Digitale Ethik

Wir brauchen eine digitale Ethik als Steuerungsinstrument und Wertekompass, um den richtigen Weg zu einem guten Leben im digitalen Alltag zu finden. Petra Grimm, Leiterin des Instituts für Digitale Ethik, im Interview mit der Landeszentrale.

Smartphone vor Weltkugel. Bild: Pixabay, CCO
Smartphone vor Weltkugel. Bild: Pixabay, CCO

Was ist digitale Ethik?

Stellen Sie sich folgendes Bild vor: Sie müssen in einem Ihnen unbekannten Küstengebiet nachts navigieren. Um ihr Ziel ohne Schiffbruch zu erreichen, brauchen Sie ein Navigationsinstrument, z. B. die Sterne und einen Kompass. Genauso verhält es sich mit dem digitalen Wandel unserer Gesellschaft. Wir brauchen eine digitale Ethik, die uns als Steuerungsinstrument und Wertekompass hilft, um den richtigen Weg zu einem guten Leben im digitalen Alltag zu finden.

Deshalb ist es das Ziel der digitalen Ethik, eine ethische Digitalkompetenz zu fördern. Dazu gehören vor allem drei Aspekte: Erstens die Befähigung des Menschen, sein eigenes Handeln (oder Unterlassen) in digitalen Umgebungen reflektieren und bewerten zu können. Zweitens das Prinzip der Verantwortung, es steht im Mittelpunkt angemessenen digitalen Handelns.  Drittens sich eine Wertehaltung anzueignen: Das heißt z. B. achtsam miteinander im Netz umgehen, Empathie für Schwächere entwickeln, digitale Courage zeigen, wenn andere verletzt werden, für ein Recht auf Selbstbestimmung einzutreten und seine Privatsphäre soweit als möglich schützen.

Warum brauchen wir eine digitale Ethik?

Zwischen online und offline gibt es mittlerweile keine klare Trennung mehr. Die beiden Bereiche wachsen, wie der Philosoph Luciano Floridi das benannt hat, zu einem „Onlife“ zusammen. Damit sind ganz spezifische Rahmenbedingungen verbunden. Beispielsweise konnten wir früher in der analogen Welt kontrollieren, wem wir etwas sagen und wer etwas über uns weiß. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Wenn Sie Google, Amazon, WhatsApp oder Facebook nutzen, dann können Sie nicht mehr kontrollieren, was die Unternehmen über Sie wissen und was sie über Ihr zukünftiges Verhalten prognostizieren. Das heißt, wir geben unsere Privatsphäre preis wie noch nie zuvor. Es stellen sich also neue ethische Fragen, die es so in der analogen Welt nicht gab.

 

Petra Grimm. Foto: privat

Petra Grimm

ist Professorin für Medienforschung und Kommunikationswissenschaft. Seit 2014 ist sie Leiterin des Instituts für Digitale Ethik.

 

Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?

Dringenden Handlungsbedarf sehe ich im Verhältnis von Mensch und Maschine. Und zwar dann, wenn wir Maschinen mehr und mehr Entscheidungsbefugnis überlassen, sei es beim automatisierten und vernetzten Fahren, bei Pflegeroboter oder Personalentscheidungen. Ich möchte Ihnen ein einfaches Beispiel für die Frage der Selbstbestimmung nennen: Angenommen meine technisch intelligente Espressomaschine weiß, dass ich heute Morgen einen erhöhten Blutdruck habe. In der Folge könnte sie entscheiden, dass es heute keinen Espresso für mich gibt. Alternativ könnte sie mich aber auch nur darüber informieren, dass ich einen zu hohen Blutdruck habe und mir die Entscheidung überlassen, ob ich klug oder unklug handle.

Es stellt sich also die Frage, welche Handlungsoptionen wir im Umgang mit intelligenten Maschinen noch haben, was sie über uns (nicht) wissen und welche Entscheidungen sie für uns treffen dürfen. Sicherlich gibt es auch Situationen, in denen vielleicht die Schutzengelfunktion einer Maschine sinnvoll sein kann, zum Beispiel in gefährlichen Verkehrssituationen. Gleichwohl sollte die Autonomie des Menschen nicht verhandelbar sein.

Ein anderer Bereich betrifft die Frage, wie wir mit unserer Privatsphäre in Zukunft umgehen. Können wir im Zeitalter von Big Data noch ausreichend unsere Privatsphäre schützen oder steuern wir auf eine sogenannte  Post-Privacy-Gesellschaft zu, die Privatheit nicht mehr als wertvoll einstuft? Wo der Weg hingeht, können wir heute noch entscheiden. Dazu müssten wir uns für ein nachhaltiges Datenwirtschaften engagieren, bei dem Ethik und Technologie integrativ zusammengeführt werden.


Können wir gutes Verhalten im Internet lernen und wenn ja, wo fängt man an?

Was ein gutes Verhalten im Internet bedeutet, lässt sich nicht so einfach bestimmen. In einem studentischen Masterprojekt haben wir uns im Institut für Digitale Ethik ein Jahr lang damit auseinandergesetzt, welche Werte und Normen warum und weshalb wichtig sind. Als Ergebnis entstanden die „10 Gebote der Digitalen Ethik“. Dies war der Versuch, Bewusstsein und Reflexion für Fragen zu schaffen, die sich jeder Nutzer vergegenwärtigen sollte.

Also zum Beispiel: Wie kann ich meine Privatsphäre schützen? Was tue ich, wenn ich sehe, dass andere im Netz verletzt werden? Was passiert, wenn ich immer nur nach Zahlen bemessen werde? Wie kann ich mich selbst vor bestimmten Inhalten schützen?
 

Wie verbindlich können die 10 Gebote der Digitalen Ethik denn sein?

Die Gebote sind als Impulsgeber für Jugendliche zu verstehen, als Anregung, sich überhaupt erst einmal mit ethischen Fragen der Digitalisierung zu beschäftigen. Das war auch ein sehr wichtiger Prozess bei der Erarbeitung der Gebote – sich über das eigene Verhalten Gedanken zu machen und zu reflektieren, welche Regeln gelten sollen.

Eine weitere Erkenntnis war, dass wir zu jedem Gebot eine Geschichte brauchen, die das abstrakte Gebot veranschaulicht und an Alltagserlebnisse anknüpft. Im Grunde geht es aber vor allem um die Bildung einer Wertehaltung, die jeder und jede für sich in der Auseinandersetzung mit den Geboten entwickeln sollte.


Erwachsene betrifft das doch aber genauso, oder?

Sich über die Folgen des eigenen Verhaltens Gedanken zu machen und sich mit Wertkonflikten auseinanderzusetzen, betrifft jeden. Ebenso hilft es, sich über die Geschäftsmodelle der Internetanbieter zu informieren und gute alternative Angebote zu nutzen. Beispielsweise wissen viele nicht, das Facebook ihre Metadaten auswertet, wenn sie WhatsApp nutzen und dass es mit Signal oder Threema durchaus alternative Instant Messenger gibt, die ihre Privatsphäre besser schützen. Vielen ist auch nicht klar, dass die Bilder oder Videos, die sie verschicken, ihnen eigentlich gar nicht mehr gehören. Aufklärung und Wissensvermittlung sind aus meiner Sicht daher sehr wichtig.


Was können Verhaltensregeln in sozialen Medien wie zum Beispiel Facebook oder Twitter leisten?

Natürlich ist eine verbindliche Netiquette sinnvoll. Die Frage ist aber, wie Hate Speech, Shitstorms und der rüde Ton im Internet zivilisierbar sind. Vielleicht bedarf es noch eines kommunikativen und regulativen Epochensprungs bis wir auch in der digitalen Welt auf eine höhere Stufe der Kommunikation kommen. 


Brauchen wir mit Blick auf die Digitalisierung mehr staatliche Regulierung?

Der einzelne Nutzer kann das System des Internets nicht ändern, auch wenn er über noch so viel Digitalkompetenz verfügt. Dass Regulierung notwendig ist, zeigt die Datenschutzgrundverordnung. Vielen Nutzern ist deutlich geworden, wer alles Daten über sie sammelt. Aus meiner Sicht bedarf es auf verschiedenen Ebenen Anstrengungen, um ein gelingendes Leben im digitalen Zeitalter zu ermöglichen.

Drei Säulen sind hier zu nennen: Erstens brauchen wir eine Bildungsoffensive, die ethische und technische Digitalkompetenz integrativ in die Schulen bringt und bürgernah vermittelt, zweitens brauchen wir eine Regulierung, die die extreme Machtkonzentration in der digitalen Wirtschaft bändigt, und drittens brauchen wir Unternehmen, die sich für eine nachhaltige Digitalisierung entscheiden, zum Beispiel indem sie schon bei der Entwicklung digitaler Produkte die Privatsphäre ihrer Kunden besser schützen.


Und was kann der Einzelne tun, damit ein gutes Leben in der digitalen Gesellschaft möglich ist?

Wir als Nutzer können die digitale Entwicklung durchaus positiv beeinflussen. Wir können uns zum Beispiel für ein datenschutzsicheres Tool anstelle eines datenfressenden Tools entscheiden und uns mit Freunden über das Thema austauschen. So wie wir heute vermehrt Bioprodukte kaufen, könnten wir auch zukünftig „Privacy Made in Europe“-Produkte honorieren. Ebenso könnten wir uns für mehr digitale Courage im Netz engagieren und bei Verletzungen, die andere erleiden, nicht mehr wegschauen.

Es gibt viele Handlungsoptionen für eine humane Digitalisierung, die den Mensch in den Mittelpunkt der technologischen Entwicklung stellt.

Landeszentrale, August 2018

Linktipp:

Digital Safety Compass: Tipps für ein freies und sicheres digitales Leben

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