Indizierungen und Strafverfolgung stoppten den Rechtsrockboom nicht

Landser, Ran an den Feind, 2000, indiziert am 31.03.02
Die Distanz zum organisierten Neonazismus wurde spätestens nach der Wende aufgegeben: Einhandgehend mit der regelrechten Explosion ausländerfeindlicher und rechtsextrem motivierter Gewalt, stieg auch der Bedarf an rechtsextremer Musik.

Zwischen 1992 und dem Jahr 2000 wuchs die Zahl rechtsextremer Plattenlabel und Vertriebe von fünf auf über 60[1], die Zahl der veröffentlichten CDs stieg von sieben Titeln 1989 über 32 1992 auf 92 1996 und je 114 CDs 1997 und 1998.[2]

Allein zwischen Oktober 1992 und Dezember 1994 wurden über 90 Rechtsrock-Titel von der BPjM indiziert, während in den zehn Jahren davor nicht einmal ein halbes Dutzend Titel ins Visier der Jugendschützer rückten.

Die Gerichte wurden aktiv und verurteilten erste Rechtsrocker wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen (§ 86a StGB).

Interessant an diesen Zahlen ist, dass nach der ersten Welle behördlicher Aktivität der Jahre 1992 bis 1994 kein Rückgang zu verzeichnen ist, wie man wohl gehofft hatte, sondern dass die Produktivität vielmehr noch einmal deutlich zunahm. Grundsätzlich haben nach 1992 Rechtsrocker kaum mehr Alternativen, als ihre Produkte vorab juristisch überprüfen zu lassen, wollen sie nicht hohe finanzielle und strafrechtliche Risiken eingehen.

Macht & Ehre: Herrenrasse. O. A. 1997 (indiziert am 27.03.97)
Der zweite Weg besteht darin, die CDs im Ausland pressen und verkaufen zu lassen bzw. über illegale Vertriebswege konspirativ an den Käufer zu bringen. Gerade Bands wie Landser[3] oder Macht und Ehre[4], die sich für den Schritt in die Illegalität entscheiden, haben in der Szene einen ausgesprochen guten Ruf und erreichen zuweilen sogar Kultstatus.

So die Berliner Landser, die hierfür allerdings einen hohen Preis zahlten: Sie wurden 2003 vor dem Berliner Kammergericht u. a. wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ (§ 129 StGB) angeklagt und zu Haftstrafen zwischen 21 Monaten und drei Jahren und vier Monaten verurteilt.

Die neue Generation rechtsextremer Skinheads nach 1992 hatte weniger Berührungsängste zu organisierten Neonazis als ihre Vorgänger. Zudem wurden Anfang der 90er Jahre international agierende Skinhead-Organisationen eindeutig rechtsextremer Herkunft wie Blood & Honour oder die Hammerskins in der Bundesrepublik tätig, und schließlich entdeckten auch bundesdeutsche Neonazis ihr Interesse an jugendkulturellen Ausdrucksformen zu Propagandazwecken.

Die Regierung Kohl setzte verstärkt auf das Mittel des Vereinigungsverbots, um der grassierenden Gewalt Herr zu werden. Zwischen 1992 und dem Jahr 2000 wurden insgesamt 17 Verbote gegen Vereinigungen, Organisationen und Parteien ausgesprochen.

Die rechtsextreme Szene reagierte mit dem Kameradschaftskonzept, das mit regional operierenden Kleinstgruppen mögliche Vereinigungsverbote unterlaufen soll. Informelle Netzwerke setzen auf vor Ort vorhandene Strukturen meist jugendkultureller Prägung, die nicht zuletzt durch rege Schulungs- und Reisetätigkeit prominenter Neonazikader aufgewertet werden. Wie nebenbei steigt dadurch der Ideologisierungsgrad.

So verwusch seit Mitte der 90er Jahre die Grenze zwischen rechtsextremer Jugendkultur und organisiertem Rechtsextremismus zusehends, und mit der steigenden Akzeptanz vereinnahmten Neonazis auch jugendkulturelle Ausdrucksformen – z. B. Musik und Fanzines – zur Propaganda.

 


 

[1] Vgl. .nexus. das Netzwerk, H. 1 / 2000.

[2] Vgl. Klaus Farin und Henning Flad: Reaktionäre Rebellen. Rechtsextreme Musik in Deutschland (Archiv der Jugendkulturen (Hrsg.): Reaktionäre Rebellen. Rechtsextreme Musik in Deutschland. Bad Tölz 2001, S. 9-98), S. 91.

[3] Landser
Seit ihrer Gründung etwa Anfang der 90er Jahre im Umfeld der rechtsextremen Rockergang Die Vandalen (Berlin / Ost) stilisierten sich Landser als „Terroristen mit E-Gitarren“ (so in einem Liedtext). Schon bei ihren ersten Demobändern setzte die Band auf Inhalte, die in der Bundesrepublik strafbar sind, und war daher gezwungen, ihre Tonträger über den internationalen Handel und / oder auf illegalem Weg in der Bundesrepublik zu vertreiben.

 

Das Berliner Kammergericht verurteilte im Winter 2003 die Bandmitglieder deswegen nach Paragraf 129 StGB wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Unter Rechtsrock-Fans gilt die Mischung aus Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und „Stimmungsliedern“ der Landser als „Kult“.

Textauszug: Das Reich kommt wieder (1993)

Und keine Türken werden mehr rumlaufen. Keine Pfaffen dürfen Kinder taufen. Keine Nigger deutsches Pils mehr saufen. Keine Juden unser Volk verkaufen!

Seht ihr unsere Fahnen, hört ihr unsere Lieder? Dieser Staat geht unter und das Reich kommt wieder!


Diskographie (Auswahl)
1992: Das Reich kommt wieder. MC. Eigenproduktion
1996: Berlin bleibt deutsch. Bootleg. Indziert am 27.03.97
1996: Republik der Strolche. O. A. Indiziert am 28.09.96
1998: Deutsche Wut / Rock gegen oben. Rebell Records. Beschlagnahmt (ohne Datum)
2000: Ran an den Feind. O. A. Indiziert am 31.03.01

[4] Macht & Ehre
Wie die Band Landser stammen Macht & Ehre aus dem Umfeld der Ostberliner Rockergang Die Vandalen - ariogermanische Kampfgemeinschaft, die seit 1982 in der DDR existierten und die von flow an rechtsextrem waren, so der damalige Leiter Arbeitsgruppe 'Skinhead' der Kriminalpolizei (Der Tagesspiegel, 18.09.2000). Gegründet wurden Macht & Ehre um 1991 von Stephan Jones in der JVA Plötzensee. Mit Songtexten wie „Jude, ab in den Ofen, Jude, wir werden dich ersaufen“ (Macht & Ehre, „Ab in den Ofen“. „Herrenrasse“ 1997) trat die Band besonders martialisch auf - und wählte den Weg in die Illegalität. Vertrieben wurden die CDs u. a. über das Blood-&-Honour-Unternehmen Nibelungen Versand aus Lingen (Emsland) und später über das dänische Label NS Records. Unter dem Bandnamen produzierte und vertrieb Stephan Jones auch ein Fanzine, und etwa 1998 gründete die Band das Nebenprojekt Schwarzer Orden, das als „gemäßigtere Variante“ von Macht & Ehre gilt, es aber auch bereits auf zwei Indizierungen bringt.

Textauszug: Gegrilltes Fleisch. (Herrenrasse. Unbekannt. 1997)
Du wirst gegrillt wie ein Stück Fleisch,
du wirst vernichtet aus unserem Reich.
Denn Nigger wollen wir hier nicht, drum treten wir ihnen ins Gesicht.
Du wirst nicht mehr existieren, alle werden dann applaudieren, du wirst nicht mehr existieren, alle werden dann applaudieren.

Diskographie (Auswahl):
1991: Thorsten Koch (MC). Eigenproduktion / unbekannt. Indiziert am 30.09.94
1993: Volkssturm 93 (MC). Eigenproduktion. Indiziert am 29.04.95
1996: NSDAP. NS Records. Indiziert am 27.03.97
1996: Nigger Out! (Split-CD mit Kommando). NS records. Indiziert am 31.03.98
1997: Herrenrasse. Unbekannt. Indiziert am 31.10.97
2003: Schwarzer Orden. UniverZal Records. Indiziert am 31.03.04
 

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