Die Mordserie der Zwickauer Neonazi-Zelle hat das Thema Rechtsextremismus auf die Titelseiten katapultiert und viele Menschen aufgerüttelt. Andererseits birgt das Spektakuläre an diesem Fall zugleich die Gefahr, dass Rechtsextremismus in der breiten öffentlichen Wahrnehmung auf den gewalttätigen rechten Rand verengt bleibt. Dabei warnen Experten seit Jahren genau davor und betonen, dass es Rechtsextremismus auch in der Mitte der Gesellschaft gibt, erst recht wenn man zwischen Handlungs- und Einstellungsebene differenziert.
Seit 2002 erfassen Erhebungen der Friedrich-Ebert-Stiftung das rechtsextreme Einstellungspotential in Deutschland. Die seit 2006 im Zweijahresrhythmus von der FES herausgegebenen repräsentativen „Mitte-Studien“ belegen zum Beispiel, dass rechtsextreme Einstellungsmuster unter Anhängern aller demokratischen Parteien anzutreffen sind. 8,2 Prozent der Bevölkerung hatten 2010 ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild.
Für ihr 2011 erschienenes Buch „Heile Welten – Rechter Alltag in Deutschland“ haben sich die Journalisten Astrid Geisler und Christoph Schultheis in eine gesamtdeutsche Realität aufgemacht, in der „rechts sein“ längst zum Mainstream geworden ist: Ob unter Jugendlichen in der ostdeutschen Provinz, Islamhassern in Köln oder antisemitischen Esoterikern. Herausgekommen sind Reportagen aus der „irren, kleinen Parallelwelt nebenan“: beklemmend und mitunter bizarr.
Aber woraus entstehen der Alltagsrassismus, die Verschwörungstheorien, die Verachtung der Demokratie? Vom „entsicherten Jahrzehnt“ sprechen Wilhelm Heitmeyer, Andreas Zick und das Forscherteam am Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bezug auf ihre 2011 abgeschlossene Langzeitstudie, deren Ergebnisse komprimiert in zehn Bänden „Deutscher Zustände“ vorliegen. Sie beschreiben ein Syndrom: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, das heißt die auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit beruhende Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Und sie beschreiben, wie die Gesellschaft „unterhalb des Radars der öffentlichen Aufmerksamkeit zunehmend vergiftet wird“: Durch Kontrollverlust der Politik, durch Entsolidarisierung, durch das weitverbreitete Gefühl, nichts bewirken zu können und gleichzeitig von sozialem Abstieg bedroht zu sein.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung lädt ein, mit Astrid Geisler, Christoph Schultheis und Andreas Zick eine Bestandsaufnahme der Alltäglichkeit rechter Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft vorzunehmen und über Konsequenzen nachzudenken. Als verbindendes Element zwischen Lesung und Podiumsdiskussion gibt Fabio Duwentesters „Chagiga Lounge“ mit der Sängerin Tatjana Henze und dem Gast gitarristen André Krengel ein eigenes musikalisches Statement: Mensch sein statt Abwertung der Anderen.
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