In Würde sterben

Umsetzung der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“ in Brandenburg

Podiumsdiskussion

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Zwei Hände halten sich
© Albrecht E. Arnold / pixelio.de

Der demografische Alterungsprozess bringt große soziale, politisch-ökonomische, kulturelle und ethische Herausforderungen mit sich. Es ist unausweichlich, dass die Zahl pflegebedürftiger und schwerstkranker Menschen zunimmt. Damit ist die ganze Gesellschaft konfrontiert. Durch den Wandel familiärer Strukturen und nachbarlicher Beziehungen muss über Lebenslage und Versorgung schwerstkranker und sterbender neu Menschen nachgedacht werden.

Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht, die Bedingungen für ein Kranksein und Sterben in Würde zu sichern. Das heißt, jeder muss darauf vertrauen können, in seiner letzten Lebensphase mit seinen Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert zu werden und dass Entscheidungen unter Anerkennung seines Willens getroffen werden.

Dieser Idee, die bereits international debattiert wird, hat sich in Deutschland eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes (DHPV) und der Bundesärztekammer (BÄK) verpflichtet gefühlt. Unter ihrer Trägerschaft haben 50 gesellschaftlich und gesundheitspolitisch relevante Institutionen zwei Jahre lang an einem Runden Tisch die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“ ausgearbeitet.

In der Veranstaltung sollen die Inhalte der Charta vorgestellt und diskutiert werden.

Gäste:

v.l.: Daniel Rühmkorf, Birgit Weirauch, Martina Weyrauch, Michael Schmidt und Christian Schirmer

v.l.: Daniel Rühmkorf, Birgit Weirauch, Martina Weyrauch, Michael Schmidt und Christian Schirmer

Eine Kooperationsveranstaltung mit dem Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz

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Kommentare

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Derueit würde ich noch nicht so "streng" mit dem Staat ins Gericht gehen wollen; dies deshalb, weil der Staat sich in der Frage der Sterbebegleitung noch nicht abschließend positioniert hat und offensichtlich darauf vertraut, dass der Berufsstand der Ärzteschaft sich des Problems angemessen annimmt. Das diese Erwartungshaltung allerdings enttäuscht wurde, war insoweit vom Staat nicht voraussehbar, zumal jedenfalls eine Liberalisierung des ärztlichen Berufsrecht (unter Wahrung der Freiheitsrechte des Berufsstandes) nach den ersten Verlautbarungen der BÄK zu erwarten anstand.

Ob die Charta allerdings einen tragbaren Konsens darstellt, darf insoweit bezweifelt werden, da hier gleichsam dem nunmehr gewünschten Verbot etwa der ärztlichen Suizidassistenz in die "Hände gespielt" wurde.

Erstaunlich freilich ist, dass die führenden Initiatoren kein Interesse an einem wahrhaftigen Diskurs hegen, wohlwissend darum, dass ihre Argumente jedenfalls mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht der schwersterkrankten Patienten lediglich die Qualität "ethischer Nebelbomben" angenommen haben und insofern die führenden Apologeten einer neopaternalistischen palliativmedizinischen Ethik eine Entmythologisierung scheuen. Hier zeichnet sich - wie ehemals in der Diskussion um den Wert einer Patientenverfügung - eine Diskussionskultur ab, die in erster Linie einen offenen Dialog verhindern soll. Nun will ich hier nicht verschweigen, dass einige Befürworter der Sterbehilfe ein stück weit zur Trivialisierung der Debatte beigetragen haben, in dem auch diese es tunlichst vermeiden, eine in sich schlüssige Argumentation vorzutragen und lieber darauf setzen, mehr oder minder bewegende Einzelschicksale zu schildern und zu "kommentieren". Das Problem liegt in der Komplexität der Fragestellung nach der Legitimität der (ärztlichen!) Suizidbeihilfe und der dahinterstehenden "Wertekultur" an der Schnittstelle zwischen Recht, Ethik, Philosophie, Soziologie und Theologie und deren Bedeutung für einen "Konsens", der gleichsam aus der Perspektive der verschiedenen Professionen annehmbar sein könnte.

Der "Konsens" der Charta scheint mir jedenfalls ein solcher von ethischen "Überzeugungstätern" zu sein, der in einer liberalen Gesellschaft als nicht annehmbar erscheinen muss, verkürzt er doch in unzulässiger Weise das Selbstbestimmungsrecht der Patienten, denen auch gerne mal unterstellt wird, dass diese ihr Anliegen nach Selbstbestimmung eigentlich gar nicht ernsthaft verfolgen wollen oder - in der ungleich diskriminierender Variante - mit ihrem selbstbestimmten Willen eher "pathologisch auffällig" seien.

Nun - die Zeit wird es zeigen, ob der "Staat" geneigt ist, diesem ethischen Neopaternalis neuer "Güte" weiteren Vorschub zu leisten. Die LÄK jedenfalls sind gut beraten, das Problem nochmals grundätzlicher anzugehen, bevor unreflektiert die von der BÄK vorgeschlagene Neuformierung des § 16 Ä-MBO ins Landesrecht übernommen wird.

Es scheint, dass neben den Medizinethikern und Hobbyphilosophen auch einige Ärztefunktionäre mit der Problematik der ärztlichen Suizidassistenz schlicht - aber durchaus ergreifend! - überffordert sind!

Zum Thema erschien heute in der PNN eine Streitschrift von Martin Ahrends:

will Ich sterben dürfen
Der Vater vegetierte am Ende mehr, als dass er noch lebte. Unser Autor wünscht sich einen besseren Tod. Wer soll ihn daran hindern?

Vielen Dank für den Hinweis, und gleichermaßen vielen Dank für den durch Frau Valenta vermittelten Eindruck vom Verlauf der Veranstaltung.

In der Tat ist die politische Fucht vor Automatismen als Folgewirkung der Freigabe der medizinisch qualitätsgesichert assistierten Selbsttötung ( sei es zur "Wilden Euthanasie", sei es zum Qualitätsabbau in der Pflege als Folge der Entdämonisierung der Sterbehilfe) nicht unbegründet.

Gleichwohl: Sollen wir uns denn für den Fall, dass wir sterben wollen, vorsorglich wirklich alle 3000er Berggipfel suchen müssen?

Der "Seniorenindustrie" (so zutreffend M. Ahrends) die Stange zu halten, und die Selbsttötungsfreiheit zu mißachten, ist reaktionär, obrigkeitsstaatlich, opportunistisch und kommt einem indirekten Eingeständnis fehlender politischer Gestaltungskraft gleich.

Ob nun in einer katholischen oder - wie hier - in einer "linkslinken" Einfärbung. Es ist wie immer: Auch in Sachen Sterberecht ist der Staat der erbittertste Feind der Autonomie-Rechte des Bürgers. Der Staat und seine Regierungen können einfach ihre Wurstfinger nicht von dem Bürger lassen.

Die Bürger brauchen einen starken Staat, aber sie brauchen es nicht, dass er ihnen eine qualitätsgesicherte Verwirklichung ihres Sterbewunsches verbietet bzw. verunmöglicht, nur weil er darin versagt, die ordentliche Pflege pflegebedürftiger Menschen zu gewährleisten und zu finanzieren.

Ich danke auch nachträglich für den Hinweis auf die Öffentlichkeit der Veranstaltung und habe sie auch besuchen können.

Leider wurde die Herausforderung Pflegenotstand, Demenz und auch Ärztemangel in der Fläche 1 1/2 Stunden lang von 4 Podiumsteilnehmer/innen, die sich alle über das zu verallgemeinernde Ideal des hospizlichen Sterbens einig waren, schön geredet - es bliebe eben noch viel zu tun.

Erst dann durfte das Publikum auch mal mitrden.

Richtig und unterstützensewert der Hinweis von Frau Dr. Weihrauch (Dt. Hospizverband), dass gravierenden Änderungen auf kommunaler Ebene (Selbst- und Nachbarschaftshilfe, Ehrenamtsstrukturen) erforderlich sind und wir nicht in Resignation verfallen dürfen. Aber offenbar braucht die Hospiz- und Palliativ-Fürsorge für ihren Alleinvertretungs. und Absolutheitsanspruch ein Feindbild: die Sterbehilfe (da liegt der Ideologieverdacht nahe - warum nicht gelassener damit umgehen? Hospizler müssen für eine Suizidbegleitung ja nicht selbst zur Verfügung stehen). Angeblich kann aber nur der entsschiedene und intolerante Einsatz gegeben uns einzig davor bewahren, dass alles nur noch viel brutaler und schlimmer wird. Und aus diesem Grund muss die Parole vom "Durchhalten bis zum Schluss" an Sterbende und Schwerstkranke ausgegeben werden. Auch scheint in der Hospizbeewegung die Illusion mitzuschwingen, mit dem Hinweis auf "drohende" Sterbehilfe mehr Geld für die Hospizversorgung locker machen zu können.

Dabei müssten die stationären Hospize ("Sterben de lux" für wenige Auserwählte) bei einer echten Prioritätenverschiebung der Gesundheitskosten hin zur palliativen Geriatrie, Demenzbetreuung und Gerechtigkeit vielleicht auch auf den Prüfstand wie - natürlich in unvergleichbar stärkerem Ausmaß - die akute Maxiimal-Intensivmedizin.

Warum wird nicht einmal dem Gedanken Raum gegeben, dass es auch eine fürsorglich begleitete Sterbeverkürzung oder Lebensbegleitung bis zum Schluss geben kann, wo die Betreffenden einfach des Lebens satt sind (es wurde als Möglichkeit aus dem Lebenzu scheiden von einem Arzt aus dem Publikum der "freiwillige Verzicht auf Ernährung" angesprochen) oder auf einen Leidensweg bis zum bitteren Ende bewusst verzichten wollen? Warum soll es - wie der Herr Staatssekretär aus Potsdam meinte - dann einen Automatismus geben dahingehen, dass auf Angebote zur Lebenserhaltung und Verbesserung der Lebensqualität  allgemein verzichtet würde? Wieso müsste das zwangsläufig so sein - warum kann diesbezüglich nicht auch eine durch und durch menschliche Haltung entwickelt werden wie einstmals im hospizlichen Sinne gegenüber der Sterbeproblematik von Krebspatienten?

Glücklicherweise bleibt es ja nicht aus, dass auch die Hospizbewegung nach 30 jähriger Erfolgsgeschichte sich zunehmend differenziert, nach ihren gesellschaftlichen Höheflügen Entdogmatisierungs-, Auflösungs- und Alternativentwicklungen erkennbar werden und sich hoffentlich viele entideologisierte neue Strömungen herausbilden - die der Grundhaltung der Fürsorge, Humanität und Patientenorientierung verpflichtet bleiben. 

R. V.

Nun - ich würde mir wünschen wollen, dass der Tagung ein voller Erfolg beschieden ist. Dies deshalb, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das Selbstbestimmungsrecht der schwersterkrankten und sterbenden Patienten nicht verkürzt werden sollte, auch nicht in einer Charta, die sicherlich von einem guten Willen getragen ist.

"Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht, die Bedingungen für ein Kranksein und Sterben in Würde zu sichern. Das heißt, jeder muss darauf vertrauen können, in seiner letzten Lebensphase mit seinen Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert zu werden und dass Entscheidungen unter Anerkennung seines Willens getroffen werden.", so der bedeutende Hinweis in der Ankündigung der Podiumsdiskussion und ich meine, dass hierzu die wohl überlegte Entscheidung des Patienten, ggf. aus dem Leid frei verantwortlich entfliehen zu wollen, zu respektieren und zu akzeptieren ist. Ohne Frage ist dies eine individuelle Gewissensentscheidung einer jeder einzelnen Ärztin oder Arztes - eine Entscheidung, die auch der schwersterkrankte Patient zu tolerieren hat. Aber liegt es ganz in dem Bereich des Unmöglichen, dass im Zweifel unter bestimmten Voraussetzungen in der ärztlichen Suizidassistenz ein besonderer Akt der Humanität erblickt werden kann?

Ich denke, dass dies sehr wohl möglich ist und immerhin nahezu 1/3 der Ärzteschaft sich jedenfalls vor den Beschlüssen des 114. Deutschen Ärztetages eine Liberalisierung auch der ärztlichen Standessitte vorstellen konnte. Dass nunmehr ein Verbot in der Ä-MBO verabschiedet wurde, muss eigentlich mehr zum Nachdenken auffordern, als ein gemeinsames Bekenntnis, welches sich entsprechend in der Charta niederschlägt. Der Charta kann ich "beitreten" oder halt nicht, während demgegenüber das Berufsrecht ein arztethisches Zwangsdiktat beinhalten soll, das nun wahrlich unsäglich und - wie in Kürze darzulegen sein wird - auch verfassungsrechtlich mehr als bedenklich ist.

Wir sind mehr denn je davon entfernt, einer "Heiligkeit des Arztethos" das Wort reden zu müssen und insgesamt stellen die Ärztefunktionäre ihren Kolleginnen und Kollegen ein "ethisches Zeugnis" aus, das nicht vernichtender sein kann: offensichtlich befürchtet man/frau die "arztethische Verrohung" eines Berufsstandes und damit hat zumindest die BÄK einen gewichtigen Beitrag dazu geleistet, dass das Vertrauen in die ethische Integrität der Ärzteschaft erodiert. Ein Umstand, der dem verantwortungs- und gewissenhaften Beruf der Ärzteschaft nicht gerecht wird und letztlich einen bitteren Beigeschmack aufkommen lässt, wonach einige "Oberlehrer" ihre höchstpersönlichen Ansichten als verbindliche Richtschnur "verordnen" können.

Bleibt zu hoffen, dass die Landesärztekammern nicht (!) dem schlechten Beispiel der BÄK folgen und nach einer Lösung streben, die der ärztlichen Gewissensfreiheit und damit zugleich auch dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten gerecht wird.

Ich wünsche der Tagung viel Erfolg!

Lutz Barth

Auch ich wünsche der Tagung viel Erfolg, bedanke mich für den Hinweis auf die Öffentlichkeit der Veranstaltung und bitte um Nachsicht dafür, dass ich nicht an ihr teilnehmen kann, obwohl ich durchaus gerne über die Notwendigkeit der Umsetzung des Menschenrechtes auf Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes mit den Podiumsteilnehmern und den anderen Angehörigen des Auditoriums gesprochen hätte.

Wir bedanken uns für die rege Debatte im Vorfeld der Veranstaltung. Die Veranstaltungen der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung sind öffentlich. Alle Interessierte sind herzlich eingeladen!

Zum Thema des selbstbestimmten Sterbens und zum Respekt des Patientenwillens hätte die DGHS, Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, durchaus Nützliches beitragen können. Die DGHS setzt sich seit 1980 als erste, bundesweit aktive und grösste Patientenschutzorganisation in Deutschland dafür ein, den Menschen ein für sie unerträgliches und sinnloses Leiden zu ersparen und ihnen auch beim Sterben ihre Menschenwürde zu erhalten. Laut Statuten initiiert und fördert sie Massnahmen, die das Selbstbestimmungsrecht des Menschen im Rahmen des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates durch geeignete Willensverfügungen und gemeinwohlorientierte Hilfen verbessern, die Autonomie des Patienten im Prozess des Sterbens stärken und der Humanität in Krankenhaus, Alten- und Pflegeheimen wie auch ausserhalb dieser Institutionen dienlich sind. 

Nichts anderes fordert die Charta zur Betreuung Schwerstkranker und sterbender Menschen. Weshalb also nicht die DGHS in den Dialog mit einbeziehen und rechtzeitig zu dieser Veranstaltung einladen ?

Elke Baezner, Präsidentin DGHS

In der Tat: Es ist nicht nachvollziehbar, dass die DGHS in den Dialog einbezogen ist. Dasselbe gilt auch für Dignitas.

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„Es ist dringend notwendig, einen gesellschaftlichen Konsens über drängende Fragen schwerstkranker Patienten und ihrer Angehörigen wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Umgang mit der Sterbehilfe-Debatte und Therapieentscheidungen am Lebensende zu erzielen.“, so Christof Müller-Busch, seinerzeit noch Präsident der DGP, Anfang 2009 in einer gemeinsamen Presserklärung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e.V., des Deutschen Hospiz-und PalliativVerbands e.V. und der Bundesärztekammer v. 28.01.09.

Das Ziel ist lobenswert und bereits vor dieser gemeinsamen Presserklärung konnten wir denn auch von dem Hauptgeschäftsführer der BÄK, Christof Fuchs, vernehmen: „Die gemeinsam mit vielen anderen gesundheits- und gesellschaftspolitisch relevanten Organisationen geplante Charta soll dazu beitragen, „den notwendigen Dialog in der Gesellschaft zu führen, diese aufzuklären und den verantwortlichen Politikern Grundlagen für eine Gesetzgebung zur Palliativversorgung zu liefern, die sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen unheilbar kranker und sterbender Menschen richtet“ (so Fuchs in einer Mitteilung v. 03.09.08, siehe dazu den Nachweis auf den Seiten der BÄK).

Nun – in der Tat wird es Zeit, einen Dialog zu führen und ggf. Zutritt zu der wohl geschlossenen Gesellschaft der wohlmeinenden Ethiker zu begehren und zwar gerade in Kenntnis der kritischen Nachfrage, ob tatsächlich alle gesellschaftlich relevante „Gruppen“ und „Organisationen“ willkommen geheißen wurden oder auch künftig werden. Dies deshalb, weil sich die Initiatoren sehr selbstbewusst anschicken, Grundlagen für eine Gesetzgebung zur Palliativversorgung zu liefern, zusätzlich sich aber auch veranlasst sahen, sich zur Sterbebeihilfe zu positionieren.

Der bisherige „Konsens“, der sich in der Charta widerspiegelt, ist derzeit nur ein „fragmentarischer“, lässt er doch den ethischen Grundstandard unseres Grundgesetzes aus nicht nachvollziehbaren Gründen einstweilen außer Betracht. Hier wäre es für den Fortgang des „Charta-Prozesses“ dringend erforderlich, wenn sich die Initiatoren jedenfalls an die wünschenswerten Bedingungen eines „herrschaftsfreien Diskurses“ erinnern und ggf. aus der Diskurstheorie einige Aspekte für ihr „Verfahrensprozedere“ fruchtbar machen würden, so dass überhaupt die Voraussetzungen für einen „ethischen Konsens“ geschaffen werden.

Nicht alle gesellschaftlich relevanten Gruppen geschweige denn Diskurteilnehmer sind bei dem Chartaprozess vertreten und wäre dies der Fall, dann wäre das Ergebnis wohl auch ein anderes gewesen – auch um den Preis, dass ein Konsens in der nun vorliegenden Art vielleicht in der Gänze gar nicht zustande gekommen wäre.

Da aber der Dialog gewünscht ist, plädiere ich dafür, dass einige weitere gesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen künftig die Möglichkeit haben, sich in den Prozess der „Wahrheitsfindung“ einzubringen, um so bisher von den Arbeitsgruppen vernachlässigte Perspektiven skizzieren zu können, die den angestrebten Konsens überhaupt erst ermöglichen. Ich denke da nicht nur an die DGHS, den HVD, sondern auch etwa an Einzelpersonen, namentlich die Herren de Ridder oder Borasio, die Herren Birnbacher und Kreß, wobei gerade letztere entscheidende Impulse mit Blick auf das Toleranzprinzip geben könnten.

Ein Dialog, der auch in einer „Charta“ münden soll, setzt freilich einen voraussetzungslosen Zugang zu den verschiedenen Arbeitsgruppen voraus und zwar nicht nur mit Blick auf diskurstheoretische Erwägungen, sondern in erster mit Blick auf die unverkennbare Absicht, über den Gedanken einer Charta „Normen“ produzieren zu wollen, die sowohl moralischer als auch rechtlicher Natur sein können.

Und in der Tat darf denn auch nachgefragt werden, ob der „Konsens“ jedenfalls vom Ergebnis her bereits schon vor einem Dialog in dem Ziel, sich gegen die Suizidbeihilfe zu positionieren, bereits feststand? Nun mag es durchaus im Bereich des Möglichkeiten liegen, dass sich ein Konsens gegen die „Tötung auf Verlangen“ herstellen lässt; gilt dies aber auch mit Blick auf die ärztliche Suizidassistenz in den Fällen, in denen der Patient frei verantwortlich seinem Leid zu entfliehen gedenkt und hierzu der Hilfe Dritter bedarf?

Eine Charta, die die ärztliche Suizidbeihilfe nicht als ethisch vertretbare Option in Erwägung zieht, kann und wird in unserer Gesellschaft nicht anschlussfähig sein und so gesehen ist das Ziel der Initiatoren, die sie mit der Charta verbinden, wohl nicht erreichbar: Eine Gesetzgebung wird nicht umhin kommen, jenseits palliativmedizinischer Ethikstandards in erster Linie darauf bedacht zu sein, den ethischen Grundstandard unseres Grundgesetzes zu wahren. Sofern es hieran ermangelt, läuft eine Gesetzgebung Gefahr, aus verfassungsrechtlichen Gründen verworfen zu werden. Einer Charta, die dass Selbstbestimmungsrecht der Patienten, aber auch das Recht der individuellen Gewissensfreiheit der zur Selbstverpflichtung Aufgerufenen nicht hinreichend berücksichtigt, droht ebenso Ungemach und zwar dergestalt, dass es als eine Erklärung einer Gruppe von – mit Verlaub – Gesinnungsgenossen zu werten sein wird, deren ethischer Konsens bereits vor dem eigentlichen Konsensverfahren feststand. Wohlgemerkt: Wenn die Charta „diskursethische“ Bedeutung erlangen will und in der Folge sich z.B. ein Dr. Michael de Ridder zur Diskursgemeinschaft hinzugesellen wird, wäre der bis dato erreichte „Konsens“ wieder zurück zu nehmen! Nun steht zu vermuten, dass auch etwa die DGHS oder der HVD, meinetwegen auch Dr. Roger Kusch vom SterbehilfeVerein Deutschland allein durch ihre Mitwirkung in den Arbeitsgruppen aufgrund ihrer Position den anvisierten Konsens nicht mitgetragen hätten, da diese andere Argumente in einem herrschaftsfreien Diskurs hätten einfließen lassen können. Ist dies vielleicht die Erklärung dafür, dass – um des „Konsens willen“ (!?) – andere gesellschaftlich relevante Gruppen oder Einzelpersonen keinen Zugang zu der scheinbar „offenen Gesellschaft der Diskursteilnehmer“ hatten oder haben, um den beabsichtigten Konsens nicht zu gefährden?

Nun – ich weiß es nicht und vielleicht sieht sich hier jemand im Forum in der Lage, zur weiteren Aufklärung beizutragen.

Der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung sei hier nochmals ausdrücklich dafür gedankt, dass sie mit dieser Kommentarmöglichkeit ein stückweit dazu beiträgt, einen realen Diskurs gerade im Sinne von Habermas partielle Wirklichkeit werden zu lassen. Dies ist insofern wichtig, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass „ethische Normen“ in unserer Gesellschaft sich zu möglichen Rechtssätzen verdichten, die „nur“ von einer kleinen handverlesenen Expertengruppe proklamiert werden und die m.E. im Begriff ist, sich dem Dialog zu entziehen und den Zugang zu der offenen Diskursgemeinschaft zu versperren, auch wenn dies sicherlich nicht öffentlich von den Initiatoren eingestanden wird. Andererseits muss es auch nachdenklich stimmen, wenn manche Neopaternalisten meinen, in der Debatte fordern zu müssen, bestimmten Personen keine öffentliche Plattform zu bieten!

Ich denke - Herr Habermas wäre "not amused" über das Ansinnen, Diskursteilnehmer schlicht den "Zugang" zu verweigern!

für die schwersterkrankten und sterbenden Menschen: Ausweislich der Hompepage der Initiatoren der Charta kann festgestellt werden, dass derzeit 351 Institutionen die Inhalte und Ziele der Charta mittragen. Dies provoziert natürlich die Nachfrage, wo in naher Zukunft überhaupt noch frei verantwortlich gestorben werden kann, wenn es rein faktisch aufgrund der "Selbstverpflichtung" keine Institutionen mehr gibt, in denen im Zweifel auch eine Suizidassistenz möglich ist.

Nun mag es ja besonders ehrenhaft erscheinen, die Charta mitzutragen, wenngleich sich doch der Hinweis als zynisch erweisen muss, wonach "auf der Grundlage der Charta" die Institutionen gleichsam "für die Einlösung der Rechte" eben der schwersterkrankten und sterbenden Patienten einzutreten beabsichtigen. Um welche "Rechte" soll es sich hier handeln? Auf das Recht auf den eigenen Tod?

Mit Verlaub: Die Charta blendet das Selbstbestimmungsrecht der Patienten aus und entlässt gerade am Ende des menschlichen Lebens die schwersterkrankten und sterbenden Patienten aus ihrem Verantwortungsbereich, sofern diese einen frei verantwortlichen Suizidwunsch äußern sollte. Die Konsequenz besteht darin, dass dann der Sterbenskranke sich an einen anderen Ort des Sterbens verlegen lassen muss, zumal in Kenntnis dessen, dass sein Selbstbestimmungsrecht nicht zur Fremdbestimmung führen darf.

Wollen wir eine solche "Ethik"? Darf der Patient tatsächlich nur im Einklang mit den Zielen und Inhalten der Charta freiverantwortlich sterben?

Wenn dies der Fall sein sollte, spiegelt sich in den Zielen und Inhalten der Charta ein ethischer Neopaternalismus wider, der jedenfalls Anlass zu größter Sorge bieten muss: Der Patient stirbt zu "fragwürdigen Konsensbestimmungen", auf die er sich letztlich einlassen muss; anderenfalls wäre er aufgefordert, rechtzeitig für einen "Platz" in einer Alternativeinrichtung Sorge tragen, in der er dann selbstbestimmt sterben darf. Was erscheint Ihnen, liebe Leserinnen und Leser humaner: Eine mit wohlgesetzten Worten angepriesene Ethik der Fürsorge oder das Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht auch der schwersterkrankten und sterbenden Menschen, die im Zweifel ihrem unsäglichen Leid trotz der Versprechungen und Möglichkeiten der palliativmedizinischen Betreuung frei verantwortlich zu entfliehen gedenken und ggf. hierzu der Hilfe bedürfen?

Die Charta ebnet mehr denn je einem "Sterbetourismus" oder einem "Sterben in der Grauzone" den Weg und mit jeder "Unterschrift" werden hierzulande "Orte von der Landkarte" getilgt, an denen noch frei verantwortlich gestorben werden kann. Nicht nur "Lebensqualität" ist zu sichern, sondern auch die "Sterbequalität" aus der Innenperspektive des schwersterkrankten und sterbenden Patienten!

Nehmen wir die "Rechte" all derjenigen wahrhaftig ernst, um die es letztlich geht!

Wie mir nach sorgfältiger Lektüre scheint, hat diese tatsächlich eine leichte ideologische Schlagseite. Ich mache das an der verwendeten Begrifflichkeit für deren Geltungsbereich fest, der sich auch im Einladungstext widerspiegelt.

Da ist einmal von der riesigen sozio-kulturellen und politiökonomischen Herausforderung des demographischen Alterungsprozess die Rede. Danach wird die Zahl der langzeitpflegebedürftigen und dementen Menschen enorm zunehmen. Die CHARTA suggeriert unterschwellig, dazu Betreuungskonzepte und Forderungen zu formulieren. Eigentlich geht es dann aber wiederum nur um Sterbende, allenfalls Schwerstkranke mit sehr beschränkter Lebensdauer. Dann zwischendurch doch mal wieder auch für "Menschen in hohem Lebensalter" sowie auch für "Menschen mit Behinderung" (S. 13 der CHARTA). 

Wie denn nun, Hospizversorgung für alle Genannten, für die das Sterben (noch lange) gar kein Thema sein muss? Im stationären Hospiz wird bekanntlich ein Lebensende "de lux" mit hervorragender Lebensqualität bis zum Tod für sehr Wenige geboten. Was ist aber mit dem Ort Pflegeheim? Die CHARTA fordert, der Einzelne soll den letzten Ort wählen können. Grenzt das nicht an Unredlichkeit, zumindest Unaufrichtigkeit? Soll uns etwas vorgemacht werden, was gar nicht realistisch ist? Was ist mit Pflegeheimbewohner/innen) Was mit Patienten, die Alzheimer, Rheuma, Herzschwäche, Gelenkschmerzen haben, deren Seh- und Gehvermögen verloren gegangen ist, sich langfristig nicht mehr selbst helfen können?

Viele Grüße

R. V.  

Sehr geehrter Herr Barth,

Ihren offenbar abschließenden Bemerkungen habe ich nichts hinzuzufügen, außer dass ich sie voll teile, mich für unser Gespräch bedanke und Ihnen alles Gute wünsche.

Ich danke für das Lob, auch wenn ich eines solches nicht bedarf; wenn überhaupt, so sollte es weniger dem persönlichen Charakter oder Einstellung geschuldet sein sollte, sondern vielmehr dem Bemühen, endlich den Diskurs auf eine fundierte Basis zu stellen. Auffällig ist und bleibt, dass der Wertediskurs eher durch Hobbyphilosophen dominiert wird und die sich notwendigen Einsichten – etwa mit Blick auf das Grundgesetz, freilich auch der Menschenrechtskonvention – schlicht verweigern. Der Diskurs ist nach wie vor zu entmythologisieren, zumal jedenfalls mit Blick auf das frei verantwortliche Sterben in der Tat einige prominente Ethiker und Ärztefunktionäre uns allen den „Glauben schenken wollen“, dass jedenfalls das Heil ausnahmslos in einer palliativmedizinischen Betreuung zu erblicken sei, die derzeit flächendeckend nach wie vor nicht gewährleistet ist. Problematisch ist, dass Ethiker in ihren Schriften und Beiträgen nicht selten den faden Beigeschmack hervorrufen, dass in gewisser Weise das „Leid verklärt“ wird und im Übrigen sich der Patient in den Dienst der palliativmedizinischen Forschung zu stellen habe. Eine solche Botschaft namhafter Ethiker ist rechtsethisch mehr als problematisch, wird doch der Patient durch eine solche Betrachtung zum „Objekt der Palliativmedizin“ degradiert, auch wenn ansonsten die Ethiker ganz artig betonen, nur das „Wohl ihrer Patienten“ im Auge behalten zu wollen. Die Debatte kann nur sinnvoll befriedet werden, wenn der Wille des Patienten hinreichend akzeptiert wird und sofern die Initiatoren der Charta selbst sich eingestehen, nicht jeden Weg des schwersterkrankten und sterbenden Patienten mitgehen zu können (die Selbstverpflichtung im Sinne der Charta schließt ja eine ärztliche Suizidassistenz aus), dann wird zu fragen sein, wer dann die Suizidassistenz leisten soll? Derzeit verweigern die Ärztefunktionäre die ärztliche Suizidassistenz auf ganzer Linie und es gilt in absehbarer Zeit, zu diesem möglichen Verbot umfassend Stellung zu beziehen.

Aus rechtsethischer Perspektive freilich ist es bedauerlich, dass im aufgeklärten 21. Jahrhundert die Bedeutung der Autonomie und Selbstbestimmung nach wie vor „verkannt“ wird und zwar vornehmlich durch einige Ethiker, die sich noch nicht einmal der Mühe eines wissenschaftlichen Quellenstudiums aussetzen (so jedenfalls mein Eindruck, wenn ich Beiträge lese). Der „Blick in die ethische Glaskugel“ ersetzt eben nicht die Verfassungsrechtswissenschaft, geschweige denn eine Diskussionskultur, in der die Argumente entsprechend zu gewichten sind. Hieran ermangelt es zur Zeit und die allgemeinen Sonntagsreden über ein „würdevolles Sterben“ können nicht darüber hinweg täuschen, dass letztlich Überzeugungstäter sich auf einer besonderen ethischen und moralischen Mission befinden, in der die Bedeutung insbesondere der Grundrechte (und selbstverständlich auch die Menschenrechte!) sowohl für die Patienten, aber auch für die Ärztinnen und Ärzte entweder verkannt, oder in einem Sinn interpretiert und umgedeutet werden, der für mich persönlich schwer erträglich ist.

Sehr geehrte Frau oder sehr geehrter Herr Kühn,

vielen Dank für Ihre freundliche Rückmeldung, welche mich gefreut hat.
Wenn die Debatte, welche nach meinem Dafürhalten dem Abschluß nahe ist, informativ für Sie war, liegt das nicht zuletzt an der Sach- und Fachkompetenz, aber auch - so weit ich dass beurteilen kann - charakterliche Geeignetheit meines geschätzten Diskussionspartners, welcher ein Mitveranstalter eines medizin- und pflegerechtlichen Internetportals und Mitherausgeber eines Newsletters ist, welchen ich Ihnen zur kontinuierlichen Vertiefung Ihrer Kenntnisse, sofern Sie für diese Zeit haben, empfehlen möchte.

http://www.iqb-info.de/serv02.htm

Der Hinweis auf die charakterliche Eignung mag Sie vielleicht überrascht haben; er ist ungewöhnlich und klingt altbacken. Es ist aber so, dass auch die AEMR nicht davor geschützt ist, mißbraucht zu werden. (Das Grundgesetz, welches nach meiner Auffassung im schroffen Gegensatz zur AEMR, EMRK oder den UN-Konventionen in erster Linie ein Dokument des kalten Krieges zwischen Ost und West ist, und höchstens nur nachgeordnet ein Dokument zum Schutz der Würde der Menschen in Deutschland, sowieso ...)
In zwischenmenschlichen Beziehungen mit extremem Machtgefälle (Erwachsene / Kinder; Ärzte / Patienten) kommt es auf die Anständigkeit des stärkeren Beziehungspartners in ganz entscheidendem Maße an.
Die BÄK und die palliativ- bzw. Hospiz-Lobbies treten mit dem aggressiven Habitus eines Gutmenschentums auf, bevormunden aber die Leute unter Vortäuschung der Tatsache, sie könnten das Sterben schon gut regeln, sofern der Staat ihnen nur die dafür erforderliche Finanzierung bereitstellte.
Jeder weiß aber, dass der Staat die flächendeckende kostenintensive palliative oder Hospiz-Versorgung nicht organisieren kann und also auch nicht herbeiführen, geschweige denn dauerhaft gewährleisten wird. Wenige hingegen, vermutlich nicht einmal mein verehrter Diskussionspartner, wissen, dass auch das Versprechen eines guten Sterbens nicht gehalten werden kann. Es ist ein langes, qualvolles Sterben, was in den Hospizen bereitgehalten wird, qualvoll auch insofern, als den Sterbenden das - nicht zuletzt an den wirtschaftliche Interessen dieser Einrichtungen orientierte - Sterbekonzept der Einrichtungen suggestiv und tatsächlich aufgezwungen wird. Es ist anstößig, unter der nach PR-Gesichtspunkten optimierten Behauptung der Durchführung eines besonders humanen Sterbens von diesen Interessensgruppen ständig das - nicht auf der Grundlage des GG, sondern der EMRK festgestellte - menschliche Grundrecht auf Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes madig gemacht und unterlaufen zu sehen.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Bildung Ihrer eigenen Meinung über die Zulässigkeit einer ärztlich assistierten Selbsttötung.

Sehr geehrte Herren,

Ihre Debatte ist sehr interessant und informativ. Ich habe mich mit dem Thema so noch nicht beschäftigt, bin aber Stammgast in den Veranstaltungen der Landeszentrale. Ich fasse Ihre Meinungsäußerungen als wichtigen Impuls auf. Mal sehen, wie die Veranstaltung am 07.09.2011 in der Landeszentrale angenommen wird. Vielleicht folgen ja noch weitere Gespräche. Ich finde gut, dass die Charta erst einmal vorgestellt wird und man sich als nicht Fachmann informieren kann. Wichtig ist, dass wir über dieses wichtige Thema ins Gespräch kommen...

Verehrter Herr Barth,

ich denke, dass wir in den bisherigen Blog-Einträgen die möglichen unterschiedlichen Sichtweisen und deren Hintergründe andeuten konnten und dies auch getan haben, welche zu dem gemeinsamen Ergebnis der Kritik der Verhinderung einer medizinisch qualitätsgesicherten Selbsttötung führten.

Mehr ist in diesem Rahmen nicht zu leisten. Ich lasse mich gerne von der Richtigkeit Ihrer hohen Wertschätzung des Grundgesetzes dadurch überzeugen, dass jeder Mensch in Deutschland über die ihn selber betreffenden Angelegenheiten uneingeschränkt frei bestimmen kann und dass auch Menschen mit Behinderung, Kinder, Alte oder Menschen mit nichtdeutscher Abstammung keine Probleme in diesem Land, mit diesem Land und mit seinen Gerichten und Behörden haben mit Ausnahme derer, für welche Staat und Gesellschaft nichts können.
In diesem Zustand ist Deutschland nicht.

Bis die AEMR, EMRK, Behinderten-, Antirassismus- oder Kinderrechtskonvention in die Verfassungen inkorporiert sind, und auch positiv in den Verfassungen festgestellt wurde, dass Juden, Behinderte, Kinder, Ausländer Menschen sind,  und sie auch in Deutschland tatsächlich ausschließlich so behandelt werden wie Menschen, halte ich jeden Entscheider in Politik, Justiz, Gesellschaft unter Menschenrechtsgesichtspunkten nicht für uneingeschränkt glaubhaft und das Grundgesetz für eine schlechte, menschenrechtswidrige Verfassung.

Abschließend noch eine Erläuterung zum "Sadismus" der palliativ- und Hospiz-Lobbies.
Es ist eine falsche Vorstellung über das Sterben in Einrichtungen (und natürlich auch außerhalb fachspezialisierter Einrichtung der Kranken- oder Altenpflege), dass die WHO-Kriterien (Hygiene; ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit und Luft, Schmerzfreiheit) erfüllt werden. Das meine ich zunächst einmal im Sinne von Erfüllt-werden-Können. Die Monopolisierung oder besser doch: Oligopolisierung der Kontrolle über den menschlichen Tod ist deshalb "sadistisch" und verwerflich, weil ihr Versprechen eines guten humanen Todes einfach unverfrorene Werbung ist, welche durch die Tatsachen nicht gedeckt ist. Auch die Patienten in diesen Einrichtungen erleiden das Sterben, etwa weil die Schmerzunterdrückung nicht funktioniert.
Exakt, weil sich dies so verhält, benötigt der Mensch das Selbstbestimmungsrecht über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes. Wenn ihm dieses Recht aber aus wirtschaftlichen Gründen verweigert wird, dann hat das auch eine sadistische Komponente. Letztlich sind die Sterbenden einem Umfeld ausgeliefert, welches wider besseren Wissens behaupten kann, den Patienten ginge es den Umständen nach blendend. Und diesen Zustand, der dann vielfach nicht den Tatsachen entspricht, prolongieren kann. Das ist Quälerei, Sadismus, und als solches das, wovor sich die Menschen in der Mehrzahl fürchten, und dies zu Recht..

Verehrter Herr Süttmann.

Ich kenne im Detail nicht das Verfahren Hellwig gegen Deutschland, insbesondere nicht die Verfassungsbeschwerde, die er erhoben hat und die in der Tat vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen wurde.

Ungeachtet der Tatsache dieses Falles teile ich nicht ihre kritische Haltung zur Justiz im Allgemeinen und dem Bundesverfassungsgericht im Besonderen. Ohne Frage sind auch die Entscheidungen des BVerfG durchaus der Kritik fähig, wenngleich ich doch ihre These, wonach das Grundgesetz als auch das BVerfG kein „Verhältnis zum Menschen“ habe, mehr als bedenklich finde, zumal es nicht stimmt, dass das GG „keine menschenrechtskonforme Menschenwürdegarantie“ kennt; eher das Gegenteil ist der Fall, wie sich unschwer aus Art. 1 GG ergibt.

Sie werden es mir nachsehen, dass ich mich gerade zu den Garantien unseres Grundgesetzes bekenne und zwar insbesondere in meiner Eigenschaft als liberaler Jurist! Insofern kann ich ihre „Kritik“ inhaltlich nicht nachvollziehen, zumal das Grundgesetz – wie bereits kurz erwähnt – den Streit „schlichten“ kann. Keiner der Diskutanten wäre bei konsequenter Anwendung des Gurndgesetzes gehalten, sich in der Gänze seiner Position zu begeben und in der Tat wäre zu entscheiden, wie dann letztlich die Sterbebegleitung (auch ggf. in aktiver Form) zu regeln wäre und ob diese etwa der Ärzteschaft vorbehalten sein soll (wie einige namhafte Mediziner im Diskurs einfordern).

Zu heftig erscheint mir Ihre Unterstellung, der Neopaternalismus sei gleichsam „Sadismus“ – mithin also die „Lust am Leid des anderen“. Auch der ethische Neopaternalismus kann auf Argumentationsstränge verweisen, die wir schlicht zu tolerieren haben. Zu prüfen wäre allerdings, ob der Neopaternalismus gleichsam für alle „allgemeinverbindlich“ ist, was freilich nicht der Fall ist.

Verehrter Herr Barth,

in der Sache staatlicher assistierter Selbsttötung ist Ihnen zunächst zuzustimmen, insofern der EGMR ja in der Tat eine Menschenrechtsklage auf Herausgabe von Sterbemitteln durch die nachgeordnete deutsche Bundesbehörde unlängst zurückwies.
Man wird in der Tat abzuwarten haben, ob bzw. - so optimistisch bin ich in der Tat - wann diese, ebenfalls gesellschaftlich und an die Menschenwürdegarantie nicht anschlussfähige Rechtsauffassung gekippt werden wird.

Richtig ist auch der skeptische Einwand, dass hinsichtlich der Menschenrechtsprechung überschießender Optimismus - oder man könnte sagen: Naivität - fehl am Platze ist.
Schon allein deshalb, weil es für ganz Europa und für jedenfalls nur einen einzigen Menschenrechtsgerichtshof gibt, welcher leider ebenfalls kein rechtswissenschaftlich assistierter und somit qualitätsgesicherter Bürgergerichtshof, sondern ein Juristenhof ist, wie das BVerfG leider auch, in welchem zum Beispiel keine Menschen mit Behinderungen Teil des Spruchkörpers sind, jedenfalls nicht als solche Menschen.

Im Gegensatz zur Entfaltung der Grundrechte im nationalen deutschen Recht hat die Entfaltung der Menschenrechte insbesondere auf der Ebene der UN eine rasante Entwicklung genommen, wie sich an den diversen Konventionen dokumentarisch nachweisen läßt.

Ich bestehe darauf: Auch in Deutschland gelten die Menschenrechte (wie in jedem anderen Land auch), und das Grundgesetz und die aus diesem entwickelte Gesetzgebung und Rechtsprechung wirklich nur insofern, insofern diese menschenrechtskonform ist.

Dies wurde und wird in Deutschland aus tiefer Überzeugung verneint, und zwar keineswegs nur durch die totalitären Kräfte.

Das Ethik- und Gewissenskonzept versagt immer wieder, so dass derjenige, welcher dieses Konzept vertritt, sich vorhalten lassen muß, aus Realitätsblindheit der fremdbestimmten, illegalen Gewalt gegen Leib und Leben Tür und Tor offen zu halten. Immer wenn die Vokabeln "Ethik", "Gewissen", "Verantwortung" bemüht werden, ist Gefahr im Verzug; erfahrungsgemäß nicht zuletzt in Deutschland.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Fall Hellig g. Deutschland, in welchem der EGMR eine Menschenrechtsrüge erteilte, nachdem das BVerfG die Verfassungsbeschwerde erst gar nicht zur Entscheidung angenommen hatte. Der Kläger war nackt wie ein Ferkelchen in einer Gefängniszelle gehalten worden. Die Verfassungsrichter und das BMJ müssen aus den Wolken gefallen sein, als sie diese Entscheidung zur Kenntnis nahmen. Letztlich, weil die Menschenwürdegarantie und das Menschenbild des GG ein anderes ist als das der AEMR oder der EMRK.

Hier zeigte sich und in vielen anderen Fällen eben auch: Dass GG, das BVerfG haben kein Verhältnis zum Menschen. Immer noch nicht. Jedenfalls kein richtiges.

Das GG gewährt keine menschenrechtskonforme Menschenwürdegarantie. Es gewährt letztlich keine Menschenwürdegarantie.

Auch die Verweigerung des medizinisch qualitätsgesicherten Selbsttötung ordnet sich in diesen Gesamtzusammen hang ein. Sie ist unmenschlich, ist insbesondere bei Unabdingbarkeit der Angewiesenheit auf die Assistenz Folter.
Der "Neopaternalismus" der Ärztekammern, Hospiz- und Palliativlobbys usw. ist im Kern Sadismus, Lust am Leid eines anderen.
Letztlich sind keine verantwortungsethischen, verfassungsrechtlichen Debattendiskurse, sondern nur die Tatsache, dass die Bevölkerung zu erkennen gibt, unzumutbaren Lebensumständen durch Selbsttötung sich entziehen zu werden, dafür die Ursache, dass über die medizinisch assistierte Selbsttötung überhaupt diskutiert wird.
Das ist bitter zu sehen, aber so verhält es sich.

Jeder, welcher die Dienste einer Palliativabteilung in Anspruch nehmen möchte, soll dies tun können. Die Wirklichkeit ist freilich, dass dies nicht jeder kann, welcher dies vielleicht möchte. Und es ist auch nicht absehbar, dass dies jemals jeder an palliativmedizinischer Leistung interessiert Bürger sein Interesse umsetzen können wird, und zwar aus volkswirtschaftlichen Gründen.

Auch vor diesem Hintergrund ist der Monopolisierungsversuch der finalen Lebensphase und Sterbephase durch die Lobbygruppen richtiggehend verwerflich und menschenrechtsfeindlich, auch wenn er vielleicht grundgesetzkonform ist.
Das elende Siechtum Hilfloser und Verzweifelter in Pflegeeinrichtungen, Hospizen, palliativmedizinsichen Stationen kommt am Ende als konkrete Lebens- und Rechtswirklichkeit heraus, wenn man von Menschenwürde spricht anstatt von Recht, von Gewissen, Ethik und individueller Entscheidungsfreiheit der Leistungserbringer juristischer oder medizinischer Dienstleistungen, anstatt von Rechtsansprüchen der Anspruchsberechtigten.
Wenn man das Grundgesetz bemüht anstatt die Menschenrechte.
Wenn man den medizinisch assistierten Suizid gesetzlich unter den Vorbehalt Dritter stellt, anstatt ihn als gesetzlichen Rechtsanspruch auszugestalten.
Und letztlich: Wenn man Deutschland mit seinen rechtstaatlichen Standards und seiner Rechtskultur immer noch für ein besonderes Land in der Welt hält, was es nicht ist.

Verehrter Herr Süttmann.

Keineswegs proklamiere ich einen „menschenrechtlichen Nihilismus“, sondern fühle mich in besonderer Weise unserer „Verfassung verbunden“, deren Entstehungsgeschichte nun mit einer pseudoreligiösen Staatsmetaphysik rein gar nichts gemein hat.

Verfassungsinterpretation ist keine Hobbyphilosophie und sofern sich aus dem GG Antworten auf die Konfliktlagen am Ende eines verlöschenden Lebens ergeben, sollte diese auch ins allgemeine Bewusstsein all derjenigen gerückt werden, die einen gesinnungsethischen Ansatz verfolgen.

Ungeachtet unserer speziellen deutschen Geschichte neige ich nicht dazu, das Grundgesetz dergestalt zu übergehen, in dem vorrangig die Menschenrechte zu prüfen wären und hieraus folgend gleichsam Direktiven für die Verfassung abzuleiten wären. Es ist ein Aufgabe allen ersten Ranges, zunächst die nationale Rechtsordnung zu befragen und dies scheint umso mehr geboten, als das u.a. transnationale Gerichte diesen  Weg durch ihre Rechtsprechung vorzeichnen.

Im Übrigen sollte nicht verkannt werden, dass das Grundgesetz unübersteigbare Hürden aufgebaut hat, die gerade als Antwort auf das unsägliche und pervertierte Naziregime gedacht sind. Im Gegensatz zu anderen Kollegen resp. Autoren hindert das berühmte „Dammbruch-Argument“ nicht, sich dem zutiefst liberalen Ansatz des Grundgesetzes verpflichtet zu wissen, um einen „ethischen Streit“ zu befrieden, wobei Ihre These, wonach die Frage der ärztlichen Suizidassistenz „nur“ eine solche des Rechts sei, einer näheren Prüfung nicht standhalten wird. Sowohl auf Seiten der Befürworter als auch der Gegner ist ein Fundamentalismus eben nicht anbefohlen, denn dieser verhindert den gebotenen Blick auf das Wesentliche: Die individuellen Freiheitsrechte, die nicht  zur Fremdbestimmung führen dürfen; wenn Sie so wollen, der Gebrauch von Freiheiten bei Anerkennung des Toleranzprinzips und da meine ich, verbürgt unser Grundgesetz einen ethischen Grundstandard, der die Kollisionen – auch solche moralischer, ethischer oder religiöser Natur – auszubalancieren in der Lage ist.

Dieser Ansatz hat wenig mit „Romantik“  - gleich welcher Natur und Art – gemein und mit Verlaub, auch ohne Hinweis auf die ohne Frage unsägliche deutsche Geschichte können die mit der Suizidbeihilfe aufgeworfenen Fragen gelöst werden, so dass ich es im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht für notwendig erachte, in extenso die deutsche Geschichte zu kontextualisieren oder aber die Frage einer Entschädigung für die Opfer eines pervertierten Gewaltregimes thematisieren zu müssen.

Ungeachtet dessen entnehme ich Ihren Ausführungen einen gewissen Optimismus, dass die Suizidbeihilfe bereits durch die Menschenrechte verbürgt ist; ob dem tatsächlich so ist, darf angesichts der einschlägigen Rechtsprechung allerdings bezweifelt werden. Jedenfalls dürfte die Menschenrechtskonvention kein Recht auf staatliche Sterbehilfe enthalten.

Nun – es wird die Zeit zeigen, ob sich die Ärztekammern beeindrucken lassen; es streiten gute Argumente dafür, dass jedenfalls das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Suizidassistenz auf Dauer nicht haltbar ist.

Im praktischen Ergebnis, nämlich der Forderung der Achtung des Selbestimmungsrechtes über sich selbst auch hiinsichtlich des Todes scheint zwischen dem geschätzeten Diskussionspartner und dem Unterzeichneten kein Unterschied zu bestehen.
Leider im Unterschied zur h.M. ("herrschenden Meinung"), wie sie sich in der hier diskutierten Charta und der Veranstaltung zu dieser abbildet.

In der Durchführung der Begründung besteht aber ein fundamentaler Dissens. Wenn der Diskussionspartner schreibt: "Hierzulande erscheint es mir notwendig zu sein, gerade die Problematik der ärztlichen Suizidassistenz nach nationalem Recht zu beurteilen, und zwar zunächst ungeachtet einer metajuristischen Diskussion im Rahmen der Menschenrechte", so halte ich ihm entgegen, dass diese Auffassung für keinen Überlebenden eines der totalitären Regime in Deutschland des vergangenen Jahrhunderts, und auch für viele der Nachfahren dieser Überlebendenden und erst recht nicht der zu Tode gekommenen Opfer dieser Regime nachvollziehbar ist. Für diesen Personenkreis ist es unabdingbar, dass die Menschenrechte in Deutschland gelten und nicht das nationale deutsche Recht. Ihnen - und der Unterzeichnete rechnet sich zu ddiesem kreis - ist der deutsche Kult ums Grundgesetz, Bundesverfassungsgericht usw. eine abwegige pseudoreligiöse Staatsmetaphysik, welcher insofern noch nicht einmal mehr durch die deutsche Rechtssprechung gedeckt ist, als das Bundesverfassungsgericht die Europäische Menschenrechtskonvention unlängst erstmals wenigstens - gleichwohl immer noch vollständig unzulänglich - als "Auslegungshilfe" des GG anerkannt hat.

Es handelt sich also bei der EMRK oder bei den Menschenrechtsübereinkünften keineswegs um eine juristische Metaphysik aus dem Wolkenkuckucksheim, wie der Diskussionspartner insinuierte.
Darauf werden alle Juden, Zigeuner, Sinti oder Roma, "Euthanasie"-Opfer usw.usf. gegenüber den Deutschen, welche sich daran gewöhnt haben, nach Menschenrechtsverletzungen schadlos davon zu kommen, höflich aber bestimmt bestehen müssen.

Denn sowohl der Blick auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, als auch der Blick auf dessen Auslegungsgeschichte - insbesondere auf die Rechtsprechung zur Zwangstötung des lebensunwerten Lebens, nämlich die Verweigerung der Entschädigung der NS-"Euthanasie"-Opfer zeigt: Das Grundgesetz läßt die forcierte Tötung Unheilbarer ohne deren Zustimmung durchaus zu; daher wurde der Entschädigungsanspruch der Opfer rechtskräftig verneint.

Auch hiergegen wendet sich das Menschenrecht auf Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes also. Keine Weiterleben gegen den Willen eines Menschen, aber auch keine Tötung gegen den Willen des Getöteten (außer im Rahmen einer rechtmäßigen Kriegshandlung bzw. bei Notwehr, also im Falle der handlungsunfähigkeit des staatlichen Gewaltmonopols zur Gefahrenabwehr für Leib und Leben). Beides wird von der h.M. in Deutschland nicht bejaht. Weil die der politischen deutschen Romatik verbundenen Deutschen die Menschenrechte verneinen und in den Hinterhof der Justiz verbannen.

Der medizinisch assistierte Selbsttötung ist eine Frage des Rechtes und nicht der Ethik, da, wenn es erst wird, "Ethik" und "Gewissen" nichts zu suchen haben in zwischenmenschlichen Interaktionen. Dies zu akzeptieren fällt Medizinern, Geistlichen und Berufsjuristen schwer. Zwischen Menschen kann es aber tatsächlich nur darum gehen, ob es rechtens oder nicht rechtens ist, was man tut oder nicht tut.

Der Gesprächspartner ist mit seinem menschenrechtlichen Nihilismus seinen Kontrahenten in der Frage der qualifiziert-professionell assistierten Selbsttötung näher, als es ihm eigentlich lieb sein können dürfte.

Ohne sich selber von diesem Nihilismus zu verabschieden, wird man die größenwahnsinnigen neopaternalistischen Oberethiker in den Ärztekammern oder auch Ministerien nichts entgegenhalten können, was diese vielleicht beeindrucken könnte.

Hierzulande erscheint es mir notwendig zu sein, gerade die Problematik der ärztlichen Suizidassistenz nach nationalem Recht zu beurteilen, und zwar zunächst ungeachtet einer metajuristischen Diskussion im Rahmen der Menschenrechte.

Die ethischen Leitmaximen ergeben sich nach meinem liberalen Verfassungsverständnis durchaus aus dem Grundgesetz, wobei es natürlich der verfassten Ärzteschaft und dort insbesondere der Zunft der Palliativmediziner anheimgestellt ist, in den zulässigen Grenzen sich zu einer intraprofessionellen Ethik zu entscheiden. Ob allerdings die Normsetzungsbefugnis der Kammern so weit reicht, ggf. auch ein berufsrechtliches Verbot der ärztlichen Suizidassistenz zu beschließen, halte ich aus prinzipiellen materiellrechtlichen Erwägungen für problematisch.

Bedenkenswert freilich ist, dass es durchaus gewichtigen Stimmen in unserer Zeit gibt, die nach wie vor das Rechtsgut "Leben" als obersten Wert deklarieren und hierin zunächst kein Verstoß gegen die Menschenrechte erblickt werden kann, mal ganz davon abgesehen, dass den nationalen Gesetzgebern ein breiter Beurteilungs- und damit Regelungsspielraum eingeräumt wird.

Mithin hege ich - nicht zuletzt auch aus dogmatischen Gründen - Zweifel daran, ob der "Menschenrechtsgedanke" das nationale Verfassungsrecht "bricht". Die Lösung kann m.E. nach "nur" in der Rückbesinnung auf die "Ethik" des Grundgesetzes bestehen, vermögedessen die scheinbar unversöhnlich gegenüberstehenden Auffassung befriedet werden können.

Dass die Initiatoren der Charta letztlich sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, als "ethische Überzeugungstäter" in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, hängt in erster Linie damit zusammen, dass ihnen ein stückweit Intoleranz vorzuwerfen ist und die palliativmedizinische (Sonder-)Ethik zu einem Dogma erhoben wird, dass für keine Alternativen offen steht. Insofern ist der ethische Konsens in der Charta ein Konsens von Gesinnungsethikern, der erkennbar dem "langen Schatten" eines Kant, Hippokrates oder auch eines Hufeland geschuldet ist, ohne hierbei zu kennen, dass diese Herren keine Kenntnis von der jeztigen Verfassungswirklichkeit haben konnten.

Nicht der Arzt wird zum "gefährlichsten Mann im Staat", sondern der wenig tugendhafte Ethiker, der da meint, das Toleranzprinzip ignorieren zu können, um so die von ihm vertretenen Werte als "moralisch und sittlich höherwertig" qua Zwangsdiktat verordnen zu können. In diesem Falle macht "Ethik eben unfrei" und dies ist auch deutlich in der Debatte zu benennen.

Es ist zweifellos durch das Recht auf Meinungsfreiheit oder auch durch das Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt, dass die Charta die Fassung erhielt, welche sie erhalten hat, und die Veranstaltung die Form erhielt, in welcher sie - wie bislang vorgesehen - durchgeführt wird.

Ob der in der Tat auch nach meiner Überzeugung gesellschaftlich nicht anschlußfähige Konsens unter den Hospiz- und palliativmedizinischen Fachverbänden, der Bundesärztekammer und der diesen tragenden übrigen politischen und gesellschaftlichen Kräfte grundgesetzkonform ist oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen.

Die Ignorierierung der Selbsttötungsfreiheit des Menschen ist aber nicht menschenrechtskonform; dies ergibt sich aus der Rechtssprechung des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Weder die Grundrrechte des Grundgesetzes noch die Menschenrechte der europäischen Menschenrechtskonvention sind ethische Leitmaximen - über welche sich Ethiker oder "Oberethiker" im herrschaftsfreien diskurs hinwegsetzen könnten "aus Gewissensgründen", sondern höchstes allseits umzusetzenden Recht.

Die Charta kann nicht erfolgreich sein, weil sich die Gesellschaft auf die Dauer nicht von selbsternannten neopaternalistischen "Oberethikern", welche häufig auf eigene Rechnung arbeiten, in eine Richtung hin herumdirigieren lassen kann, welche ihr in Wirklichkeit nicht passt.

Sie kann aber auch deshalb nicht erfolgreich sein, weil sie menschenrechtswidrig ist, da sie die menschliche Selbsttötungsfreiheit nicht respektiert und daher zwangsläufig auch nicht wahrt.

Letztlich dokumentiert der Diskurs über den medizinisch assistierten Suizid das immer noch anhaltende Vorherrschen einer tiefen Verachtung der Menschenrechte als fremdes, von außen aufgezwungenes, unbeachtliches Zwangsrecht.

Dies ist es, was sich ändern muß.

Es darf nicht verwundern, dass die Charta "einseitig" ist, offenbart sich doch in ihr ein ethischer Neopaternalismus, der weitestgehend seine Legitimation aus dem Fürsorgegedanken schöpft und somit scheinbar geeignet ist, in einem besonderen Maße "verantwortungsvoll" zu sein - will u.a. heißen, den Fernzielen einer "Verantwortungsethik" gerecht werden zu können. Dass die Palliativmedizin derzeit die Debatte dominiert, ist durchaus nachvollziehbar und sofern diese sich selbst ethischen Grundprinzipien unterwirft, in der das Selbstbestimmungsrecht auch des schwersterkrankten und sterbenden Menschen nicht als "Fremdbestimmungsrecht" gewertet wird, dürfte dies zunächst unverfänglich sein. Dies deutlich zu betonen, wäre allerdings ein Gebot der Redlichkeit, zumal im Rahmen des Charta-Prozesses ein konsensethischer Weg eingeschlagen wurde, der keine Alternativen zulässt und somit wenig mit einem diskursethischen Ansatz gemeinsam haben dürfte.

Insofern ist die "Charta" leztlich ein "Evangelium sui generis", mit dem gleichsam Botschaften und ein "Heilauftrag" verbunden sind, welche wir "glauben" können und zwar jenseits der schlichten Erkenntnis, dass auch die palliativmedizinische Betreuung stets der Einwilligung des Patienten bedarf.

Da die Charta - im Übrigen verfassungsrechtlich durchaus zulässig - einen Konsens im Wege der Selbstverpflichtung dergestalt verbürgt, nicht töten zu wollen resp. hierbei zu assistieren, ist diese ein Ergebnis individueller Überzeugungen, die letztlich zu tolerieren sind, mögen andere Diskutanten dies auch beklagen. Entscheidend ist allerdings, dass dieser "Konsens" innerhalb unserer Gesellschaft nicht anschlussfähig ist, zumal nicht bei Wahrung des in unserem Grundgesetz verbürgten "ethischen Grundstandard".
Eine Ärztin oder Arzt, die das Selbstbestimmungsrecht der Patienten ernst nimmt, muss sich nicht öffentlich "selbst verpflichten", sondern trifft eine ureigene Gewissensentscheidung! Dass dies derzeit allerdings nicht gewünscht ist, zeigt in besonders dramatischer Weise das erst kürzlich verabschiedete berufsrechtliche "ethische Zwangsdiktat" einiger Oberethiker, dass verfassungsrechtlich mehr als nur bedenklich ist.

Sowohl an der Charta als solcher, als auch an der Zusammensetzung der "Gäste" fällt eine Einseitigkeit auf: Das Menschenrecht auf Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes wird mißachtet.
An der Charta läßt sich der Mißstand so ohne weiteres nicht ändern. Für die Veranstaltung empfehle ich die Einladung eines Vertreters oder einer Vertreterin der Sterberechtsorganisation Dignitas.
Unangenehm ist es nämlich geradezu, dass gleich zwei Gäste ein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse an der Mißachtung der Selbsttötungsfreiheit haben. Sie möchten gerne ein Oligopol haben zum Zweck der "palliativen" Dominierung des menschlichen Todes in Institutionen durch die Hospize und stationären palliativmedizinischen Einrichtungen. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluß sein.

Die geplante Veranstaltung ist nachhaltig zu begrüßen, eröffnet diese doch auch die Möglichkeit auch zur kritischen Reflexion mit den indentierten Zielen der Initiatoren der Charta und dem Selbstbestimmungsrecht der schwersterkrankten und sterbenden Patienten, zu dem erkennbar nicht die Entscheidung für einen selbstbestimmten und ggf. assistierten Tod resp. Suzid gehört. Zu fragen ist, ob es einer Charta gut zu Gesichte anstehen würde, wenn das Selbstbestimmungsrecht des schwersterkrankten und sterbenden Patienten am Ende seines verlöschenden Lebens "vorbehaltlos" akzeptieren wird, vermögedessen auch der frei verantwortliche Suizid eine legitime Option sein kann und dort, wo der Schwersterkrankte nicht eigens in der Lage ist, die Tat zu vollziehen, auch in Einzelfällen auf die Hilfe einer Ärztin/eines Arztes gehofft werden darf?

Allein mit der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts wird sich der Erfolg der Charta einstellen und insofern könnte es Sinn machen, auch in Einzelfällen die ärztliche Suizidassistenz in Erwägung zu ziehen und hierfür entsprechend zu plädieren; ansonsten erweist sich das Bekenntnis zum "Selbstbestimmungsrecht" der schwersterkrankten und/oder sterbenden Patienten als zynisch.

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