Barrieren senken – sag's anders.

Wer einmal vor verschlossener Tür stand, kennt das Gefühl: Du kommst hier nicht rein. Unsere Sprache wirkt ganz ähnlich. Was bedeutet vulnerabel, deviant oder othering und wer traut sich, vor anderen danach zu fragen?

Du kommst hier nicht rein. Wer einmal vor verschlossener Tür stand, weiß es. Das fühlt sich nicht gut an. Die Tür ist eine unüberwindbare Barriere. Mit unserer Sprache verhält es sich ganz ähnlich.

„Herr Professor, ich habe Ihnen jetzt über eine halbe Stunde zugehört, aber verstanden habe ich nichts.“

So kommentierte einer unserer Besucher einmal einen Eröffnungsvortrag. Der Referent fragte nach und es begann eine angeregte Diskussion, bedacht auf gegenseitigen Austausch.

Sprache ist ein großes Thema bei uns im Team. Wir erleben, dass viele Menschen aggressiv werden oder frustriert sind, wenn sie etwas nicht verstehen. Das fängt bei einzelnen Worten an und hört bei dem, was diese Welt zusammenhält, nicht auf. Im Unterschied zu früheren Jahren wird dieser Ärger auch von immer mehr Gruppen deutlich formuliert. Wovon reden die da (“oben”)?

"Vulnerabel" und "deviant" oder “Othering”, wie spricht man das überhaupt aus? Alle diese Worte tauchen in Medien und Veranstaltungen auf, die eigentlich für alle offen stehen, also nicht ausdrücklich Fachleute ansprechen, die diese Begriffe für ihre Arbeit benötigen. Wer nicht weiß, wie ein Wort ausgesprochen wird, kann kaum nach dessen Bedeutung fragen. Wer traut sich das schon vor anderen?

Gib mir mal den 8er rüber

In der Corona-Pandemie erschien zum Beispiel das Wort "vulnerabel" sehr plötzlich. Es hätte auch "verletzlich“ gesagt werden können, denn das bedeutet es. Verletzliche Gruppen von Menschen, die besonderen Schutz benötigen. Emotional berührend, finde ich, und gesellschaftlich sinnvoll, weil es direkt verstanden wird.

Genau das war und ist wichtig in einer Zeit, in der es vielleicht einen Tick mehr als sonst ums Verstehen geht. Ums Verstehen einer Politik, die aus dem Umgang mit einem bis dahin unbekannten Virus erwuchs oder um das Hinterfragen des eigenen Verhaltens. Was hindert mich daran, eine Entscheidung mitzutragen oder eben nicht und sich dann "deviant" zu verhalten? Da ist er wieder, dieser eine unnötige Schritt zurück. Wer benötigt das Wort "deviant" im Alltag? Wer läuft durch seine Stadt oder sein Dorf und sorgt sich um "deviante“ Jugendliche?

In der Jugendarbeit spielt der Begriff eine große Rolle, und zwar für den Fachaustausch über das Verhalten von heranwachsenden Jugendlichen, auch in den Sozialwissenschaften wird er verwendet, um Gruppen zu beschreiben, die sich abweichend verhalten, indem sie zum Beispiel extremistische Haltungen entwickeln. In diesem Zusammenhang sind sie wichtig, weil sie fachlich bestimmt sind und für alle Beteiligten klar ist, wovon die Rede ist.

Wer mit anderen außerhalb des eigenen Fachkreises ins Gespräch kommen möchte, hat aber ein Problem, wenn er von einem Narrativ (einer sinnstiftenden Erzählung) oder dem gesellschaftlichen Diskurs (einer Diskussion) spricht und sich dann wundert, wenn keine Antwort kommt. Kein Monteur hat zum Beispiel jemals in unserem Haus seine Arbeit getan und gefragt, ob wir ihm mal kurz einen 6er oder 8er reichen könnten. Wir haben keine Schraubenschlüssel im Haus, davon mal abgesehen, aber es macht das Prinzip deutlich.

Wenn es nur "Bahnhof" ist, sind wir draußen

In unserer Arbeit „übersetzen“ wir inzwischen nahezu alle Fremdworte. Eine verständliche Sprache ist für alle, die hier arbeiten, ein Zeichen von Wertschätzung, mit der die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen wahrgenommen werden. Dafür haben wir verschiedene Angebote entwickelt. Im Buchankauf achten wir zum Beispiel neben den Themen auch auf die Sprache. Wenn es nur "Bahnhof" ist, sind wir draußen. Oder machen es selbst. Unsere Reihe „Basiswissen Demokratie“ beschreibt kurz und verständlich gesellschaftliche Grundbegriffe. Klingt langweilig? Dafür ist es zu knackig, reinlesen lohnt sich.

Die Reihe „Fragen und Antworten“ nimmt Wahlen in den Blick. Zu früh an dieser Stelle, weil erst 2024 zur nächsten Landtagswahl interessant? Verstehe, wir machen auf jeden Fall wieder etwas dazu.

Unser Online-Lexikon „Kompakt erklärt“ sagt schon im Titel, was es macht: große gesellschaftliche Themen kurz erklären, gut für den Einstieg. Auf Instagram drehen wir kleine Videoclips selbst und die Webvideoreihe Brandenburg im Rampenlicht möchte junge Menschen ermutigen, deren „Einstiegssprache“ Bilder und Videos sind.

Warum wir das machen? Es ist unser Mittel gegen "Othering". Das englische Wort wird häufig verwendet, um zu erklären, wie Rassismus, Antisemitismus oder Diskriminierung entstehen. Es bezeichnet einen Prozess, in dessen Verlauf andere ausgegrenzt werden.

Genau das kann Sprache auf bedrückende Weise: andere ausgrenzen. Wenn Menschen nicht verstehen, was geschrieben, abgebildet oder gesagt wird, ist nichts gut. Der Text nicht, das Bild nicht, die Sprache nicht. So leicht ist das und so schwer kann es sein, wenn man es ernst meint mit dem gegenseitigen Verstehen. Jemand versteht dich nicht? Sag's noch einmal. Anders.

Linktipps

  • Politik verständlich machen

    Was haben die gesagt? Die Sprache von Politikern hat großen Einfluss auf das allgemeine Interesse der Bürgerinnen und Bürger, sich zu informieren. Doch die Art, wie Politik oft dargestellt und verhandelt wird, bewirkt in vielen Fällen eine Abwendung der Bürger.

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Jana Steinke
© fbn
Dr. Jana Steinke ist stellvertretende Leiterin der Landeszentrale. Sie leitet den Bereich Webkommunikation/ Digitale Bildung und interessiert sich für Menschen und alles, was sie miteinander ins Gespräch bringt. Dafür reißt sie gern Barrieren ein. Leichte Sprache liegt ihr besonders am Herzen.

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Sehr guter Text, vor allem voll von wichtigen Ansätzen, um mit ALLEN im Gespräch zu bleiben. Diese Herangehensweise würde ich mir in vielen Debatten/Foren/Medien wünschen, denn ich erlebe es oft, dass Sprache (z. B. "Neusprech" ;-) leider eher ausgrenzt und spaltet als zusammenführt.
"Sag's noch einmal. Anders." - tolles Motto!

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