Ausstellungseröffnung

"Die Prägung, die wir alle durch die Existenz der Mauer bekommen haben, wird weitaus länger nachwirken, als die Zeit ihrer Existenz angedauert hat." Wieland Eschenburg, Aktivist der Potsdamer Bürgerrechtsbewegung, erinnert an den Herbst 1989.

Ein Betrachter in der Ausstellung

"Freiheit!" "Wo denn du Tagträumer?"

Auszüge aus der Rede von Wieland Eschenburg zur Eröffnung der Fotoausstellung "25 Jahre Friedliche Revolution" am 21. Oktober 2014

Ich möchte mich im Rahmen der hier gezeigten Fotografien gerne an ein paar „Schlaglichter“ aus dem Wendejahr 1989 gemeinsam mit Ihnen erinnern.

Wir wollten eigentlich nicht weg. Die DDR war unser Zuhause - nicht als Staatsform, sondern als Heimat. Städte und Dörfer als unsere vertraute Umgebung, in der wir groß geworden sind, als Duft, als Farbe, als Geräusch, als Freundeskreis uns lieber Menschen. Mit dem Verfall der baulichen Substanz sind wir groß geworden. Das, was nicht so verfallen war, war größtenteils erst nach dem Krieg errichtet worden. Auf vielen innerstädtischen Flächen, auf denen neu gebaut worden war, sind unsere Eltern noch durch Kriegstrümmerwüsten gelaufen. Diese Aufbauleistung ist für uns kaum vorstellbar. Wir wollten nicht weg. Aber es schien dann vielen doch der einzige Weg, die Einschränkungen der DDR hinter sich lassen zu können. [...]

Hätten wir so gehandelt, wie wir gehandelt haben, wenn wir gewusst hätten, dass die Pläne für die Lager schon bereit liegen? Wir haben so etwas nur geahnt. Und genau wegen dieser Ahnung hat ja meist nur einer aus der Familie immer alle Aufrufe unterschrieben, der andere Partner nichts. Nicht, weil sie oder er anderer Meinung war, sondern in der Hoffnung, dass der Staat aufgrund der nicht vorhandenen Unterschriften kein Machtmittel in der Hand hat, gleich beide Partner zu verhaften. Vollmachten zur Betreuung der Kinder wurden hinterlegt oder es wurde zumindest darüber gesprochen, wie man im Falle der Verhaftung verhindern möchte, dass die Kinder in Heime kommen oder gar zwangsadoptiert würden.

Aber, was haben wir damals gewusst, von Heimen wie Torgau von brutalen Trennungen von Familien? Wenn wir damals alles gewusst hätten, was uns die Dokumente der Staatssicherheit inzwischen offenbart haben, wäre die Wende wohl nicht so friedlich verlaufen. [...]

Wieland Eschenburg: Gründete 1988 die AG Pfingstberg in Potsdam, um mit Gleichgesinnten den verwahrlosten Pfingstberg und dessen Bauten zu retten. Für den Wiederaufbau des Belvederes erhielt er das Bundesverdienstkreuz.


Wie unbemerkt sich Traumatisierungen in Kinderseelen schleichen, habe ich in der Nacht nach dem 7. Oktober 1989 erlebt. Am 7. Oktober `89 haben wir im Kulturbundhaus in Potsdam, organisiert von ARGUS, der Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtgestaltung, mit Umweltgruppen aus der ganzen DDR zusammengesessen und eine der vielen Resolutionen dieser Tage verfasst. Die Veranstaltung ging zu Ende, ich nach Hause zu Frau und Kindern und gemeinsam gingen wir noch zum Spaziergang in die Stadt. Wir kamen dazu, als die Polizei dabei war, die Demonstration, die sich an diesem Tag auf der Brandenburger Straße gebildet hatte, einzukesseln. Wir sahen die bedrohliche Kette der Polizei mit Helm, Schild und Schlagstöcken in der Friedrich-Ebert-Straße, also sozusagen von hinten und drehten um. In der darauf folgenden Nacht schrie unsere damals fünfjährige Tochter Marie im Traum und wachte schweißnass auf. Auf die Frage, was sie denn geträumt habe, antwortete sie, dass sie geträumt hat, „dass die Polizei gekommen ist und die Mutti geholt hat“. [...]

Was kann die DDR dankbar sein, dass es noch keine mediale Vernetzung in dem Umfang gab, wie es sie heute gibt. Den 40. Jahrestag hätte sie wohl nicht erlebt. [...]

Uns fehlte damals oft die Zeit zum Dokumentieren und ehrlich gesagt, war uns wohl auch noch gar nicht die Dimension des geschehenden Umbruchs und die Notwendigkeit einer authentischen Dokumentation bewusst. Umso dankbarer können wir sein, dass es Menschen gab, die diese Zeit in Bildern festgehalten haben.

Auch Kalender sind meist schlechte Partner der Erinnerung aus dieser Zeit, denn auch darin haben wir nicht alles festgehalten und aufgeschrieben. Denn es lag in der Luft, dass die Stasi sich Zugriff verschafft oder nach eventueller Verhaftung die Kalendereinträge und Notizen Fallen für Freunde und Familie werden können. Wie bösartig geschickt die Stasi vorging, haben wir ja auch erst im vollen Umfang nach dem Fall der Mauer erfahren, als in den Akten die Zeugnisse von Wohnungsdurchsuchungen, die Abzüge von heimlich installierten Kameras oder die Tondokumente von versteckten Wanzen auftauchten.

Aber auch so Belangloses fand sich in den Akten wieder: Mein Freund [...] fand den kompletten liebevollen Briefwechsel mit seiner Großmutter im Westen in seiner Stasiakte. Mein Schwiegervater fand die abgelichteten Inhaltsverzeichnisse sämtlicher Westpakete in seiner Akte wieder. Und oft genug wurde wohl auch nur irgendetwas aufgeschrieben, um etwas aufgeschrieben zu haben. [...]

Es ist für die Aufarbeitung der Potsdamer Wendejahre eine Tragik, dass die Vernichtung des 1989 aktuell auf den Schreibtischen der Stasi liegenden Aktenbestandes in Potsdam von eben dieser vor der Besetzung der Gebäude durch die Bürger so konsequent vorgenommen wurde: Nicht nur zerrissen oder geschreddert, nein, auch noch intensiv geschlemmt, lagen die Akten als meterhohe Wälle auf den Höfen der Zentrale in der Hegelallee und an der Villa Kampfmeyer nahe der Glienicker Brücke. Dadurch ist viel der Potsdamer Wendedokumentation verlorengegangen.

Fotografien: Stefan Gloede

Heute wird permanent Bildmaterial gepostet. Allgegenwärtig sind Handyfotos. Unsere Erinnerung wird nicht mehr in Tagebüchern, sondern in den Fotospeichern unserer Handys und digitalen Kameras abgespeichert. Dabei werden Erinnerungen namenlos. Wir wissen noch, dass wir „Tante Hilde“ oder „Kollegen Schmidt“ fotografiert haben. Wenn unsere Kinder die Bilder einmal sichten, können wir froh sein, wenn sie noch wissen, dass es eine Tante oder ein Kollege war. Die Enkel werden nur noch Situationen anhand der Bilder erahnen können. [...]

Wer in der ehemaligen DDR fotografierte, lief Gefahr, verhaftet zu werden. Der „Wessi“ wegen Spionage, der „Ossi“ wegen staatsfeindlicher Tätigkeit. Beide wurden beäugt, wenn sie fotografierten. Was fühlten wir denn zu DDR-Zeiten, wenn wir auf der Straße fotografiert wurden? Wer fotografiert mich, mein Haus, meinen Trabant denn da? Ist es wirklich der Hobby- oder Profifotograf oder ist es die Staatssicherheit? Wenn er erzählt, er ist aus dem Westen, ist er es wirklich?

Und wie fühlten wir uns, wenn wir selbst die Kamera in der Hand hielten? Wir müssen uns  daran erinnern, dass wir auch nicht einfach alles und jeden fotografieren durften. Bahnhofsgelände, Hafenanlagen, Betriebe … die Skepsis der Staatssicherheit war unglaublich! [...]

Die Schwarz/Weiß-Filme waren nicht so teuer und hatten einen besonderen Vorteil: Für das Entwickeln von Schwarz-Weiß-Filmen konnte man sich die Gerätschaften und Chemikalien auch selbst zusammenorganisieren. Wie viele solcher eigenen Dunkelkammern hat es wohl gegeben? Die Dunkelkammern waren auch kleine Keimzellen des Umbruchs, denn hier wurde entwickelt und vervielfältigt, was nicht vorher die Zensur der Stasi durchlaufen hatte – es sei denn, sie hatte sich im Freundeskreis Zugang erschlichen... In den privaten Dunkelkammern der DDR, in Kellern und Hinterhäusern, zeitweise umgerüsteten Bädern, wurde Licht in das Dunkel des Unrechts gebracht.

Die Fotos, die wir heute hier sehen können, sind auch Zeugnisse ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Sozialisierung: Klaus Fahlbusch aus dem Osten, Rainer Steußloff aus dem Westen. Und es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Blicke sich richten auf das, was 1989 zu sehen war, was „Neu“ war. Zum ersten Mal stellen die beiden [...] befreundeten Fotografen hier gemeinsam aus. Beide dokumentieren das jeweils für sie am meisten „Unfassbare“, das noch nicht Gesehene. Jeder fotografiert das für ihn Neue, das Bewegendste: der eine im Schwerpunkt die Löcher im Eisernen Vorhang, den Taumel der unerwartet schnell und so friedlich errungenen Freiheit, der andere den erlebbaren und sichtbaren Verfall.

In der Ausstellung

Längst nicht nur Erinnerung: Was damals war, interessiert auch die, die nicht dabei waren.

Man hat beim Anblick der Fotos den Geruch der Zeit automatisch wieder in der Nase. Den Gestank des vom Zweitaktmotors des Trabis verbrannten Benzins erleben wir noch heute gelegentlich, wenn ein Trabi auf der Straße vor uns unterwegs ist. Den Smog, der über den Städten lag, wenn im Herbst der Nebel den Geruch der verbrennende Braunkohle aus den Ofenheizungen in die Straßen drückte, haben wir im Alltag vergessen, würden aber sofort mit geschlossenen Augen wieder in diese Zeit zurückversetzt sein, wenn wir ihn „schnuppern“ würden. Es gibt wohl kaum einen ehemaligen DDR-Bürger, der den Duft vom Intershop nicht sofort erkennen würde. Der Geruch der Zeit kommt uns wieder in die Nase, wenn wir die Bilder aus der damaligen Zeit sehen.

Rainer Steußloff lichtet gebannt den Verfall ab, dokumentiert Lebensumstände, Hausfassaden, Straßen- und Lebensbilder, die er im Westen Deutschlands so kaum gefunden hätte. Reist unentwegt für seine kleine Bonner Agentur in den Osten und zurück. Es gab in den Archiven im Westen einfach kein Bildmaterial aus dem Osten. Datenwege via Internet gab es auch noch nicht. Die Filme wurden selbst transportiert und entwickelt oder mit Kurieren geschickt.

Die Großeltern und Eltern haben vom Krieg erzählt – das war für uns so unendlich weit weg. Und doch leben wir jetzt schon 25 Jahre nach dem Mauerfall, das ist ein Zeitraum, der schon neun Jahre länger ist, als der zwischen Kriegsende und meiner Geburt. Die Mauer, deren Fall wir feiern, stand „nur“ 28 Jahre – in drei Jahren sind wir genauso lange darüber weg wie wir hinter ihr gefangen waren. Die Prägung, die wir alle durch die Existenz der Mauer im Bewusstsein und Unterbewusstsein  bekommen haben, wird weitaus länger nachwirken, als die Zeit ihrer Existenz angedauert hat.

Ich erlebe in tiefer Dankbarkeit, dass ich als Teil der ersten Generation, die ohne Kriegserfahrung aufwachsen durfte, hier und heute bin. Meine Kinder sind noch in der DDR geboren, aber in Freiheit aufgewachsen.

Meine Urgoßmutter, geboren 1879, als Kind von Eltern, die den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erlebt hatten, war 35 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Meine Großmutter, geboren 1901, war zu jenem Zeitpunkt ein Kind von 13 Jahren. Das Ende des Ersten Weltkriegs war gerade 16 Jahre her als meine Mutter 1934 geboren wurde. Fünf Jahre nach ihrer Geburt begann der Zweite Weltkrieg.

Ich wurde 14 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren, und bin seit Generationen der erste, der keine eigene Traumatisierung durch Kriegserlebnisse, Hunger, Flucht, Vertreibung oder Kriegsverlust von Angehörigen verarbeiten muss.

Welch Glück, gerade in diese Epoche der Entwicklung unseres Landes hineingeboren worden zu sein! Lassen Sie uns dieses Glück in Dankbarkeit teilen und alles dafür tun, dass dieses Glück auch unseren Kindern und Kindeskindern bewahrt bleiben möge.

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