Filmwechsel. Zur aktuellen Debatte um das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Ein ungewöhnliches Denkmal hat das Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset da geschaffen. Im Berliner Tiergarten, in unmittelbarer Nähe des Holocaust-Mahnmals, wurde im Mai 2008 das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht. Das Denkmal nimmt Bezug auf das gegenüberliegende Stelenfeld. Es besteht jedoch nur aus einer einzigen Stele, die zudem in verfremdeter Form dargestellt wird. Durch ein Fenster in der Stele ist ein Endlos-Film mit zwei sich küssenden Männern zu sehen.

Wenn Sie mich fragen, ist das alles so gut durchdacht und überzeugend, dass man eigentlich nichts verändern müsste. Doch im Vorfeld gab es einen - vielleicht nicht ganz so gut durchdachten - Kompromiss, nach dem der Kuss-Film alle zwei Jahre ausgetauscht werden soll. In der Ausschreibung für den neuen Film, der ab Ende Mai laufen soll, werden „interessierte Videokünstlerinnen und –künstler“ zur Teilnahme an einem öffentlichen Ideenwettbewerb eingeladen. Gefordert ist die „Interpretation einer gleichgeschlechtlichen Kussszene“. Auch ein lesbischer Kuss wäre möglich.

Dagegen gibt es nun Proteste. In einem offenen Brief (PDF, 3 S.) an den Kulturstaatsminister warnen Vertreter verschiedener Schwulenorganisationen sowie die Leiter mehrerer NS-Gedenkstätten vor einer „Verzerrung und Verfälschung der Geschichte“. Es sei „historisch nicht zu belegen, dass lesbische Frauen im Nationalsozialismus individueller Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt gewesen seien.“ Weiter wird in dem Schreiben ausgeführt:

„Wohl ist es richtig, dass im „Dritten Reich“ auch die Freiheitsrechte lesbischer Frauen beschnitten wurden, z.B. dadurch, dass man ihre Zeitschriften verbot. Darin unterschied sich ihr Schicksal nicht von dem der großen Mehrheit der Deutschen, die nun unter den Bedingungen eines totalitären Regimes zu leben hatten. Eine ganz andere Qualität hatte die individuelle Verfolgung und Verschleppung in Konzentrationslager, der Millionen Menschen ausgesetzt waren. Auch etwa 10.000 homosexuelle Männer waren von dieser Form des NS-Terrors betroffen. Hingegen ist nicht ein einziger Fall einer lesbischen Frau historisch zu belegen, die aufgrund ihrer homosexuellen Veranlagung in die Verfolgungsmaschinerie der Nationalsozialisten geraten wäre.“

Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat die Kritik bereits zurückgewiesen.

Eigentlich wird hier eine Debatte wiederholt, die in den Jahren 2006 und 2007 bereits geführt wurde. Den vielleicht wichtigsten Diskussionsbeitrag lieferte damals der Historiker Andreas Pretzel. Auch Pretzel lehnt den Begriff „Lesbenverfolgung“ ab: „Nach meinem Dafürhalten sollte von Repression und Diskriminierung gesprochen werden, um die erfahrene individuelle Bedrohung angemessener zu beschreiben.“ Einen regelmäßigen Filmwechsel in der Stele hält er für „abwegig“: „Denn die Stele selbst ist ein Symbol für Verfolgung, ein Film zweier küssender Frauen darin würde … die Legende der Lesbenverfolgung nahe legen.“ Stattdessen plädiert Pretzel für ein differenziertes Gedenken. Damit am Gedenkort auch in angemessener Weise an die Situation lesbischer Frauen im Nationalsozialismus erinnert werden könne, sei eine „Erweiterung“ angebracht: [

„Weil es laut Bundestagsbeschluss um einen Gedenkort und nicht nur um ein Denkmal geht, bietet sich m. E. die Möglichkeit, neben dem bisherigen Denkmalsentwurf und als dessen Ergänzung einen weiteren, künstlerisch adäquaten und eigenständigen Entwurf anzustreben.“

Wenn man die Debatte nicht einfach nur wiederholen, sondern auch zu einem guten Ergebnis kommen will, sollte über diese Idee gesprochen werden.

Links:

Jens Bisky: Elendige Kuss-Quote, Süddeutsche Zeitung vom 26. März 2010

Die wichtigsten Diskussionsbeiträge aus den Jahren 2006 und 2007 sind hier verlinkt.

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