Interview mit der Bürgermeisterin von Michendorf

Cornelia Jung (parteilos)

Bürgermeisterin von Michendorf: Cornelia Jung

Bürgermeisterin von Michendorf: Cornelia Jung

Wie kam es bei Ihnen zur Gründung eines Jugendparlamentes?

Wenn ich ganz ehrlich bin: es begann mit einem echten Problem. Davon war auch in den Zeitungen zu lesen. Am Bahnhof von Michendorf kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Jugendlichen. Da waren auch welche mit rechtsradikalem Hintergrund dabei.

Dann gab es diesen unsäglichen Überfall von rechten Jugendlichen auf eine Familienfeier. Mit diesem Zeitpunkt begann ein Umdenken bei vielen hier. Auf der einen Seite wollten die Jugendlichen ein Zeichen setzen, dass sie nicht alle so sind, wie die wenigen Randalierer oder Skinheads oder wer auch immer.

Andererseits haben die Älteren im Ort begriffen, dass man über Jugendliche nicht nur meckern darf, sondern dass man ihnen Mitbestimmung einräumen muss. Darüber haben wir einem Beschluss gefasst und ihn öffentlich gemacht.


Also haben Sie das Jugendparlament gegründet?

Nein. Was wir gemacht haben: wir haben den jungen Leuten ein Zeichen gegeben. Wir haben gesagt: wenn ein Jugendparlament gegründet wird, werden wir das unterstützen. Das ist wirklich eine einheitliche Auffassung bei uns im Parlament. Die Fraktionen haben zwar eine unterschiedliche Auffassung dazu, wie intensiv das geschehen soll. Wichtig war uns nur: diese Gründung soll nicht von oben herab organisiert werden.

Wir haben gesagt: es bringt nichts, Jugendliche in eine Verpflichtung, in eine Verantwortung zu nehmen, die sie gar nicht haben wollen.


Sind Jugendliche überhaupt interessiert an parlamentarischer Mitarbeit?

Wir haben bei den vergangenen Kommunalwahlen nur sehr wenige Jugendliche gehabt, die überhaupt bereit waren, sich auf einem Stimmzettel zur Wahl zu stellen. Und von den wenigen, die das getan haben, ist keiner gewählt worden.

So kam es, dass unsere jüngste Abgeordnete im Michendorfer Parlament doch schon fast 30 Jahre alt ist. Dafür haben wir viele Ältere, zum Teil weit über 70 Jahre alt. Das ist kein guter Zustand. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Jugendliche bereits mit 18 Jahren wählen lassen und die Mühen eines Wahlkampfes auf sich nehmen.

Wir haben ungefähr 9000 wahlberechtigte Bürger – wer kennt da schon einen 18jährigen? Sie sind bekannt in ihren Ortsteilen aber darüber hinaus eben nicht.

Gewählt zu werden ist eben mit vielen Mühen verbunden. Da muss man durch alle Ortsteile tingeln, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Das ist ja für Ältere schon schwierig. So ist für die jungen Leute eigentlich nur die Tür für die Ortsbeiräte geöffnet.

Die eigentliche Tür für parlamentarische Verantwortung bleibt für die jungen Leute verschlossen. Daher kommt es, dass sie bei der Feuerwehr oder in Arbeitsgemeinschaften in der Schule Verantwortung übernehmen können, wenn sie wollen. Aber im Parlament eben nicht.


Liegt es nun an den Jugendlichen oder an den parlamentarischen Strukturen?

Mit 18 Jahren stehen Jugendliche heute am Beginn einer Ausbildung. Oder sie gehen weg zum Studium. Manch einer macht sich Gedanken über Familienplanung. Da fehlt es denen einfach an Zeit, sich dauerhaft und kontinuierlich einzubringen. Und dann darf man ja auch nicht vergessen: den Jugendlichen wird in unserer Medienwelt beigebracht, dass man in der Freizeit viel Spaß haben muss.

Parteien haben dafür wenig Verständnis und daher auch wenig Geduld, mit Jugendlichen zusammen zu arbeiten.


Wann sind Sie denn in der Politik angekommen?

Mit 18 noch nicht. Da wäre es für mich nicht interessant gewesen. Erst mit Mitte 20 habe ich angefangen, mich kommunalpolitisch zu engagieren. Aber eine Partei war da nicht im Hintergrund. So ist das übrigens bis heute geblieben. Ich lebte damals in Mecklenburg-Vorpommern und habe begonnen, meinen Sohn und andere Kinder zum Auswärtsspiel im Fußball zu begleiten.

Es dauerte nicht lange, und ich wurde in den Vorstand des Vereins gewählt. So begann meine Laufbahn als Kommunalpolitiker.
 

Wirken parlamentarische Strukturen anziehend oder abschreckend für Jugendliche?

Das weiß ich so nicht. Wo in den Familien eine Auseinandersetzung mit Politik stattfindet, gibt es möglicherweise Verständnis für die mühevolle parlamentarische Arbeit. In anderen Familien gibt es weniger oder gar kein Verständnis.

Ich sage immer: Jugendliche müssen herangeführt werden. Ihnen müssen überall Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung eröffnet werden. Wo es diese Öffnung nicht gibt, gibt es keine Beteiligung. Darum sehe ich auch eine große Chance für die Jugendlichen, sich über das Jugendparlament in die Regionalpolitik einzumischen.

Ich will ihnen das an einem Beispiel erklären: es gibt keinerlei Vorschriften, was Jugendparlamente „dürfen“. Wir haben uns mit allen Fraktionen zusammengesetzt und gefragt, welche Rechte können wir den jungen Leuten sofort einräumen. Das Ergebnis war einfach: wir haben alle Ausschüsse für die jungen Leute geöffnet und ihnen eine beratende Stimme gegeben. Die sollten einfach einen unbürokratischen Einstieg bekommen. Wir haben keine komplizierten Satzungsänderungen vorgenommen sondern einfach gesagt: kommt.

Faktisch werden sie jetzt zu allen Sitzungen eingeladen und können entscheiden, was für sie wichtig ist. Als Frist für diese Art von Umgang miteinander haben wir uns die Zeit bis zu den nächsten Wahlen gesetzt. Wenn die Jugendlichen bis dahin einen langen Atem bewiesen haben, werden wir ihnen schriftlich dokumentiert ein möglichst breites Mitspracherecht einräumen.


Sie wollen also frischen Wind in Ihrer kommunalen Vertretung?

Wenn ich diese jungen Leute sehe, die sich da im Jugendparlament zusammen gefunden haben, mit wie viel Engagement sie Dinge vorbereiten. Sie treten frisch und unkompliziert auf. Sie haben zum Beispiel eine Veranstaltungsreihe für den ganzen Ort, also für jung und alt, ins Leben gerufen und nennen es „Kino gegen Gewalt“. Sie müssen sich das vorstellen – ein Ort guckt zusammen einen Film und zwei Jugendliche stellen sich am Anfang zur Begrüßung vorne hin und erklären, warum ihnen so eine Gemeinschaft wichtig ist.

Plötzlich bringen junge Leute damit Generationen zusammen und alte Leute bedanken sich bei den Jugendlichen. Darüber kann man nur froh sein.

Havelfilm, 2008

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