„Haltestelle Zukunft“: Wie man Jugendliche auf dem Land per Bürgerbeteiligung abholt

Es bewegt sich was in Brandenburg

Journalistin Kristina v. Klot trifft in Brandenburg Menschen, die ihre Heimat mitgestalten wollen. In Prenzlau geht sie mit Ralph Ryl und seinem Team der Frage nach, wie sich junge Menschen ihre Zukunft auf dem Land vorstellen - und was ihnen fehlt. 

Ralph Ryl liegt der kameradschaftliche Gedanke der Feuerwehr am Herzen: 

„Um etwas zu bewegen, muss man zusammenarbeiten, auch wenn man sich mal streitet.“

Die dritte Station der Reise durch Brandenburg führt in die Uckermark an den zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) in Prenzlau: ein zentraler Umstieg für Schülerinnen und Schüler und eine von vielen Stationen, an der Ralph Ryl und seine Mitstreiterinnen im Rahmen der mobilen Umfrage ‚Haltestelle Zukunft 2040´ über 200 Jugendliche befragt haben. „Eigentlich muss man sagen: aufgesucht haben, weil in der Nordwestuckermark nur 350 junge Leute zwischen 12 bis 25 leben“, ergänzt Ryl. Der 45-jährige technische Angestellte stammt aus der ehemaligen DDR, verbrachte aber seine Jugend in Niedersachsen, wohin seine Eltern kurz vor der Wende geflohen sind. 

Heute lebt er wieder in Ostdeutschland, in Naugarten, 15 Kilometer von Prenzlau entfernt: ein Dorf, in dem er 2017 die Jugendfeuerwehr mitgegründet hat, die größte der Region, obwohl dort nur 190 Menschen leben. Dass dort inzwischen über 30 Heranwachsende mitmachen, ist auch Ryls Verdienst. „Ich möchte einfach zeigen, wie viel Spaß es macht, sich zusammen für etwas einzusetzen.“ Vor allem der kameradschaftliche Gedanke der Feuerwehr liegt ihm am Herzen: „Um etwas zu bewegen, muss man zusammenarbeiten, auch wenn man sich mal streitet.“

„Auch in der Uckermark ist ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl nicht selbstverständlich.“

Denn leider gebe es auch hier in der Region viele Menschen, die eher nach Unterschieden suchten als nach dem, was verbindet. Ryls Erfahrung: „Auch in der Uckermark ist ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl nicht selbstverständlich.“ Für ihn ein Grund mehr, sich als Gemeindevertreter der freien Wählergruppe ‚Zukunft Nordwestuckermark‘ und im „Dörfernetzwerk Nordwestuckermark“ zu engagieren. Dessen Ziel ist, den Austausch innerhalb einer Region mit nur 4.200 Menschen auf 250 Quadratkilometern zu stärken. Aus diesem Netzwerk heraus entstand im Sommer auch der Impuls, Jugendliche zu ihren Zukunftsvorstellungen zu befragen – nachdem eine offizielle Umfrage der Gemeinde überraschend ausfiel.

Die Eisbrecher: Bulli-Zelt, Spezi und laute Musik

„Wir haben 13- bis 25-Jährige gefragt: Was braucht Ihr in der Region, um glücklich zu sein, was fehlt Euch noch? Und wie sollte es bis 2040 hier aussehen?“

Und das kam so: Im Rahmen der Bürgerbeteiligung zum Gemeindeentwicklungskonzept bis 2040 wurden zunächst Erwachsene in der Nordwestuckermark befragt. Doch die geplante Jugendumfrage im Zeltlager während der Sommerferien fiel wegen schlechten Wetters aus. Ryl erinnert sich: „Wir dachten sofort: Das können wir nicht stehen lassen. Die Jugend muss doch auch zu Wort kommen!“ 

Also sprang das Dörfernetzwerk ehrenamtlich ein, zog mit Tablet und Handy los und besuchte Dorfplätze, Bade- und Bushaltestellen. Mit Plakaten zur „Haltestelle Zukunft 2040“, einem Bulli-Zelt, Freigetränken und lauter Musik motivierte das Team Jugendliche, vor Ort Fragen online zu beantworten: „Was braucht ihr in der Region, um glücklich zu sein? Was fehlt? Und wie sollte es hier 2040 aussehen?“

Was junge Dörfler vermissen: bessere Mobilität, mehr überdachte Treffpunkte und bezahlbaren Wohnraum.

„Zum Glück ist es uns in den meisten Fällen gelungen, mit einer Flasche Spezi in der Hand die Jugendlichen hinterm Moped hervorzulocken.“

Und wie war die Reaktion? Überwiegend positiv, berichtet Ryl. Zwei-, dreimal hätten sie erlebt, dass sich kaum eine Gardine rührte, obwohl sie sich mit ihrem blauweißen Zelt, das an den legendären VW T1 ‚Bulli‘ erinnert, mitten im Ortskern postiert und die Boxen aufgedreht hatten. „Zum Glück ist es uns meist gelungen, die Jugendlichen mit einer Flasche Spezi in der Hand hinterm Moped hervorzulocken“. Und die hätten ihrem Frust schnell Luft verschafft, so Ryl. Ob es um Schule, Ausbildungsbetrieb oder Freizeit ging: Viel Kritik gab es an den weiten Wegen, die Jüngere auf dem Land ohne Auto zurücklegen müssen und die vom Nahverkehr kaum erschlossen sind. Und: Viele vermissten neben dem Bäckerwagen, der nicht mehr ins Dorf kommt, auch Kneipen und andere überdachte Treffpunkte – sowie mehr bezahlbaren Wohnraum, um zuhause ausziehen zu können.

„Ein 16-Jähriger, der sich wünscht, dass die Menschen im Dorf mehr zusammen machen, statt Grüppchen zu bilden, die sich ständig verhaken – das hat mich beeindruckt.“

Mal war der marode Bolzplatz Thema, der zum Schutz vor Wildschweinen einen Zaun bräuchte, mal der fehlende Nachwuchs für den Fußballclub. Besonders in Erinnerung hat Ryl ein Gespräch mit einem Auszubildenden, der aussprach, was sonst eher Erwachsene kritisieren: „Ein 16-Jähriger, der sich wünscht, dass die Menschen im Dorf mehr zusammen machen, statt Grüppchen zu bilden, die sich ständig verhaken – das hat mich beeindruckt.“ Ob Kritik an sozialer Vereinzelung, Frust über Politik oder das Gefühl des Abgehängtseins – in puncto Unzufriedenheit erkannte Ryl viele generationenübergreifende Parallelen. 

Was ihn optimistisch stimmt: In über 200 Gesprächen wurden nicht nur Erwartungen an die Kommunalpolitik formuliert. „Viele sahen sich selbst aufgerufen, aktiv zu werden – und machten konkrete Verbesserungsvorschläge.“

„Völlig egal, ob bei der Jugendfeuerwehr, im Sportverein oder beim Streichendes Dorfgemeinschaftshauses: Hauptsache, man unterstützt um ein Miteinander, das trägt.“

Ryls Fazit: „Beteiligungsformate stärken den Zusammenhalt und sind Grundlage der Demokratie – aber sie organisieren sich nicht von selbst.“ Und was entgegnet er auf das Argument, das sei Sache der Politik? Dann würde er dagegenhalten: 

„Nicht alles an wichtigen Aufgaben lässt sich auf eine ohnehin überlastete Verwaltung abwälzen, es braucht auch Eigeninitiative.“ Gerade in dünn besiedelten Regionen wie der Uckermark müssten alle Mitverantwortung übernehmen. „Egal ob bei der Jugendfeuerwehr, im Sportverein oder beim Streichen des Dorfgemeinschaftshauses: Hauptsache, man unterstützt ein Miteinander, das trägt.“

 

Checkliste für mehr Mitbestimmung in der Region 

So kann man sich in der Kommunalpolitik einmischen – und gehört werden: Tipps vom Dörfernetzwerk Nordwestuckermark

  1. An Umfragen teilnehmen – oder selbst welche anstoßen: Egal ob analog oder digital – jede Rückmeldung zählt. Auch selbst Fragen zu stellen kann ein Anfang sein.
     
  2. Sitzungen des Ortsbeirats oder der Gemeindevertretung besuchen: Die Sitzungen sind öffentlich – einfach mal hingehen: zuhören, Fragen stellen, mitbekommen, wie Entscheidungen entstehen und was in der Kommune passiert. 
     
  3. Sich vernetzen: In Nachbarschaftsgruppen, Dörfernetzwerken oder beim Vereinsfest mit anderen ins Gespräch kommen, denn Beteiligung beginnt im Alltag.
     
  4. Mikroprojekte umsetzen: Ob Bücherschrank, Sitzbank oder Treffpunkt: kleine Vorhaben lassen sich oft mit wenig Aufwand starten – ideal zum Ausprobieren.
     
  5. Ideenwerkstätten und Beteiligungscafés nutzen: In lockeren Formaten wie beim Kaffee/Kuchen im heimischen Garten oder zu Hause, bei Jugendtreffs oder bei Ausflügen am Wochenende gemeinsam Ideen entwickeln.
     
  6. Bürgerhaushalte oder Bürgerbudgets mitgestalten: Hier kann man mitentscheiden, wofür Geld vor Ort ausgegeben wird, etwa für Spielplätze, Grünflächen oder Jugendangebote. Beim Bürgerbudget gibt es die große Chance, selbst Hand anzulegen, indem man sich auch um die Umsetzung des Projekts kümmert.
     
  7. In Ausschüssen oder Beiräten mitwirken: Viele Kommunen suchen politisch Aktive für Jugend-, Senioren- oder Klimabeiräte. Hier fließen Perspektiven direkt in politische Entscheidungen ein.

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Kristina Klot
© Kristina Klot

Ehrenamtliche zeigen, dass es sich lohnt, selbst aktiv zu werden. Man überlistet eigene Vorurteile, lässt Ignoranz und Unzufriedenheit hinter sich und erlebt, wie man gemeinsam mit anderen viel bewirken kann. In der Blog-Reihe „Es bewegt sich was in Brandenburg“ stellt die Journalistin Kristina v. Klot einige dieser engagierten Menschen vor.

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