische Diktion erreicht werden, sind stark. Die Frage bleibt jedoch, ob sie auch ebenso nachhaltig sind.“
(Karl Walther Kluger, Der Tagespiegel, 21.3.1947)

 

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